Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.Die beseitigung der grossen adelhäuser. die reform der archontenwahl. archon für 489/8 ward Aristeides gewählt, auch er aus städtischemadel27), ein entschiedener demokrat, der mit Philaiden und Alkmeoniden gleich wenig zu tun hatte. welche stellung er sonst in dieser zeit einnahm, ist nicht ersichtlich. es müssen aber jahre lebhaftester er- regung gewesen sein, denn das volk griff zu der äussersten waffe, zum scherbengericht, um einen festen curs zu bekommen. es war noch Kleisthenes gewesen, der diese institution geschaffen hatte, die er ohne zweifel fremdem vorbild, vielleicht den Argivern, entnahm, und die solche wirren, wie sie 510--507 Athen fast um seine existenz gebracht hatten, beseitigen sollte.28) aber bislang war man so ausgekommen: jetzt bejahte das volk die vorfrage, und gleich mehrere jahre hinter ein- ander. Hipparchos war der erste, der aus dem lande verwiesen wurde, dann ein oder der andere seiner anhänger, dann Megakles, den die chronik zu den tyrannenfreunden rechnet, dann dessen schwager Xan- thippos. so wurden nach einander die alten grossen geschlechter besei- tigt, Philaiden, Peisistratiden, Alkmeoniden. die welche blieben müssen als die treibenden kräfte bei diesem vorgehn angesehn werden, die beiden demokratischen führer, Aristeides und Themistokles. als sie das feld für sich frei hatten, wurden sie natürlich rivalen, und Aristeides musste weichen. Aber man stritt nicht nur um personen und dachte nicht nur anDie reform 27) Das folgt nicht aus dem demos Alopeke, in dem er ja nur 507 gewohnt zu haben braucht, aber wol daraus, dass er sein landgut und sein familiengrab in Phaleron hatte (Demetrios bei Plut. 1), den namen seines vaters Lysimachos führt ein college des schatzmeisters Andokides um 600 (CIA IV p. 199). dass Aristeides sich dem Kleisthenes angeschlossen hätte, ist erstens ein zug der jugendgeschichte, die bei diesen männern allen nichts anderes als freie fiction sein kann, zweitens soll er damit im gegensatze zu Themistokles als conservativer staatsmann bezeichnet werden, wie diese grundfalsche charakteristik in alter und neuer zeit mode ist. in wahrheit ist er prostates tou demou, das zeigt seine politik. 28) Dass Kleisthenes den ostrakismos mit einer spitze gegen die Peisistratiden
und speciell gegen Hipparchos eingeführt hätte, wie Aristoteles erzählt (22, 3), ist falsch geschlossen. weder war diese gefahr 507 dringend, noch hätte Kleisthenes dann sich gescheut, die gefährliche person so oder so anzugreifen. der ostrakismos ist eine rohe aber praktische entscheidung des volkes, ob es eine bestimmte person noch haben will; er entspricht den 'mistrauensvota' parlamentarisch regierter länder. deshalb ist immer, wo wir es controlliren können, einer da, für den der ostrakismos die unbestrittene macht bedeutet. und die erfahrung mit Isagoras konnte dem Kleisthenes allerdings dieses mittel empfehlen. Die beseitigung der groſsen adelhäuser. die reform der archontenwahl. archon für 489/8 ward Aristeides gewählt, auch er aus städtischemadel27), ein entschiedener demokrat, der mit Philaiden und Alkmeoniden gleich wenig zu tun hatte. welche stellung er sonst in dieser zeit einnahm, ist nicht ersichtlich. es müssen aber jahre lebhaftester er- regung gewesen sein, denn das volk griff zu der äuſsersten waffe, zum scherbengericht, um einen festen curs zu bekommen. es war noch Kleisthenes gewesen, der diese institution geschaffen hatte, die er ohne zweifel fremdem vorbild, vielleicht den Argivern, entnahm, und die solche wirren, wie sie 510—507 Athen fast um seine existenz gebracht hatten, beseitigen sollte.28) aber bislang war man so ausgekommen: jetzt bejahte das volk die vorfrage, und gleich mehrere jahre hinter ein- ander. Hipparchos war der erste, der aus dem lande verwiesen wurde, dann ein oder der andere seiner anhänger, dann Megakles, den die chronik zu den tyrannenfreunden rechnet, dann dessen schwager Xan- thippos. so wurden nach einander die alten groſsen geschlechter besei- tigt, Philaiden, Peisistratiden, Alkmeoniden. die welche blieben müssen als die treibenden kräfte bei diesem vorgehn angesehn werden, die beiden demokratischen führer, Aristeides und Themistokles. als sie das feld für sich frei hatten, wurden sie natürlich rivalen, und Aristeides muſste weichen. Aber man stritt nicht nur um personen und dachte nicht nur anDie reform 27) Das folgt nicht aus dem demos Alopeke, in dem er ja nur 507 gewohnt zu haben braucht, aber wol daraus, daſs er sein landgut und sein familiengrab in Phaleron hatte (Demetrios bei Plut. 1), den namen seines vaters Lysimachos führt ein college des schatzmeisters Andokides um 600 (CIA IV p. 199). daſs Aristeides sich dem Kleisthenes angeschlossen hätte, ist erstens ein zug der jugendgeschichte, die bei diesen männern allen nichts anderes als freie fiction sein kann, zweitens soll er damit im gegensatze zu Themistokles als conservativer staatsmann bezeichnet werden, wie diese grundfalsche charakteristik in alter und neuer zeit mode ist. in wahrheit ist er πϱοστάτης τοῦ δήμου, das zeigt seine politik. 28) Daſs Kleisthenes den ostrakismos mit einer spitze gegen die Peisistratiden
