Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Geschichte des tragikertextes. fehlt aber der würdigere genosse, wie in den Acharnern des Aristophanes,der Medeia und dem schlusse des Hippolytos, so muss ihn der jüngere ersetzen und übernimmt die führung. man ist zwar gewöhnt den Vatic. 909 nach Kirchhoffs vorgang höher zu schätzen, allein er dankt das vielmehr seinem reichtum als seiner güte. er enthält ausser den sechs Alkestis Rhesos und Troerinnen, und für alle drei die scholien am besten (auch für Medeia), für die beiden letzten allein, ist also in ihnen unschätzbar. aber es ist eine unsäglich flüchtig geschriebene handschrift auf baum- wollpapier, die schon in der äusseren erscheinung plebejisch neben jenen würdigen pergamenen aussieht. und dass neben der flüchtigkeit auch die willkür der beginnenden renaissance nicht fehlt, zeigen die scholien, namentlich zur Hekabe. es ist eben nicht ein gewöhnlicher schreiber, sondern ein gelehrter ihr urheber. doch würde die handschrift immer noch sehr stark ins gewicht fallen, sowol wegen ihrer lesungen erster hand wie wegen der zahlreichen correcturen, wenn wir die andere überlieferung, die des Laurentianus, nicht besässen, von der sogleich, denn von ihr ist ein strom später hineingeleitet, und auch das wert- vollste ältere material ist das, was im Vat. abweichend von Marc. und Par. mit dem Laurentianus stimmt. diese mittlerrolle ist es, welche in den fünf ersten stücken den Vat. dem kritiker wertvoll macht; eignes und zugleich gutes, das als überliefert gelten könnte, hat er kaum etwas. in der Medeia teilt er die führung mit Par.; in der Alkestis, die leider im Marcianus ausgerissen ist, der sie ehedem enthielt 170), muss ein anderer Parisinus zur hilfe eintreten, 2713, der keinesweges verächtlich ist und seinen alten namen Par. B neben Par. A wieder erhalten muss, den er in den scholien noch führt 171), für welche er schlechthin unent- behrlich ist. die willkür der renaissance ist kaum stärker in ihm als im Vat. für Rhesos und Troerinnen versagt freilich auch er: da muss Vat. allein diese ganze sippe vertreten. man ermisst leicht, dass uns also 170) Auf dem vorsatzblatte ist ihr name noch genannt: aber als die handschrift. nach Italien kam, fehlte sie schon, und der name ward deshalb ausradirt. 171) Kirchhoffs zeichen für die handschriften waren eine so wenig glückliche
neuerung wie die von ihm selbst wieder beseitigte eigene verszählung. seine classen- einteilung ist weggefallen, und die von ihm durch kleine buchstaben bezeichneten handschriften auch alle bis auf Paris. B, den man jedoch eigentlich auch nur in der Alkestis nötig hat. ausgefallen ist auch der Havniensis, den er C nannte. also empfiehlt sich in der tat mit Dindorf M(arcian), V(atic), und mit den älteren (Paris.) A, (Paris.) B, (Flor.) C und, wo er nötig ist, P(alat. 287) zu sagen: M und B gilt noch in den scholien, wo aber ein übles A für Vat. eingedrungen ist. einen ver- lorenen archetypus herzustellen ist man nirgend veranlasst. Geschichte des tragikertextes. fehlt aber der würdigere genosse, wie in den Acharnern des Aristophanes,der Medeia und dem schlusse des Hippolytos, so muſs ihn der jüngere ersetzen und übernimmt die führung. man ist zwar gewöhnt den Vatic. 909 nach Kirchhoffs vorgang höher zu schätzen, allein er dankt das vielmehr seinem reichtum als seiner güte. er enthält auſser den sechs Alkestis Rhesos und Troerinnen, und für alle drei die scholien am besten (auch für Medeia), für die beiden letzten allein, ist also in ihnen unschätzbar. aber es ist eine unsäglich flüchtig geschriebene handschrift auf baum- wollpapier, die schon in der äuſseren erscheinung plebejisch neben jenen würdigen pergamenen aussieht. und daſs neben der flüchtigkeit auch die willkür der beginnenden renaissance nicht fehlt, zeigen die scholien, namentlich zur Hekabe. es ist eben nicht ein gewöhnlicher schreiber, sondern ein gelehrter ihr urheber. doch würde die handschrift immer noch sehr stark ins gewicht fallen, sowol wegen ihrer lesungen erster hand wie wegen der zahlreichen correcturen, wenn wir die andere überlieferung, die des Laurentianus, nicht besäſsen, von der sogleich, denn von ihr ist ein strom später hineingeleitet, und auch das wert- vollste ältere material ist das, was im Vat. abweichend von Marc. und Par. mit dem Laurentianus stimmt. diese mittlerrolle ist es, welche in den fünf ersten stücken den Vat. dem kritiker wertvoll macht; eignes und zugleich gutes, das als überliefert gelten könnte, hat er kaum etwas. in der Medeia teilt er die führung mit Par.; in der Alkestis, die leider im Marcianus ausgerissen ist, der sie ehedem enthielt 170), muſs ein anderer Parisinus zur hilfe eintreten, 2713, der keinesweges verächtlich ist und seinen alten namen Par. B neben Par. A wieder erhalten muſs, den er in den scholien noch führt 171), für welche er schlechthin unent- behrlich ist. die willkür der renaissance ist kaum stärker in ihm als im Vat. für Rhesos und Troerinnen versagt freilich auch er: da muſs Vat. allein diese ganze sippe vertreten. man ermiſst leicht, daſs uns also 170) Auf dem vorsatzblatte ist ihr name noch genannt: aber als die handschrift. nach Italien kam, fehlte sie schon, und der name ward deshalb ausradirt. 171) Kirchhoffs zeichen für die handschriften waren eine so wenig glückliche
