Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Die heldensage; ihre geschichte. und Boeoter auch ihre eigene sprache nicht zu schreiben wagten. aberdie tatsache ist vorhanden, und weil sie uns modernen so fremdartig ist, kann man sie nicht stark und oft genug hervorheben. vixere fortes ante Agamemnona multi, sed omnes illacrimabiles urguentur ignotique longa nocte, carent quia vate sacro, das gilt auch, wenn man post für ante setzt, und die gewalt Homers zeigt sich darin vielleicht am stärksten, wo er der rieseneiche gleich kein wachstum aufkommen lässt, so weit sein schatten reicht; aber den epheu am stamme und die mistel in den ästen nährt er mit dem eigenen safte. Nun trat ja freilich seit 600 etwa in der chorischen lyrik eine poesie Die heldensage; ihre geschichte. und Boeoter auch ihre eigene sprache nicht zu schreiben wagten. aberdie tatsache ist vorhanden, und weil sie uns modernen so fremdartig ist, kann man sie nicht stark und oft genug hervorheben. vixere fortes ante Agamemnona multi, sed omnes illacrimabiles urguentur ignotique longa nocte, carent quia vate sacro, das gilt auch, wenn man post für ante setzt, und die gewalt Homers zeigt sich darin vielleicht am stärksten, wo er der rieseneiche gleich kein wachstum aufkommen läſst, so weit sein schatten reicht; aber den epheu am stamme und die mistel in den ästen nährt er mit dem eigenen safte. Nun trat ja freilich seit 600 etwa in der chorischen lyrik eine poesie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0123" n="103"/><fw place="top" type="header">Die heldensage; ihre geschichte.</fw><lb/> und Boeoter auch ihre eigene sprache nicht zu schreiben wagten. aber<lb/> die tatsache ist vorhanden, und weil sie uns modernen so fremdartig ist,<lb/> kann man sie nicht stark und oft genug hervorheben. <hi rendition="#i">vixere fortes ante<lb/> Agamemnona multi, sed omnes illacrimabiles urguentur ignotique longa nocte,<lb/> carent quia vate sacro</hi>, das gilt auch, wenn man <hi rendition="#i">post</hi> für <hi rendition="#i">ante</hi> setzt, und<lb/> die gewalt Homers zeigt sich darin vielleicht am stärksten, wo er der<lb/> rieseneiche gleich kein wachstum aufkommen läſst, so weit sein schatten<lb/> reicht; aber den epheu am stamme und die mistel in den ästen nährt<lb/> er mit dem eigenen safte.</p><lb/> <p>Nun trat ja freilich seit 600 etwa in der chorischen lyrik eine poesie<lb/> auf, welche bedeutende dichter erzog, ein allgemeines interesse bei dem<lb/> herrschenden adel fand, und dem dorischen wesen weit näher stand als<lb/> das ionische epos. aber wo hat sie ihre vollendung erfahren? in Sicilien,<lb/> im Neuland, das kein epos besaſs. und wodurch hat sie Stesichoros aus<lb/> den dörflichen kreisen, die Alkman befriedigte, in die auch noch Korinna<lb/> gehört, emporgehoben? dadurch daſs er <hi rendition="#i">epici carminis onera lyra sustinuit</hi>,<lb/> durch die reception der sage. daſs der aufschwung der chorischen lyrik<lb/> den niedergang des epos im 6. jahrhundert beschleunigt hat, ist nicht<lb/> zweifelhaft, allein das traf nur die form. den inhalt übernahm sie; denn<lb/> wenn auch ihr kleid verschlissen war, war die sage selbst doch noch<lb/> frisch, und das volk konnte sich ohne sie eine erhabene poesie nicht<lb/> denken. wenn der dichter so wirken wollte, wie er es beanspruchte,<lb/> das volk es verlangte, muſste er die homerische sage behandeln. da be-<lb/> sitzen wir ja nun glücklicherweise die pindarischen gedichte, und können<lb/> mit eignen augen sehen. es sind lauter gelegenheitsgedichte, die erhal-<lb/> tenen rein menschlich persönlichen anlässen gewidmet. der dichter selbst,<lb/> erfüllt von einem selbstgefühl, das zuweilen an Platen erinnert, setzt<lb/> seine ganze individualität ein. aber der sage kann er kaum ein par<lb/> mal entraten. wenn ein obskurer herr aus einem obskuren kleinstaat,<lb/> etwa ein Opuntier, zu Olympia im ringkampfe gesiegt hat, so bemüht<lb/> Pindar nicht nur die olympischen heroen, er feiert nicht bloſs den home-<lb/> rischen helden, den die Opuntier sich vindicirt haben, sondern er formt<lb/> selbst die dortige localsage um, damit eine heroische verbindung zwischen<lb/> Opus und Elis die jüngste olympische groſstat eines Opuntiers verherr-<lb/> liche. er hat es sich zum gesetze gemacht, wie er selbst sagt, keinen<lb/> seiner lieben Aegineten zu besingen, ohne daſs die unvermeidlichen Aea-<lb/> kiden mit ihren heroischen bei der neuesten, freilich nur turnerischen,<lb/> groſstat gevatter stehn. und für den tyrannen von Kyrene liefert er<lb/> geradezu eine neue darstellung der Argonautensage. der dichter ist eine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0123]
Die heldensage; ihre geschichte.
