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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Geschichte des tragikertextes.
sollen wir nun also vielleicht sagen, dass wir z. b. zur Hekabe nur Didymos
oder die mikta, zum Hippolytos etwa nur Dionysios besitzen? mit andern
worten, sollen wir glauben, dass es etwa im 10. jahrhundert handschriften
gab mit einem commentar eines Dionysios, andere mit scholien ver-
schiedener verfasser, andere mit denen des Didymos? das ist verführerisch,
und es ist allerdings peinlich, dass man nicht ganz scharf ja oder nein
sagen kann. warum hiess der mann auch gerade Dionysios, so dass man
nicht wissen kann, ob er christ oder heide, ein würdiger forscher oder
ein indifferenter abschreiber war. indessen irgend wie muss man zu ihm
stellung nehmen. und man darf wol folgender erwägung trauen. Diony-
sios war oloskheros benutzt, also galt seine arbeit auch wol dem ganzen
stücke. das tut aber nur die von vers zu vers fortschreitende trivial-
erklärung, die nahe an die paraphrase heranstreift. die subscriptio unter-
scheidet zwei bestandteile: zwei bestandteile zeigen die scholien, einzelne
gelehrte notizen und trivialerklärung. also mag das combinirt werden,
und das triviale dem Dionysios zufallen. darum kann er immer noch
der urheber der auswahl sein; kann aber auch viel später sein wesen
getrieben haben, denn gerade diese trivialitäten wechseln am meisten ihre
form. aber bestanden hat eine solche triviale und zwar mit unseren
scholien sich vielfach deckende paraphrase zu den 10 Euripidesstücken
schon im 5. jahrhundert, als das Cyrillglossar entstand, aus welchem diese
an sich wertlosen, nur für die existenz des gleichlautenden textes zeugnis
ablegenden notizen in den Hesych gekommen sind, wo sie jetzt je nach
dem belieben des herausgebers teils in teils unter dem texte stehen 162).

Benutzung
der
auswahl.

Peinlich genug ist es, dass sich das fortleben und selbst die ursprüng-
liche gestalt der ausgabe, welche die auswahl begründete, so wenig klar
beschreiben lässt. noch peinlicher, dass über die zeit, wo sie hervortrat,
mit starker reserve geredet werden muss, und am peinlichsten empfindet
es der, der jahre lang in der hoffnung herumgesucht hat, durchschlagende
zeugnisse zu finden. indessen das wesentliche bleibt ungeschmälert, wenn
auch der zeit ein weiter spielraum bleiben muss. im zweiten jahrhundert

162) Vgl. Reitzenstein Rh. M. 1888. es kann jetzt niemand über diese dinge
mit entschiedenheit reden, ehe nicht die neuen funde veröffentlicht und gründlich
geprüft sind. doch glaube ich, bis ich überführt werde, nicht daran, dass scholien
zu anderen als den 10 stücken benutzt sind. in den alten lexicis, z. b. Diogenian,
kamen natürlich glossen aus allen vor. da die Homerglossen aus den s. g. Didymos-
scholien genommen sind, welche selbständig damals schon bestanden und einer
ganzen paraphrase des textes entstammen, so kann man sich sehr wol einen analogen
Euripidestext denken.

Geschichte des tragikertextes.
sollen wir nun also vielleicht sagen, daſs wir z. b. zur Hekabe nur Didymos
oder die μιϰτά, zum Hippolytos etwa nur Dionysios besitzen? mit andern
worten, sollen wir glauben, daſs es etwa im 10. jahrhundert handschriften
gab mit einem commentar eines Dionysios, andere mit scholien ver-
schiedener verfasser, andere mit denen des Didymos? das ist verführerisch,
und es ist allerdings peinlich, daſs man nicht ganz scharf ja oder nein
sagen kann. warum hieſs der mann auch gerade Dionysios, so daſs man
nicht wissen kann, ob er christ oder heide, ein würdiger forscher oder
ein indifferenter abschreiber war. indessen irgend wie muſs man zu ihm
stellung nehmen. und man darf wol folgender erwägung trauen. Diony-
sios war ὁλοσχερῶς benutzt, also galt seine arbeit auch wol dem ganzen
stücke. das tut aber nur die von vers zu vers fortschreitende trivial-
erklärung, die nahe an die paraphrase heranstreift. die subscriptio unter-
scheidet zwei bestandteile: zwei bestandteile zeigen die scholien, einzelne
gelehrte notizen und trivialerklärung. also mag das combinirt werden,
und das triviale dem Dionysios zufallen. darum kann er immer noch
der urheber der auswahl sein; kann aber auch viel später sein wesen
getrieben haben, denn gerade diese trivialitäten wechseln am meisten ihre
form. aber bestanden hat eine solche triviale und zwar mit unseren
scholien sich vielfach deckende paraphrase zu den 10 Euripidesstücken
schon im 5. jahrhundert, als das Cyrillglossar entstand, aus welchem diese
an sich wertlosen, nur für die existenz des gleichlautenden textes zeugnis
ablegenden notizen in den Hesych gekommen sind, wo sie jetzt je nach
dem belieben des herausgebers teils in teils unter dem texte stehen 162).

Benutzung
der
auswahl.

Peinlich genug ist es, daſs sich das fortleben und selbst die ursprüng-
liche gestalt der ausgabe, welche die auswahl begründete, so wenig klar
beschreiben läſst. noch peinlicher, daſs über die zeit, wo sie hervortrat,
mit starker reserve geredet werden muſs, und am peinlichsten empfindet
es der, der jahre lang in der hoffnung herumgesucht hat, durchschlagende
zeugnisse zu finden. indessen das wesentliche bleibt ungeschmälert, wenn
auch der zeit ein weiter spielraum bleiben muſs. im zweiten jahrhundert

162) Vgl. Reitzenstein Rh. M. 1888. es kann jetzt niemand über diese dinge
mit entschiedenheit reden, ehe nicht die neuen funde veröffentlicht und gründlich
geprüft sind. doch glaube ich, bis ich überführt werde, nicht daran, daſs scholien
zu anderen als den 10 stücken benutzt sind. in den alten lexicis, z. b. Diogenian,
kamen natürlich glossen aus allen vor. da die Homerglossen aus den s. g. Didymos-
scholien genommen sind, welche selbständig damals schon bestanden und einer
ganzen paraphrase des textes entstammen, so kann man sich sehr wol einen analogen
Euripidestext denken.
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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/220>, abgerufen am 24.11.2024.