heisst, was er muss, und sich dann selbst über die schönheit des geschaf- fenen verwundern. Aischylos des Euphorion sohn von Eleusis führte den dialog ein: damit war das dramatische gefunden. und er gab dem bocks- gesang die heldensage zum inhalt: damit war das tragische gefunden.
Auch das ist nicht mit einem kühnen streiche gelungen; das schöne ist schwer. Aischylos hatte schon mehr als ein jahrzehnt chöre erhalten, ehe er einen sieg errang, vier jahre vor der schlacht bei Salamis. erst seitdem kann man glauben, dass er die volksstimmung hinter sich hatte. aber noch nicht 20 jahre später ward die tragödie in den festen formen constituirt, die wir kennen. der dichter selbst hatte unablässig an sich und seinem werke gearbeitet: seine letzte schöpfung ist nicht nur die voll- kommenste seiner, sondern überhaupt der attischen tragödie, mit seinen eignen anfängen kaum zu vergleichen. es ist ein abstand wie zwischen dem Athen, das bei Marathon schlug und dem, welches am Eurymedon sein Reich vollendete. der aber dieses im reiche der dichtung vollbrachte, war kein geringerer organisator als Themistokles und Aristeides. als er sich zuerst einmal entschloss, statt nur allein als sprecher neben dem chore aufzutreten, noch einen gefährten mitzubringen, mochte das ein geringes scheinen: er hat es noch erreicht, nicht nur das echt attische wortgefecht, schlag auf schlag, einzuführen, sondern selbst drei redner neben einander zu verwenden. er hat nicht nur den chor von der stelle des protagonisten zurückgeschoben, sondern auch den sprecher zum sänger gemacht, so dass das aeolische lied neben die ionische recitation und den dorischen chorgesang trat; die benutzung volkstümlicher weisen durch Aischylos ist ausdrücklich überliefert und auch unschwer zu beweisen. die vierzahl der chöre, die absonderung des satyrspiels, ein gewisses her- kommen für den umfang der einzelnen stücke und ihre gliederung hat sich festgestellt. eine hinterwand ist an den runden tanzplatz heran- getreten, und so hat sich erst das gebildet, was wir bühne nennen. eine feste sprache, ein tragischer stil ist geschaffen, unendlich reich an mitteln des ausdrucks, ermöglicht nur durch das zusammenarbeiten der mannig- fachsten zum teil widerstrebenden elemente, unter denen die noch völlig unausgebildete heimische sprache das sprödeste war. ganz wie den grün- dern des Reiches hat auch dem fürsten der attischen dichtung der dank seiner nachfolger gefehlt. Euripides setzt sich selbst herab durch die armselige sophistik, mit der er ihn schulmeistert, und Sophokles hat das hässliche wort gesprochen, dass Aischylos höchstens unbewusst das rechte tue. für den schöpfer waren die regeln, welche die späteren erfindsam genug waren, mit leichtigkeit zu erfüllen, freilich minder verbindlich,
Aischylos.
heiſst, was er muſs, und sich dann selbst über die schönheit des geschaf- fenen verwundern. Aischylos des Euphorion sohn von Eleusis führte den dialog ein: damit war das dramatische gefunden. und er gab dem bocks- gesang die heldensage zum inhalt: damit war das tragische gefunden.