und Boeoter auch ihre eigene sprache nicht zu schreiben wagten. aber
die tatsache ist vorhanden, und weil sie uns modernen so fremdartig ist,
kann man sie nicht stark und oft genug hervorheben. vixere fortes ante
Agamemnona multi, sed omnes illacrimabiles urguentur ignotique longa nocte,
carent quia vate sacro, das gilt auch, wenn man post für ante setzt, und
die gewalt Homers zeigt sich darin vielleicht am stärksten, wo er der
rieseneiche gleich kein wachstum aufkommen läſst, so weit sein schatten
reicht; aber den epheu am stamme und die mistel in den ästen nährt
er mit dem eigenen safte.
Nun trat ja freilich seit 600 etwa in der chorischen lyrik eine poesie
auf, welche bedeutende dichter erzog, ein allgemeines interesse bei dem
herrschenden adel fand, und dem dorischen wesen weit näher stand als
das ionische epos. aber wo hat sie ihre vollendung erfahren? in Sicilien,
im Neuland, das kein epos besaſs. und wodurch hat sie Stesichoros aus
den dörflichen kreisen, die Alkman befriedigte, in die auch noch Korinna
gehört, emporgehoben? dadurch daſs er epici carminis onera lyra sustinuit,
durch die reception der sage. daſs der aufschwung der chorischen lyrik
den niedergang des epos im 6. jahrhundert beschleunigt hat, ist nicht
zweifelhaft, allein das traf nur die form. den inhalt übernahm sie; denn
wenn auch ihr kleid verschlissen war, war die sage selbst doch noch
frisch, und das volk konnte sich ohne sie eine erhabene poesie nicht
denken. wenn der dichter so wirken wollte, wie er es beanspruchte,
das volk es verlangte, muſste er die homerische sage behandeln. da be-
sitzen wir ja nun glücklicherweise die pindarischen gedichte, und können
mit eignen augen sehen. es sind lauter gelegenheitsgedichte, die erhal-
tenen rein menschlich persönlichen anlässen gewidmet. der dichter selbst,
erfüllt von einem selbstgefühl, das zuweilen an Platen erinnert, setzt
seine ganze individualität ein. aber der sage kann er kaum ein par
mal entraten. wenn ein obskurer herr aus einem obskuren kleinstaat,
etwa ein Opuntier, zu Olympia im ringkampfe gesiegt hat, so bemüht
Pindar nicht nur die olympischen heroen, er feiert nicht bloſs den home-
rischen helden, den die Opuntier sich vindicirt haben, sondern er formt
selbst die dortige localsage um, damit eine heroische verbindung zwischen
Opus und Elis die jüngste olympische groſstat eines Opuntiers verherr-
liche. er hat es sich zum gesetze gemacht, wie er selbst sagt, keinen
seiner lieben Aegineten zu besingen, ohne daſs die unvermeidlichen Aea-
kiden mit ihren heroischen bei der neuesten, freilich nur turnerischen,
groſstat gevatter stehn. und für den tyrannen von Kyrene liefert er
geradezu eine neue darstellung der Argonautensage. der dichter ist eine
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