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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Recensio und emendatio in den tragödien der auswahl.
Byzantiner 183): die handschriften selbst reichen aus. was wir sonst ent-
weder gar nicht erkennen oder doch nur vermuten, hier können wir es
mit den händen greifen. wir sehen die randnotizen in den handschriften,
die varianten zu geben scheinen, sehr oft nur schreibfehler berichtigen,
einzelne varianten von gleichzeitigen handschriften häufen, auch wol con-
jiciren: aber aus dem altertum überlieferte gelehrte varianten, wie die
im Ven. A, sind sie nirgend. sie stehen ganz so da, wie die correcturen
der handschriften, die auch diesen drei kategorien angehören. das sind
also fast alles mittelalterliche entstellungen. und so sind es auch die ab-
weichungen der handschriften von einander. zum überwiegenden teile sind
es versehen, die durch die tätigkeit des wörter und satzglieder auffassenden
und wiedergebenden schreibers entstanden sind, zum teil natürlich schon
im späteren altertum, meistens aber später 184): denn in den chorliedern,
die schwerer verstanden wurden und mehr mechanisch nachgemalt,
finden sich viel weniger abweichungen. verderbnisse die durch das nach-
malen von elementen entstehen, sind in dieser dramenreihe kaum vor-
handen; es sei denn dass sie über die zeit, wo die auswahl gemacht ward,
zurückreichen. alles dieses zu erledigen ist die aufgabe der recensio, der
richtigen auswahl der lesarten. sie ist kein leichtes geschäft, vielmehr wird
sich in ihr die meisterschaft des herausgebers am meisten zu beweisen
haben: deshalb ist die uneinigkeit auch der berufenen kritiker in den dramen
am grössten, wo C nur wenige und stark abweichende handschriften zur
seite hat. aber es lässt sich im princip die forderung stellen, dass wir
durch die recensio bis in das altertum hinaufgelangen, mit ganz ge-
ringen ausnahmen in den ersten sieben stücken; im Rhesos und den
Troerinnen schon sehr viel seltener; die Bakchen stehen von allen am
traurigsten da.

Dass wir aber mit dem princip nicht zu viel verlangen, dafür haben

Chil. I 330 die lecture der Helene annimmt, ist ein irrtum: nur die erwähnung der
Sirenen bezeugt die stelle für Euripides und kann also auf Andr. 936 bezogen werden.
183) Besonders deutlich wird dies in M: man braucht nur die Phoenissen
durchzusehen. sonst bietet B die besten belege. der art sind auch die randnotizen
in L (M) der beiden älteren tragiker: keine spur von kritischem apparate ist darin.
184) Über die entstehung und demgemäss die schätzung dieser varianten hat
E. Bruhn lucubr. Eur. cap. I gehandelt, und wirklich methodisch fördernde bemer-
kungen gemacht, denen gegenüber ich meine früheren ansichten einfach aufgegeben
habe. übrigens war die psychologische veranlassung der schreibfehler treffend schon
erkannt und formulirt worden, zumal von G. Hermann (Belger Haupt als akademischer
lehrer 127), ohne psychophysik: aber das schmälert das verdienst Bruhns nicht im
mindesten.

Recensio und emendatio in den tragödien der auswahl.
Byzantiner 183): die handschriften selbst reichen aus. was wir sonst ent-
weder gar nicht erkennen oder doch nur vermuten, hier können wir es
mit den händen greifen. wir sehen die randnotizen in den handschriften,
die varianten zu geben scheinen, sehr oft nur schreibfehler berichtigen,
einzelne varianten von gleichzeitigen handschriften häufen, auch wol con-
jiciren: aber aus dem altertum überlieferte gelehrte varianten, wie die
im Ven. A, sind sie nirgend. sie stehen ganz so da, wie die correcturen
der handschriften, die auch diesen drei kategorien angehören. das sind
also fast alles mittelalterliche entstellungen. und so sind es auch die ab-
weichungen der handschriften von einander. zum überwiegenden teile sind
es versehen, die durch die tätigkeit des wörter und satzglieder auffassenden
und wiedergebenden schreibers entstanden sind, zum teil natürlich schon
im späteren altertum, meistens aber später 184): denn in den chorliedern,
die schwerer verstanden wurden und mehr mechanisch nachgemalt,
finden sich viel weniger abweichungen. verderbnisse die durch das nach-
malen von elementen entstehen, sind in dieser dramenreihe kaum vor-
handen; es sei denn daſs sie über die zeit, wo die auswahl gemacht ward,
zurückreichen. alles dieses zu erledigen ist die aufgabe der recensio, der
richtigen auswahl der lesarten. sie ist kein leichtes geschäft, vielmehr wird
sich in ihr die meisterschaft des herausgebers am meisten zu beweisen
haben: deshalb ist die uneinigkeit auch der berufenen kritiker in den dramen
am gröſsten, wo C nur wenige und stark abweichende handschriften zur
seite hat. aber es läſst sich im princip die forderung stellen, daſs wir
durch die recensio bis in das altertum hinaufgelangen, mit ganz ge-
ringen ausnahmen in den ersten sieben stücken; im Rhesos und den
Troerinnen schon sehr viel seltener; die Bakchen stehen von allen am
traurigsten da.

