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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Das dritte jahrhundert.
daher der asianische vulgarismus; der weltmännisch und hauptstädtisch
verfeinerten form der geselligkeit: daher das bukolische element, die
weiberpoesie, das aufgreifen des barbarischen; der strengen stilisirung
auch des lebens durch die attische sophrosune: daher die freude am ab-
sonderlichen verwachsenen wildnatürlichen in den stoffen wie in der be-
handlung; den kühlen abstractionen der begriffsphilosophie: daher die
vorliebe für die naturwissenschaft und die weite schöne welt ebenso wie
die für dionysischen taumel und aphrodisisches schmachten; der attischen
bürgerlichen politie: daher das höfische eben so gut wie das ländliche;
es galt endlich auch den attischen dichtungsformen, drama und dithy-
rambos. jetzt gieng man auf die alten lyriker zurück, ahmte Alkaios und
Anakreon nach, suchte sich in Stesichoros und Pindar stoffe, griff auf
die erotische elegie des Mimnermos zurück, auf den iambos des Archi-
lochos und Hipponax und endlich versuchte man wie Homer zu dichten
oder Homer durch eine immer frische, niemals kyklische behandlung mit
seinen eignen mitteln zu schlagen. das führte mit notwendigkeit zum
studium der alten dichter, die zum teil recht eigentlich wieder entdeckt
wurden, oder doch wenigstens für die attische gesellschaft des 4. jahr-
hunderts nicht mehr existirt hatten und von den peripatetikern Dikai-
archos und Chamaileon aus historischem interesse hervorgezogen wurden.
so kam man von den versuchen im dialekte zu dichten bald zur unter-
suchung des dialekts und zu der exegese der archaischen dichter. Theokrit
dichtet aeolisch so gut er kann: Kallias von Mytilene schreibt über die
lesbischen dichter 22), Dionysios Iambos, auch ein dichter, über die dialekte,
und der wird der lehrer des Aristophanes von Byzanz. der dichter Zenodotos
von Ephesos bringt es zu der ersten textrecension, die sich wirklich die
wiederherstellung des echten zum ziele setzt, natürlich des Homer; er
behandelt aber auch in einzeluntersuchungen die lyriker und macht zu
Pindar und Anakreon einzelne conjecturen. Kallimachos, gleich gewandt
in dorischer wie in ionischer mundart zu dichten, treibt die sammlung
des sprachlichen materials ins grosse und beginnt schon selbst für die
ionische prosa die philologische tätigkeit, indem er an den grössten
ionischen schriftsteller, Demokritos, ansetzt, freilich zunächst auch hier
nur als sammler; bald folgen für Hippokrates ähnliche arbeiten. mit der
tragödie haben diese männer alle nichts zu schaffen 23).

22) Athen. III 85 f. polemisirt Aristophanes gegen eine lesart des Kallias; die
stelle ist allerdings verwirrt.
23) Es gehört zu den unbegreiflichkeiten, an denen Schneiders Kallimachos
reich ist, dass er auf grund von ein par übereinstimmenden vocabeln aischyleische

Das dritte jahrhundert.
daher der asianische vulgarismus; der weltmännisch und hauptstädtisch
verfeinerten form der geselligkeit: daher das bukolische element, die
weiberpoesie, das aufgreifen des barbarischen; der strengen stilisirung
auch des lebens durch die attische σωφροσύνη: daher die freude am ab-
sonderlichen verwachsenen wildnatürlichen in den stoffen wie in der be-
handlung; den kühlen abstractionen der begriffsphilosophie: daher die
vorliebe für die naturwissenschaft und die weite schöne welt ebenso wie
die für dionysischen taumel und aphrodisisches schmachten; der attischen
bürgerlichen politie: daher das höfische eben so gut wie das ländliche;
es galt endlich auch den attischen dichtungsformen, drama und dithy-
rambos. jetzt gieng man auf die alten lyriker zurück, ahmte Alkaios und
Anakreon nach, suchte sich in Stesichoros und Pindar stoffe, griff auf
die erotische elegie des Mimnermos zurück, auf den iambos des Archi-
lochos und Hipponax und endlich versuchte man wie Homer zu dichten
oder Homer durch eine immer frische, niemals kyklische behandlung mit
seinen eignen mitteln zu schlagen. das führte mit notwendigkeit zum
studium der alten dichter, die zum teil recht eigentlich wieder entdeckt
wurden, oder doch wenigstens für die attische gesellschaft des 4. jahr-
hunderts nicht mehr existirt hatten und von den peripatetikern Dikai-
archos und Chamaileon aus historischem interesse hervorgezogen wurden.
so kam man von den versuchen im dialekte zu dichten bald zur unter-
suchung des dialekts und zu der exegese der archaischen dichter. Theokrit
dichtet aeolisch so gut er kann: Kallias von Mytilene schreibt über die
lesbischen dichter 22), Dionysios Iambos, auch ein dichter, über die dialekte,
und der wird der lehrer des Aristophanes von Byzanz. der dichter Zenodotos
von Ephesos bringt es zu der ersten textrecension, die sich wirklich die
wiederherstellung des echten zum ziele setzt, natürlich des Homer; er
behandelt aber auch in einzeluntersuchungen die lyriker und macht zu
Pindar und Anakreon einzelne conjecturen. Kallimachos, gleich gewandt
in dorischer wie in ionischer mundart zu dichten, treibt die sammlung
des sprachlichen materials ins groſse und beginnt schon selbst für die
ionische prosa die philologische tätigkeit, indem er an den gröſsten
ionischen schriftsteller, Demokritos, ansetzt, freilich zunächst auch hier
nur als sammler; bald folgen für Hippokrates ähnliche arbeiten. mit der
tragödie haben diese männer alle nichts zu schaffen 23).