und speciell gegen Hipparchos eingeführt hätte, wie Aristoteles erzählt (22, 3), ist falsch geschlossen. weder war diese gefahr 507 dringend, noch hätte Kleisthenes dann sich gescheut, die gefährliche person so oder so anzugreifen. der ostrakismos ist eine rohe aber praktische entscheidung des volkes, ob es eine bestimmte person noch haben will; er entspricht den ‘mistrauensvota’ parlamentarisch regierter länder. deshalb ist immer, wo wir es controlliren können, einer da, für den der ostrakismos die unbestrittene macht bedeutet. und die erfahrung mit Isagoras konnte dem Kleisthenes allerdings dieses mittel empfehlen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0097" n="87"/><fw place="top" type="header">Die beseitigung der groſsen adelhäuser. die reform der archontenwahl.</fw><lb/> archon für 489/8 ward Aristeides gewählt, auch er aus städtischem<lb/> adel<note place="foot" n="27)">Das folgt nicht aus dem demos Alopeke, in dem er ja nur 507 gewohnt<lb/> zu haben braucht, aber wol daraus, daſs er sein landgut und sein familiengrab in<lb/> Phaleron hatte (Demetrios bei Plut. 1), den namen seines vaters Lysimachos führt<lb/> ein college des schatzmeisters Andokides um 600 (CIA IV p. 199). daſs Aristeides<lb/> sich dem Kleisthenes angeschlossen hätte, ist erstens ein zug der jugendgeschichte,<lb/> die bei diesen männern allen nichts anderes als freie fiction sein kann, zweitens soll<lb/> er damit im gegensatze zu Themistokles als conservativer staatsmann bezeichnet<lb/> werden, wie diese grundfalsche charakteristik in alter und neuer zeit mode ist. in<lb/> wahrheit ist er πϱοστάτης τοῦ δήμου, das zeigt seine politik.</note>, ein entschiedener demokrat, der mit Philaiden und Alkmeoniden<lb/> gleich wenig zu tun hatte. welche stellung er sonst in dieser zeit<lb/> einnahm, ist nicht ersichtlich. es müssen aber jahre lebhaftester er-<lb/> regung gewesen sein, denn das volk griff zu der äuſsersten waffe, zum<lb/> scherbengericht, um einen festen curs zu bekommen. es war noch<lb/> Kleisthenes gewesen, der diese institution geschaffen hatte, die er ohne<lb/> zweifel fremdem vorbild, vielleicht den Argivern, entnahm, und die<lb/> solche wirren, wie sie 510—507 Athen fast um seine existenz gebracht<lb/> hatten, beseitigen sollte.<note place="foot" n="28)">Daſs Kleisthenes den ostrakismos mit einer spitze gegen die Peisistratiden<lb/> und speciell gegen Hipparchos eingeführt hätte, wie Aristoteles erzählt (22, 3),<lb/> ist falsch geschlossen. weder war diese gefahr 507 dringend, noch hätte Kleisthenes<lb/> dann sich gescheut, die gefährliche person so oder so anzugreifen. der ostrakismos<lb/> ist eine rohe aber praktische entscheidung des volkes, ob es eine bestimmte person<lb/> noch haben will; er entspricht den ‘mistrauensvota’ parlamentarisch regierter länder.<lb/> deshalb ist immer, wo wir es controlliren können, einer da, für den der ostrakismos<lb/> die unbestrittene macht bedeutet. und die erfahrung mit Isagoras konnte dem<lb/> Kleisthenes allerdings dieses mittel empfehlen.</note> aber bislang war man so ausgekommen:<lb/> jetzt bejahte das volk die vorfrage, und gleich mehrere jahre hinter ein-<lb/> ander. Hipparchos war der erste, der aus dem lande verwiesen wurde,<lb/> dann ein oder der andere seiner anhänger, dann Megakles, den die<lb/> chronik zu den tyrannenfreunden rechnet, dann dessen schwager Xan-<lb/> thippos. so wurden nach einander die alten groſsen geschlechter besei-<lb/> tigt, Philaiden, Peisistratiden, Alkmeoniden. die welche blieben müssen<lb/> als die treibenden kräfte bei diesem vorgehn angesehn werden, die beiden<lb/> demokratischen führer, Aristeides und Themistokles. als sie das feld für<lb/> sich frei hatten, wurden sie natürlich rivalen, und Aristeides muſste<lb/> weichen.</p><lb/> <p>Aber man stritt nicht nur um personen und dachte nicht nur an<note place="right">Die reform<lb/> der archon-<lb/> tenwahl.</note><lb/> Dareios. die demokratie machte in demselben jahre, wo der erste ostra-<lb/> kismos statt fand, einen groſsen schritt vorwärts. der archon und seine<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0097]
Die beseitigung der groſsen adelhäuser. die reform der archontenwahl.
