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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Geschichte des tragikertextes.
aller folgenden generationen bestimmt, bis auf die uns erhaltenen hand-
schriften, ja bis auf Boeckh: wir dürfen ihm freilich nicht mehr folgen,
da wir die metrik der classischen zeit richtiger aufzufassen im stande sind.
dass übrigens die gliederung der lieder immer durch das absetzen neuer
zeilen bezeichnet worden sein müsste, ist keinesweges nötig; ein kurzer
zwischenraum in der zeile oder eine interpunction, wie es z. b. in der
florentiner Euripideshandschrift vorkommt, tut dieselben dienste. nicht
die art der bezeichnung, sondern dass überhaupt die gliederung bezeichnet
wird, ist das wesentliche. es war aber damit nicht genug. in sehr ver-
ständiger fürsorge haben die grammatiker dem leser durch ein bestimmtes
system der bezeichnung auch zu erkennen gegeben, wo strophe und
antistrophe oder in nicht strophischen liedern die perioden zu ende waren,
auch den schluss der lieder, einzeln den umschlag der rhythmen, endlich
die personenverteilung. nur wenig davon ist in unsere handschriften
übergegangen, aber wir kennen das system durch Hephaestion peri
poiematos, der nur zusammenstellt, was er (oder seine quelle) in den
ausgaben der classiker fand.

Diese bisher geschilderte tätigkeit, die man immerhin mit unsern an-
weisungen an den setzer vergleichen mag, führte nun schon mittelbar zu
sehr bedeutenden kritischen schlüssen, vergleichbar denen, welche unsern
gelehrten zufielen, als sie die responsion der chorlieder erkannten. es war
damit in vielen fällen ein kriterion gegeben um zwischen verschiedenen
lesarten zu wählen, überschüssige glieder oder lücken zu erkennen. ein
äusserst merkwürdiger beleg für die persönliche tätigkeit des Aristophanes
in dieser richtung ist auch erhalten 32).

In wie weit die für das publicum bestimmten exemplare inter-
pungirt und mit den lesezeichen versehen waren, die wieder Aristophanes
für die prosodie erfand, ist nicht auszumachen. ganz dürfte beides in
diesen schwierigen texten nicht gefehlt haben; ganz durchgeführt war es
keinesfalls, und es gehört schon mehr zu dem eigentlich gelehrten be-
triebe, ebenso wie die kritischen zeichen, von welchen doch der obelos
wenigstens selbst im Pindar nicht zu entbehren war 33).

32) Schol. Pind. Ol. 2, 48 zu dem überschüssigen kolon phileonti de Moisai,
athetei Aristophanes, peritteuein gar auto phesi pros tas antistrophous. in
einer andern fassung fehlt der name des Aristophanes und steht dafür obelos pa-
rakeitai. dass eine solche interpolation nicht beseitigt ward, beweist sowol die
vorsicht des herausgebers wie die abhängigkeit der ganzen folgezeit.
33) Für die gelehrten bestand natürlich in der prosodie auch hier, wie im
Homer, eine feste paradosis. ein gutes exempel liefert Eur. Hek. 1030, wo niemand
vor Hemsterhuys auf den gedanken gekommen ist ou als ou statt ou zu nehmem.

Geschichte des tragikertextes.
aller folgenden generationen bestimmt, bis auf die uns erhaltenen hand-
schriften, ja bis auf Boeckh: wir dürfen ihm freilich nicht mehr folgen,
da wir die metrik der classischen zeit richtiger aufzufassen im stande sind.
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ständiger fürsorge haben die grammatiker dem leser durch ein bestimmtes
system der bezeichnung auch zu erkennen gegeben, wo strophe und
antistrophe oder in nicht strophischen liedern die perioden zu ende waren,
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die personenverteilung. nur wenig davon ist in unsere handschriften
übergegangen, aber wir kennen das system durch Hephaestion περὶ
ποιήματος, der nur zusammenstellt, was er (oder seine quelle) in den
ausgaben der classiker fand.

Diese bisher geschilderte tätigkeit, die man immerhin mit unsern an-
weisungen an den setzer vergleichen mag, führte nun schon mittelbar zu
sehr bedeutenden kritischen schlüssen, vergleichbar denen, welche unsern
gelehrten zufielen, als sie die responsion der chorlieder erkannten. es war
damit in vielen fällen ein kriterion gegeben um zwischen verschiedenen
lesarten zu wählen, überschüssige glieder oder lücken zu erkennen. ein
äuſserst merkwürdiger beleg für die persönliche tätigkeit des Aristophanes
in dieser richtung ist auch erhalten 32).