22) Athen. III 85 f. polemisirt Aristophanes gegen eine lesart des Kallias; die
stelle ist allerdings verwirrt.
23) Es gehört zu den unbegreiflichkeiten, an denen Schneiders Kallimachos
reich ist, daſs er auf grund von ein par übereinstimmenden vocabeln aischyleische
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[135/0155] Das dritte jahrhundert. daher der asianische vulgarismus; der weltmännisch und hauptstädtisch verfeinerten form der geselligkeit: daher das bukolische element, die weiberpoesie, das aufgreifen des barbarischen; der strengen stilisirung auch des lebens durch die attische σωφροσύνη: daher die freude am ab- sonderlichen verwachsenen wildnatürlichen in den stoffen wie in der be- handlung; den kühlen abstractionen der begriffsphilosophie: daher die vorliebe für die naturwissenschaft und die weite schöne welt ebenso wie die für dionysischen taumel und aphrodisisches schmachten; der attischen bürgerlichen politie: daher das höfische eben so gut wie das ländliche; es galt endlich auch den attischen dichtungsformen, drama und dithy- rambos. jetzt gieng man auf die alten lyriker zurück, ahmte Alkaios und Anakreon nach, suchte sich in Stesichoros und Pindar stoffe, griff auf die erotische elegie des Mimnermos zurück, auf den iambos des Archi- lochos und Hipponax und endlich versuchte man wie Homer zu dichten oder Homer durch eine immer frische, niemals kyklische behandlung mit seinen eignen mitteln zu schlagen. das führte mit notwendigkeit zum studium der alten dichter, die zum teil recht eigentlich wieder entdeckt wurden, oder doch wenigstens für die attische gesellschaft des 4. jahr- hunderts nicht mehr existirt hatten und von den peripatetikern Dikai- archos und Chamaileon aus historischem interesse hervorgezogen wurden. so kam man von den versuchen im dialekte zu dichten bald zur unter- suchung des dialekts und zu der exegese der archaischen dichter. Theokrit dichtet aeolisch so gut er kann: Kallias von Mytilene schreibt über die lesbischen dichter 22), Dionysios Iambos, auch ein dichter, über die dialekte, und der wird der lehrer des Aristophanes von Byzanz. der dichter Zenodotos von Ephesos bringt es zu der ersten textrecension, die sich wirklich die wiederherstellung des echten zum ziele setzt, natürlich des Homer; er behandelt aber auch in einzeluntersuchungen die lyriker und macht zu Pindar und Anakreon einzelne conjecturen. Kallimachos, gleich gewandt in dorischer wie in ionischer mundart zu dichten, treibt die sammlung des sprachlichen materials ins groſse und beginnt schon selbst für die ionische prosa die philologische tätigkeit, indem er an den gröſsten ionischen schriftsteller, Demokritos, ansetzt, freilich zunächst auch hier nur als sammler; bald folgen für Hippokrates ähnliche arbeiten. mit der tragödie haben diese männer alle nichts zu schaffen 23). 22) Athen. III 85 f. polemisirt Aristophanes gegen eine lesart des Kallias; die stelle ist allerdings verwirrt. 23) Es gehört zu den unbegreiflichkeiten, an denen Schneiders Kallimachos reich ist, daſs er auf grund von ein par übereinstimmenden vocabeln aischyleische

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/155>, abgerufen am 25.11.2024.