archon für 489/8 ward Aristeides gewählt, auch er aus städtischem
adel 27), ein entschiedener demokrat, der mit Philaiden und Alkmeoniden
gleich wenig zu tun hatte. welche stellung er sonst in dieser zeit
einnahm, ist nicht ersichtlich. es müssen aber jahre lebhaftester er-
regung gewesen sein, denn das volk griff zu der äuſsersten waffe, zum
scherbengericht, um einen festen curs zu bekommen. es war noch
Kleisthenes gewesen, der diese institution geschaffen hatte, die er ohne
zweifel fremdem vorbild, vielleicht den Argivern, entnahm, und die
solche wirren, wie sie 510—507 Athen fast um seine existenz gebracht
hatten, beseitigen sollte. 28) aber bislang war man so ausgekommen:
jetzt bejahte das volk die vorfrage, und gleich mehrere jahre hinter ein-
ander. Hipparchos war der erste, der aus dem lande verwiesen wurde,
dann ein oder der andere seiner anhänger, dann Megakles, den die
chronik zu den tyrannenfreunden rechnet, dann dessen schwager Xan-
thippos. so wurden nach einander die alten groſsen geschlechter besei-
tigt, Philaiden, Peisistratiden, Alkmeoniden. die welche blieben müssen
als die treibenden kräfte bei diesem vorgehn angesehn werden, die beiden
demokratischen führer, Aristeides und Themistokles. als sie das feld für
sich frei hatten, wurden sie natürlich rivalen, und Aristeides muſste
weichen.
Aber man stritt nicht nur um personen und dachte nicht nur an
Dareios. die demokratie machte in demselben jahre, wo der erste ostra-
kismos statt fand, einen groſsen schritt vorwärts. der archon und seine
Die reform
der archon-
tenwahl.
27) Das folgt nicht aus dem demos Alopeke, in dem er ja nur 507 gewohnt
zu haben braucht, aber wol daraus, daſs er sein landgut und sein familiengrab in
Phaleron hatte (Demetrios bei Plut. 1), den namen seines vaters Lysimachos führt
ein college des schatzmeisters Andokides um 600 (CIA IV p. 199). daſs Aristeides
sich dem Kleisthenes angeschlossen hätte, ist erstens ein zug der jugendgeschichte,
die bei diesen männern allen nichts anderes als freie fiction sein kann, zweitens soll
er damit im gegensatze zu Themistokles als conservativer staatsmann bezeichnet
werden, wie diese grundfalsche charakteristik in alter und neuer zeit mode ist. in
wahrheit ist er πϱοστάτης τοῦ δήμου, das zeigt seine politik.
28) Daſs Kleisthenes den ostrakismos mit einer spitze gegen die Peisistratiden
und speciell gegen Hipparchos eingeführt hätte, wie Aristoteles erzählt (22, 3),
ist falsch geschlossen. weder war diese gefahr 507 dringend, noch hätte Kleisthenes
dann sich gescheut, die gefährliche person so oder so anzugreifen. der ostrakismos
ist eine rohe aber praktische entscheidung des volkes, ob es eine bestimmte person
noch haben will; er entspricht den ‘mistrauensvota’ parlamentarisch regierter länder.
deshalb ist immer, wo wir es controlliren können, einer da, für den der ostrakismos
die unbestrittene macht bedeutet. und die erfahrung mit Isagoras konnte dem
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