neuerung wie die von ihm selbst wieder beseitigte eigene verszählung. seine classen- einteilung ist weggefallen, und die von ihm durch kleine buchstaben bezeichneten handschriften auch alle bis auf Paris. B, den man jedoch eigentlich auch nur in der Alkestis nötig hat. ausgefallen ist auch der Havniensis, den er C nannte. also empfiehlt sich in der tat mit Dindorf M(arcian), V(atic), und mit den älteren (Paris.) A, (Paris.) B, (Flor.) C und, wo er nötig ist, P(alat. 287) zu sagen: M und B gilt noch in den scholien, wo aber ein übles A für Vat. eingedrungen ist. einen ver- lorenen archetypus herzustellen ist man nirgend veranlaſst. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0226" n="206"/><fw place="top" type="header">Geschichte des tragikertextes.</fw><lb/> fehlt aber der würdigere genosse, wie in den Acharnern des Aristophanes,<lb/> der Medeia und dem schlusse des Hippolytos, so muſs ihn der jüngere<lb/> ersetzen und übernimmt die führung. man ist zwar gewöhnt den Vatic. 909<lb/> nach Kirchhoffs vorgang höher zu schätzen, allein er dankt das vielmehr<lb/> seinem reichtum als seiner güte. er enthält auſser den sechs Alkestis<lb/> Rhesos und Troerinnen, und für alle drei die scholien am besten (auch<lb/> für Medeia), für die beiden letzten allein, ist also in ihnen unschätzbar.<lb/> aber es ist eine unsäglich flüchtig geschriebene handschrift auf baum-<lb/> wollpapier, die schon in der äuſseren erscheinung plebejisch neben jenen<lb/> würdigen pergamenen aussieht. und daſs neben der flüchtigkeit auch<lb/> die willkür der beginnenden renaissance nicht fehlt, zeigen die scholien,<lb/> namentlich zur Hekabe. es ist eben nicht ein gewöhnlicher schreiber,<lb/> sondern ein gelehrter ihr urheber. doch würde die handschrift immer<lb/> noch sehr stark ins gewicht fallen, sowol wegen ihrer lesungen erster<lb/> hand wie wegen der zahlreichen correcturen, wenn wir die andere<lb/> überlieferung, die des Laurentianus, nicht besäſsen, von der sogleich,<lb/> denn von ihr ist ein strom später hineingeleitet, und auch das wert-<lb/> vollste ältere material ist das, was im Vat. abweichend von Marc. und<lb/> Par. mit dem Laurentianus stimmt. diese mittlerrolle ist es, welche<lb/> in den fünf ersten stücken den Vat. dem kritiker wertvoll macht; eignes<lb/> und zugleich gutes, das als überliefert gelten könnte, hat er kaum<lb/> etwas. in der Medeia teilt er die führung mit Par.; in der Alkestis, die<lb/> leider im Marcianus ausgerissen ist, der sie ehedem enthielt <note place="foot" n="170)">Auf dem vorsatzblatte ist ihr name noch genannt: aber als die handschrift.<lb/> nach Italien kam, fehlte sie schon, und der name ward deshalb ausradirt.</note>, muſs ein<lb/> anderer Parisinus zur hilfe eintreten, 2713, der keinesweges verächtlich<lb/> ist und seinen alten namen Par. B neben Par. A wieder erhalten muſs,<lb/> den er in den scholien noch führt <note place="foot" n="171)">Kirchhoffs zeichen für die handschriften waren eine so wenig glückliche<lb/> neuerung wie die von ihm selbst wieder beseitigte eigene verszählung. seine classen-<lb/> einteilung ist weggefallen, und die von ihm durch kleine buchstaben bezeichneten<lb/> handschriften auch alle bis auf Paris. B, den man jedoch eigentlich auch nur in<lb/> der Alkestis nötig hat. ausgefallen ist auch der Havniensis, den er C nannte. also<lb/> empfiehlt sich in der tat mit Dindorf M(arcian), V(atic), und mit den älteren (Paris.)<lb/> A, (Paris.) B, (Flor.) C und, wo er nötig ist, P(alat. 287) zu sagen: M und B gilt<lb/> noch in den scholien, wo aber ein übles A für Vat. eingedrungen ist. einen ver-<lb/> lorenen archetypus herzustellen ist man nirgend veranlaſst.</note>, für welche er schlechthin unent-<lb/> behrlich ist. die willkür der renaissance ist kaum stärker in ihm als im<lb/> Vat. für Rhesos und Troerinnen versagt freilich auch er: da muſs Vat.<lb/> allein diese ganze sippe vertreten. man ermiſst leicht, daſs uns also<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [206/0226]
Geschichte des tragikertextes.
