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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Miltiades. Themistokles.
mann imponirte dem volke, mit der partei der alten tyrannenfreunde
verbanden ihn die traditionen seines hauses, der actionspartei war der
Perserfeind lieb. so trat er in den bürgerverband ein, in den demos der
Lakiaden, in dessen gemarkung sein vorstädtisches gut gelegen haben
wird: bezeichnend, dass man ihn dem diakrischen demos, der nach dem
Philaidengeschlechte hiess, nicht zuschreiben mochte. die furcht vor dem
tyrannen war gewiss nicht unberechtigt; aber dass Miltiades die führung
der antidemokratischen partei sofort übernommen hätte, ist gewiss nichts
als schematische geschichtsconstruction.

Der neue archon Themistokles hatte nur sein politisches genieThemi-
stokles.

einzusetzen, aber das war der höchste einsatz. gewiss hatte er die
forderung längst aufgestellt und wussten seine wähler, was seine wahl
bedeutete: die gründung einer flotte und eines hafens. als archon
hat er den hafen gebaut, der als kriegshafen von vorn herein ge-
gedacht war, also die gründung der flotte prinzipiell einschloss. in der
tat war Athen von der seeseite ganz offen: mit dem täglichen seewinde
konnten die Aegineten in ein par stunden auf der rhede von Phaleron
sein; man hatte es noch jüngst erfahren. und da die stadt Athen längst
den alten mauerring gesprengt hatte, auch die befestigungen der burg
nach 507 nicht wieder hergestellt waren19), so musste viel geschehen.
Themistokles fieng mit dem hafen an. die schiffe gehörten dazu, denn
die sollstärke der kriegsmarine belief sich nur auf die alten 50 offenen
kähne, von einer construction, die schon in gebrauch war, als Theseus
nach Delos segelte oder, wie wir moderner sagen können, als man die
Dipylonvasen bemalte. die seestaaten waren aber längst zum bau von
trieren fortgeschritten oder hatten doch wenigstens gedeckte schiffe, auf
denen schützen und lanzenkämpfer über den köpfen der ruderer fechten
konnten. diese galeeren verlangten eine grosse zahl von menschen, ihr
bau also eine sehr bedeutende steigerung der wehrpflicht und damit
eine ungeahnte belastung der finanzen. und wenn die menschen auch
überreichlich zur verfügung standen, weil ja die hopliten nur aus den
drei oberen steuerclassen genommen wurden, so bedingte die einstellung
der theten auf der flotte doch zweierlei: eine belastung der besitzen-
den; denn man darf annehmen, dass die trierarchie als öffentliche last
mit dem trierenbau von vorn herein verbunden war; und eine steige-
rung des selbstgefühles, also auch der politischen aspirationen der theten.

19) 480 mussten die verteidiger sich mit türflügeln und balken die berufene
hölzerne mauer herstellen (Herod. 8, 51): also war die steinerne nicht im stande.
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Miltiades. Themistokles.
mann imponirte dem volke, mit der partei der alten tyrannenfreunde
verbanden ihn die traditionen seines hauses, der actionspartei war der
Perserfeind lieb. so trat er in den bürgerverband ein, in den demos der
Lakiaden, in dessen gemarkung sein vorstädtisches gut gelegen haben
wird: bezeichnend, daſs man ihn dem diakrischen demos, der nach dem
Philaidengeschlechte hieſs, nicht zuschreiben mochte. die furcht vor dem
tyrannen war gewiſs nicht unberechtigt; aber daſs Miltiades die führung
der antidemokratischen partei sofort übernommen hätte, ist gewiſs nichts
als schematische geschichtsconstruction.

Der neue archon Themistokles hatte nur sein politisches genieThemi-
stokles.