Daſs wir aber mit dem princip nicht zu viel verlangen, dafür haben

Chil. I 330 die lecture der Helene annimmt, ist ein irrtum: nur die erwähnung der
Sirenen bezeugt die stelle für Euripides und kann also auf Andr. 936 bezogen werden.
183) Besonders deutlich wird dies in M: man braucht nur die Phoenissen
durchzusehen. sonst bietet B die besten belege. der art sind auch die randnotizen
in L (M) der beiden älteren tragiker: keine spur von kritischem apparate ist darin.
184) Über die entstehung und demgemäſs die schätzung dieser varianten hat
E. Bruhn lucubr. Eur. cap. I gehandelt, und wirklich methodisch fördernde bemer-
kungen gemacht, denen gegenüber ich meine früheren ansichten einfach aufgegeben
habe. übrigens war die psychologische veranlassung der schreibfehler treffend schon
erkannt und formulirt worden, zumal von G. Hermann (Belger Haupt als akademischer
lehrer 127), ohne psychophysik: aber das schmälert das verdienst Bruhns nicht im
mindesten.
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[213/0233] Recensio und emendatio in den tragödien der auswahl. Byzantiner 183): die handschriften selbst reichen aus. was wir sonst ent- weder gar nicht erkennen oder doch nur vermuten, hier können wir es mit den händen greifen. wir sehen die randnotizen in den handschriften, die varianten zu geben scheinen, sehr oft nur schreibfehler berichtigen, einzelne varianten von gleichzeitigen handschriften häufen, auch wol con- jiciren: aber aus dem altertum überlieferte gelehrte varianten, wie die im Ven. A, sind sie nirgend. sie stehen ganz so da, wie die correcturen der handschriften, die auch diesen drei kategorien angehören. das sind also fast alles mittelalterliche entstellungen. und so sind es auch die ab- weichungen der handschriften von einander. zum überwiegenden teile sind es versehen, die durch die tätigkeit des wörter und satzglieder auffassenden und wiedergebenden schreibers entstanden sind, zum teil natürlich schon im späteren altertum, meistens aber später 184): denn in den chorliedern, die schwerer verstanden wurden und mehr mechanisch nachgemalt, finden sich viel weniger abweichungen. verderbnisse die durch das nach- malen von elementen entstehen, sind in dieser dramenreihe kaum vor- handen; es sei denn daſs sie über die zeit, wo die auswahl gemacht ward, zurückreichen. alles dieses zu erledigen ist die aufgabe der recensio, der richtigen auswahl der lesarten. sie ist kein leichtes geschäft, vielmehr wird sich in ihr die meisterschaft des herausgebers am meisten zu beweisen haben: deshalb ist die uneinigkeit auch der berufenen kritiker in den dramen am gröſsten, wo C nur wenige und stark abweichende handschriften zur seite hat. aber es läſst sich im princip die forderung stellen, daſs wir durch die recensio bis in das altertum hinaufgelangen, mit ganz ge- ringen ausnahmen in den ersten sieben stücken; im Rhesos und den Troerinnen schon sehr viel seltener; die Bakchen stehen von allen am traurigsten da. Daſs wir aber mit dem princip nicht zu viel verlangen, dafür haben 182) 183) Besonders deutlich wird dies in M: man braucht nur die Phoenissen durchzusehen. sonst bietet B die besten belege. der art sind auch die randnotizen in L (M) der beiden älteren tragiker: keine spur von kritischem apparate ist darin. 184) Über die entstehung und demgemäſs die schätzung dieser varianten hat E. Bruhn lucubr. Eur. cap. I gehandelt, und wirklich methodisch fördernde bemer- kungen gemacht, denen gegenüber ich meine früheren ansichten einfach aufgegeben habe. übrigens war die psychologische veranlassung der schreibfehler treffend schon erkannt und formulirt worden, zumal von G. Hermann (Belger Haupt als akademischer lehrer 127), ohne psychophysik: aber das schmälert das verdienst Bruhns nicht im mindesten. 182) Chil. I 330 die lecture der Helene annimmt, ist ein irrtum: nur die erwähnung der Sirenen bezeugt die stelle für Euripides und kann also auf Andr. 936 bezogen werden.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/233>, abgerufen am 26.11.2024.