fehlt aber der würdigere genosse, wie in den Acharnern des Aristophanes,
der Medeia und dem schlusse des Hippolytos, so muſs ihn der jüngere
ersetzen und übernimmt die führung. man ist zwar gewöhnt den Vatic. 909
nach Kirchhoffs vorgang höher zu schätzen, allein er dankt das vielmehr
seinem reichtum als seiner güte. er enthält auſser den sechs Alkestis
Rhesos und Troerinnen, und für alle drei die scholien am besten (auch
für Medeia), für die beiden letzten allein, ist also in ihnen unschätzbar.
aber es ist eine unsäglich flüchtig geschriebene handschrift auf baum-
wollpapier, die schon in der äuſseren erscheinung plebejisch neben jenen
würdigen pergamenen aussieht. und daſs neben der flüchtigkeit auch
die willkür der beginnenden renaissance nicht fehlt, zeigen die scholien,
namentlich zur Hekabe. es ist eben nicht ein gewöhnlicher schreiber,
sondern ein gelehrter ihr urheber. doch würde die handschrift immer
noch sehr stark ins gewicht fallen, sowol wegen ihrer lesungen erster
hand wie wegen der zahlreichen correcturen, wenn wir die andere
überlieferung, die des Laurentianus, nicht besäſsen, von der sogleich,
denn von ihr ist ein strom später hineingeleitet, und auch das wert-
vollste ältere material ist das, was im Vat. abweichend von Marc. und
Par. mit dem Laurentianus stimmt. diese mittlerrolle ist es, welche
in den fünf ersten stücken den Vat. dem kritiker wertvoll macht; eignes
und zugleich gutes, das als überliefert gelten könnte, hat er kaum
etwas. in der Medeia teilt er die führung mit Par.; in der Alkestis, die
leider im Marcianus ausgerissen ist, der sie ehedem enthielt 170), muſs ein
anderer Parisinus zur hilfe eintreten, 2713, der keinesweges verächtlich
ist und seinen alten namen Par. B neben Par. A wieder erhalten muſs,
den er in den scholien noch führt 171), für welche er schlechthin unent-
behrlich ist. die willkür der renaissance ist kaum stärker in ihm als im
Vat. für Rhesos und Troerinnen versagt freilich auch er: da muſs Vat.
allein diese ganze sippe vertreten. man ermiſst leicht, daſs uns also
170) Auf dem vorsatzblatte ist ihr name noch genannt: aber als die handschrift.
nach Italien kam, fehlte sie schon, und der name ward deshalb ausradirt.
171) Kirchhoffs zeichen für die handschriften waren eine so wenig glückliche
neuerung wie die von ihm selbst wieder beseitigte eigene verszählung. seine classen-
einteilung ist weggefallen, und die von ihm durch kleine buchstaben bezeichneten
handschriften auch alle bis auf Paris. B, den man jedoch eigentlich auch nur in
der Alkestis nötig hat. ausgefallen ist auch der Havniensis, den er C nannte. also
empfiehlt sich in der tat mit Dindorf M(arcian), V(atic), und mit den älteren (Paris.)
A, (Paris.) B, (Flor.) C und, wo er nötig ist, P(alat. 287) zu sagen: M und B gilt
noch in den scholien, wo aber ein übles A für Vat. eingedrungen ist. einen ver-
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