einzusetzen, aber das war der höchste einsatz. gewiſs hatte er die
forderung längst aufgestellt und wuſsten seine wähler, was seine wahl
bedeutete: die gründung einer flotte und eines hafens. als archon
hat er den hafen gebaut, der als kriegshafen von vorn herein ge-
gedacht war, also die gründung der flotte prinzipiell einschloſs. in der
tat war Athen von der seeseite ganz offen: mit dem täglichen seewinde
konnten die Aegineten in ein par stunden auf der rhede von Phaleron
sein; man hatte es noch jüngst erfahren. und da die stadt Athen längst
den alten mauerring gesprengt hatte, auch die befestigungen der burg
nach 507 nicht wieder hergestellt waren19), so muſste viel geschehen.
Themistokles fieng mit dem hafen an. die schiffe gehörten dazu, denn
die sollstärke der kriegsmarine belief sich nur auf die alten 50 offenen
kähne, von einer construction, die schon in gebrauch war, als Theseus
nach Delos segelte oder, wie wir moderner sagen können, als man die
Dipylonvasen bemalte. die seestaaten waren aber längst zum bau von
trieren fortgeschritten oder hatten doch wenigstens gedeckte schiffe, auf
denen schützen und lanzenkämpfer über den köpfen der ruderer fechten
konnten. diese galeeren verlangten eine groſse zahl von menschen, ihr
bau also eine sehr bedeutende steigerung der wehrpflicht und damit
eine ungeahnte belastung der finanzen. und wenn die menschen auch
überreichlich zur verfügung standen, weil ja die hopliten nur aus den
drei oberen steuerclassen genommen wurden, so bedingte die einstellung
der theten auf der flotte doch zweierlei: eine belastung der besitzen-
den; denn man darf annehmen, daſs die trierarchie als öffentliche last
mit dem trierenbau von vorn herein verbunden war; und eine steige-
rung des selbstgefühles, also auch der politischen aspirationen der theten.

19) 480 muſsten die verteidiger sich mit türflügeln und balken die berufene
hölzerne mauer herstellen (Herod. 8, 51): also war die steinerne nicht im stande.
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[83/0093] Miltiades. Themistokles. mann imponirte dem volke, mit der partei der alten tyrannenfreunde verbanden ihn die traditionen seines hauses, der actionspartei war der Perserfeind lieb. so trat er in den bürgerverband ein, in den demos der Lakiaden, in dessen gemarkung sein vorstädtisches gut gelegen haben wird: bezeichnend, daſs man ihn dem diakrischen demos, der nach dem Philaidengeschlechte hieſs, nicht zuschreiben mochte. die furcht vor dem tyrannen war gewiſs nicht unberechtigt; aber daſs Miltiades die führung der antidemokratischen partei sofort übernommen hätte, ist gewiſs nichts als schematische geschichtsconstruction. Der neue archon Themistokles hatte nur sein politisches genie einzusetzen, aber das war der höchste einsatz. gewiſs hatte er die forderung längst aufgestellt und wuſsten seine wähler, was seine wahl bedeutete: die gründung einer flotte und eines hafens. als archon hat er den hafen gebaut, der als kriegshafen von vorn herein ge- gedacht war, also die gründung der flotte prinzipiell einschloſs. in der tat war Athen von der seeseite ganz offen: mit dem täglichen seewinde konnten die Aegineten in ein par stunden auf der rhede von Phaleron sein; man hatte es noch jüngst erfahren. und da die stadt Athen längst den alten mauerring gesprengt hatte, auch die befestigungen der burg nach 507 nicht wieder hergestellt waren 19), so muſste viel geschehen. Themistokles fieng mit dem hafen an. die schiffe gehörten dazu, denn die sollstärke der kriegsmarine belief sich nur auf die alten 50 offenen kähne, von einer construction, die schon in gebrauch war, als Theseus nach Delos segelte oder, wie wir moderner sagen können, als man die Dipylonvasen bemalte. die seestaaten waren aber längst zum bau von trieren fortgeschritten oder hatten doch wenigstens gedeckte schiffe, auf denen schützen und lanzenkämpfer über den köpfen der ruderer fechten konnten. diese galeeren verlangten eine groſse zahl von menschen, ihr bau also eine sehr bedeutende steigerung der wehrpflicht und damit eine ungeahnte belastung der finanzen. und wenn die menschen auch überreichlich zur verfügung standen, weil ja die hopliten nur aus den drei oberen steuerclassen genommen wurden, so bedingte die einstellung der theten auf der flotte doch zweierlei: eine belastung der besitzen- den; denn man darf annehmen, daſs die trierarchie als öffentliche last mit dem trierenbau von vorn herein verbunden war; und eine steige- rung des selbstgefühles, also auch der politischen aspirationen der theten. Themi- stokles. 19) 480 muſsten die verteidiger sich mit türflügeln und balken die berufene hölzerne mauer herstellen (Herod. 8, 51): also war die steinerne nicht im stande. 6*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/93>, abgerufen am 24.11.2024.