Auch das ist nicht mit einem kühnen streiche gelungen; das schöne ist schwer. Aischylos hatte schon mehr als ein jahrzehnt chöre erhalten, ehe er einen sieg errang, vier jahre vor der schlacht bei Salamis. erst seitdem kann man glauben, daſs er die volksstimmung hinter sich hatte. aber noch nicht 20 jahre später ward die tragödie in den festen formen constituirt, die wir kennen. der dichter selbst hatte unablässig an sich und seinem werke gearbeitet: seine letzte schöpfung ist nicht nur die voll- kommenste seiner, sondern überhaupt der attischen tragödie, mit seinen eignen anfängen kaum zu vergleichen. es ist ein abstand wie zwischen dem Athen, das bei Marathon schlug und dem, welches am Eurymedon sein Reich vollendete. der aber dieses im reiche der dichtung vollbrachte, war kein geringerer organisator als Themistokles und Aristeides. als er sich zuerst einmal entschloſs, statt nur allein als sprecher neben dem chore aufzutreten, noch einen gefährten mitzubringen, mochte das ein geringes scheinen: er hat es noch erreicht, nicht nur das echt attische wortgefecht, schlag auf schlag, einzuführen, sondern selbst drei redner neben einander zu verwenden. er hat nicht nur den chor von der stelle des protagonisten zurückgeschoben, sondern auch den sprecher zum sänger gemacht, so daſs das aeolische lied neben die ionische recitation und den dorischen chorgesang trat; die benutzung volkstümlicher weisen durch Aischylos ist ausdrücklich überliefert und auch unschwer zu beweisen. die vierzahl der chöre, die absonderung des satyrspiels, ein gewisses her- kommen für den umfang der einzelnen stücke und ihre gliederung hat sich festgestellt. eine hinterwand ist an den runden tanzplatz heran- getreten, und so hat sich erst das gebildet, was wir bühne nennen. eine feste sprache, ein tragischer stil ist geschaffen, unendlich reich an mitteln des ausdrucks, ermöglicht nur durch das zusammenarbeiten der mannig- fachsten zum teil widerstrebenden elemente, unter denen die noch völlig unausgebildete heimische sprache das sprödeste war. ganz wie den grün- dern des Reiches hat auch dem fürsten der attischen dichtung der dank seiner nachfolger gefehlt. Euripides setzt sich selbst herab durch die armselige sophistik, mit der er ihn schulmeistert, und Sophokles hat das häſsliche wort gesprochen, daſs Aischylos höchstens unbewuſst das rechte tue. für den schöpfer waren die regeln, welche die späteren erfindsam genug waren, mit leichtigkeit zu erfüllen, freilich minder verbindlich,
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Aischylos.
heiſst, was er muſs, und sich dann selbst über die schönheit des geschaf-
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dialog ein: damit war das dramatische gefunden. und er gab dem bocks-
gesang die heldensage zum inhalt: damit war das tragische gefunden.
Auch das ist nicht mit einem kühnen streiche gelungen; das schöne
ist schwer. Aischylos hatte schon mehr als ein jahrzehnt chöre erhalten,
ehe er einen sieg errang, vier jahre vor der schlacht bei Salamis. erst
seitdem kann man glauben, daſs er die volksstimmung hinter sich hatte.
aber noch nicht 20 jahre später ward die tragödie in den festen formen
constituirt, die wir kennen. der dichter selbst hatte unablässig an sich und
seinem werke gearbeitet: seine letzte schöpfung ist nicht nur die voll-
kommenste seiner, sondern überhaupt der attischen tragödie, mit seinen
eignen anfängen kaum zu vergleichen. es ist ein abstand wie zwischen
dem Athen, das bei Marathon schlug und dem, welches am Eurymedon
sein Reich vollendete. der aber dieses im reiche der dichtung vollbrachte,
war kein geringerer organisator als Themistokles und Aristeides. als er
sich zuerst einmal entschloſs, statt nur allein als sprecher neben dem
chore aufzutreten, noch einen gefährten mitzubringen, mochte das ein
geringes scheinen: er hat es noch erreicht, nicht nur das echt attische
wortgefecht, schlag auf schlag, einzuführen, sondern selbst drei redner
neben einander zu verwenden. er hat nicht nur den chor von der stelle
des protagonisten zurückgeschoben, sondern auch den sprecher zum sänger
gemacht, so daſs das aeolische lied neben die ionische recitation und den
dorischen chorgesang trat; die benutzung volkstümlicher weisen durch
Aischylos ist ausdrücklich überliefert und auch unschwer zu beweisen.
die vierzahl der chöre, die absonderung des satyrspiels, ein gewisses her-
kommen für den umfang der einzelnen stücke und ihre gliederung hat
sich festgestellt. eine hinterwand ist an den runden tanzplatz heran-
getreten, und so hat sich erst das gebildet, was wir bühne nennen. eine
feste sprache, ein tragischer stil ist geschaffen, unendlich reich an mitteln
des ausdrucks, ermöglicht nur durch das zusammenarbeiten der mannig-
fachsten zum teil widerstrebenden elemente, unter denen die noch völlig
unausgebildete heimische sprache das sprödeste war. ganz wie den grün-
dern des Reiches hat auch dem fürsten der attischen dichtung der dank
seiner nachfolger gefehlt. Euripides setzt sich selbst herab durch die
armselige sophistik, mit der er ihn schulmeistert, und Sophokles hat das
häſsliche wort gesprochen, daſs Aischylos höchstens unbewuſst das rechte
tue. für den schöpfer waren die regeln, welche die späteren erfindsam
genug waren, mit leichtigkeit zu erfüllen, freilich minder verbindlich,
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/113>, abgerufen am 26.11.2024.
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