In wie weit die für das publicum bestimmten exemplare inter-
pungirt und mit den lesezeichen versehen waren, die wieder Aristophanes
für die prosodie erfand, ist nicht auszumachen. ganz dürfte beides in
diesen schwierigen texten nicht gefehlt haben; ganz durchgeführt war es
keinesfalls, und es gehört schon mehr zu dem eigentlich gelehrten be-
triebe, ebenso wie die kritischen zeichen, von welchen doch der obelos
wenigstens selbst im Pindar nicht zu entbehren war 33).

32) Schol. Pind. Ol. 2, 48 zu dem überschüssigen kolon φιλέοντι δὲ Μοῖσαι,
ἀϑετεῖ Ἀριστοφάνης, περιττεύειν γὰρ αὐτό φησι πρὸς ⟨τὰς⟩ ἀντιστρόφους. in
einer andern fassung fehlt der name des Aristophanes und steht dafür ὀβελὸς πα-
ράκειται. daſs eine solche interpolation nicht beseitigt ward, beweist sowol die
vorsicht des herausgebers wie die abhängigkeit der ganzen folgezeit.
33) Für die gelehrten bestand natürlich in der prosodie auch hier, wie im
Homer, eine feste παράδοσις. ein gutes exempel liefert Eur. Hek. 1030, wo niemand
vor Hemsterhuys auf den gedanken gekommen ist ου als οὗ statt οὐ zu nehmem.
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[142/0162] Geschichte des tragikertextes. aller folgenden generationen bestimmt, bis auf die uns erhaltenen hand- schriften, ja bis auf Boeckh: wir dürfen ihm freilich nicht mehr folgen, da wir die metrik der classischen zeit richtiger aufzufassen im stande sind. daſs übrigens die gliederung der lieder immer durch das absetzen neuer zeilen bezeichnet worden sein müſste, ist keinesweges nötig; ein kurzer zwischenraum in der zeile oder eine interpunction, wie es z. b. in der florentiner Euripideshandschrift vorkommt, tut dieselben dienste. nicht die art der bezeichnung, sondern daſs überhaupt die gliederung bezeichnet wird, ist das wesentliche. es war aber damit nicht genug. in sehr ver- ständiger fürsorge haben die grammatiker dem leser durch ein bestimmtes system der bezeichnung auch zu erkennen gegeben, wo strophe und antistrophe oder in nicht strophischen liedern die perioden zu ende waren, auch den schluſs der lieder, einzeln den umschlag der rhythmen, endlich die personenverteilung. nur wenig davon ist in unsere handschriften übergegangen, aber wir kennen das system durch Hephaestion περὶ ποιήματος, der nur zusammenstellt, was er (oder seine quelle) in den ausgaben der classiker fand. Diese bisher geschilderte tätigkeit, die man immerhin mit unsern an- weisungen an den setzer vergleichen mag, führte nun schon mittelbar zu sehr bedeutenden kritischen schlüssen, vergleichbar denen, welche unsern gelehrten zufielen, als sie die responsion der chorlieder erkannten. es war damit in vielen fällen ein kriterion gegeben um zwischen verschiedenen lesarten zu wählen, überschüssige glieder oder lücken zu erkennen. ein äuſserst merkwürdiger beleg für die persönliche tätigkeit des Aristophanes in dieser richtung ist auch erhalten 32). In wie weit die für das publicum bestimmten exemplare inter- pungirt und mit den lesezeichen versehen waren, die wieder Aristophanes für die prosodie erfand, ist nicht auszumachen. ganz dürfte beides in diesen schwierigen texten nicht gefehlt haben; ganz durchgeführt war es keinesfalls, und es gehört schon mehr zu dem eigentlich gelehrten be- triebe, ebenso wie die kritischen zeichen, von welchen doch der obelos wenigstens selbst im Pindar nicht zu entbehren war 33). 32) Schol. Pind. Ol. 2, 48 zu dem überschüssigen kolon φιλέοντι δὲ Μοῖσαι, ἀϑετεῖ Ἀριστοφάνης, περιττεύειν γὰρ αὐτό φησι πρὸς ⟨τὰς⟩ ἀντιστρόφους. in einer andern fassung fehlt der name des Aristophanes und steht dafür ὀβελὸς πα- ράκειται. daſs eine solche interpolation nicht beseitigt ward, beweist sowol die vorsicht des herausgebers wie die abhängigkeit der ganzen folgezeit. 33) Für die gelehrten bestand natürlich in der prosodie auch hier, wie im Homer, eine feste παράδοσις. ein gutes exempel liefert Eur. Hek. 1030, wo niemand vor Hemsterhuys auf den gedanken gekommen ist ου als οὗ statt οὐ zu nehmem.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/162>, abgerufen am 25.11.2024.