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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Athen nach 507. verwickelung mit Persien.
in ihr gedient. geschätzt hat man diese empfindungen schon früher
richtig; das aber haben wir erst durch Aristoteles erfahren, dass die
schönen siege über die Boeoter und Chalkidier noch von den alten, uns
unbekannten, heerverbänden geschlagen sind.

Die demokratie hat vielleicht schon 501 sich verschworen, mit denVerwicke-
lung mit
Persien.

Persern keinen vertrag zu schliessen, und es mag sein, dass sie durch
das ansinnen, das ihr von jener seite gestellt war, den Hippias wieder
aufzunehmen, gereizt war. man vergass es gern, dass man im drange
der not von 507 selbst zuerst dort hilfe gesucht und die gesandten
sogar die unterwerfung Athens angeboten hatten. jenes vorgehn war
ganz begreiflich gewesen, als Athen von allen seiten bedrängt, von Sparta
sogar mit der rückführung des Hippias bedroht war. eben so begreif-
lich war es, dass man die gesandten desavouirte, sobald man zu Sparta
wieder leidlich stand. die politik des staates Athen hatte eben binnen
wenig jahren eine volle axendrehung gemacht. erst mit Sparta und den
Alkmeoniden gegen Hippias, dann mit Sparta gegen die Alkmeoniden,
dann mit den Alkmeoniden gegen Sparta und Hippias. jetzt war man
wieder auf dem standpunkte von 510, Hippias aber hatte seinen rück-
halt an seinem lehnsherrn dem Perserkönig. das wies den Athenern
für ihr verhalten gegen Persien die wege. es kam hinzu, und das
war ungleich wirksamer, dass die demokratie sich gegen den beschützer
aller zwingherren, das hohe nationalgefühl der ältesten Ionierstadt sich
den bedrückten stammesgenossen drüben zuwandte. und Persien drohte
wirklich, das begriff man im nördlichen Hellas eher als im Peloponnes, wo
Sparta und Argos ihre alten händel ausfochten, ohne viel in die ferne
zu sehen. die parteien begannen sich zu scheiden. wenn Euboia und
Athen durch die sympathie und auch durch ihr handelsinteresse zu den
städten Thrakiens und Asiens gewiesen waren, so mussten Thessaler
und Boeoter mit den Persern gehn, und dann wieder die Phoker auf
die seite, wo die bedrücker nicht waren, zwischen denen eingeklemmt
sie kaum leben konnten.

Erst könig Dareios hat die Perserherrschaft den Hellenen drückend
gemacht, weil er ihnen mit kraftvoller machtentfaltung eine wirkliche
Reichsgewalt vor augen stellte. und bald gieng er planmässig zu der
unterwerfung Europas vor. der zug gegen die Skythen mislang zwar,
aber das machte nicht viel aus; Aischylos hat ihn ganz und gar ver-
gessen können. um 515 dachte man noch wenig an Persien, und was
die ionischen stadtherren an der brücke geredet haben mochten, kam nicht
ins publicum, das in der tat auch nicht viel interesse daran hatte, ob dieser

Athen nach 507. verwickelung mit Persien.
in ihr gedient. geschätzt hat man diese empfindungen schon früher
richtig; das aber haben wir erst durch Aristoteles erfahren, daſs die
schönen siege über die Boeoter und Chalkidier noch von den alten, uns
unbekannten, heerverbänden geschlagen sind.

Die demokratie hat vielleicht schon 501 sich verschworen, mit denVerwicke-
lung mit
Persien.

Persern keinen vertrag zu schlieſsen, und es mag sein, daſs sie durch
das ansinnen, das ihr von jener seite gestellt war, den Hippias wieder
aufzunehmen, gereizt war. man vergaſs es gern, daſs man im drange
der not von 507 selbst zuerst dort hilfe gesucht und die gesandten
sogar die unterwerfung Athens angeboten hatten. jenes vorgehn war
ganz begreiflich gewesen, als Athen von allen seiten bedrängt, von Sparta
sogar mit der rückführung des Hippias bedroht war. eben so begreif-
lich war es, daſs man die gesandten desavouirte, sobald man zu Sparta
wieder leidlich stand. die politik des staates Athen hatte eben binnen
wenig jahren eine volle axendrehung gemacht. erst mit Sparta und den
Alkmeoniden gegen Hippias, dann mit Sparta gegen die Alkmeoniden,
dann mit den Alkmeoniden gegen Sparta und Hippias. jetzt war man
wieder auf dem standpunkte von 510, Hippias aber hatte seinen rück-
halt an seinem lehnsherrn dem Perserkönig. das wies den Athenern
für ihr verhalten gegen Persien die wege. es kam hinzu, und das
war ungleich wirksamer, daſs die demokratie sich gegen den beschützer
aller zwingherren, das hohe nationalgefühl der ältesten Ionierstadt sich
den bedrückten stammesgenossen drüben zuwandte. und Persien drohte
wirklich, das begriff man im nördlichen Hellas eher als im Peloponnes, wo
Sparta und Argos ihre alten händel ausfochten, ohne viel in die ferne
zu sehen. die parteien begannen sich zu scheiden. wenn Euboia und
Athen durch die sympathie und auch durch ihr handelsinteresse zu den
städten Thrakiens und Asiens gewiesen waren, so muſsten Thessaler
und Boeoter mit den Persern gehn, und dann wieder die Phoker auf
die seite, wo die bedrücker nicht waren, zwischen denen eingeklemmt
sie kaum leben konnten.

Erst könig Dareios hat die Perserherrschaft den Hellenen drückend
gemacht, weil er ihnen mit kraftvoller machtentfaltung eine wirkliche
Reichsgewalt vor augen stellte. und bald gieng er planmäſsig zu der
unterwerfung Europas vor. der zug gegen die Skythen mislang zwar,
aber das machte nicht viel aus; Aischylos hat ihn ganz und gar ver-
gessen können. um 515 dachte man noch wenig an Persien, und was
die ionischen stadtherren an der brücke geredet haben mochten, kam nicht
ins publicum, das in der tat auch nicht viel interesse daran hatte, ob dieser

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[79/0089] Athen nach 507. verwickelung mit Persien. in ihr gedient. geschätzt hat man diese empfindungen schon früher richtig; das aber haben wir erst durch Aristoteles erfahren, daſs die schönen siege über die Boeoter und Chalkidier noch von den alten, uns unbekannten, heerverbänden geschlagen sind. Die demokratie hat vielleicht schon 501 sich verschworen, mit den Persern keinen vertrag zu schlieſsen, und es mag sein, daſs sie durch das ansinnen, das ihr von jener seite gestellt war, den Hippias wieder aufzunehmen, gereizt war. man vergaſs es gern, daſs man im drange der not von 507 selbst zuerst dort hilfe gesucht und die gesandten sogar die unterwerfung Athens angeboten hatten. jenes vorgehn war ganz begreiflich gewesen, als Athen von allen seiten bedrängt, von Sparta sogar mit der rückführung des Hippias bedroht war. eben so begreif- lich war es, daſs man die gesandten desavouirte, sobald man zu Sparta wieder leidlich stand. die politik des staates Athen hatte eben binnen wenig jahren eine volle axendrehung gemacht. erst mit Sparta und den Alkmeoniden gegen Hippias, dann mit Sparta gegen die Alkmeoniden, dann mit den Alkmeoniden gegen Sparta und Hippias. jetzt war man wieder auf dem standpunkte von 510, Hippias aber hatte seinen rück- halt an seinem lehnsherrn dem Perserkönig. das wies den Athenern für ihr verhalten gegen Persien die wege. es kam hinzu, und das war ungleich wirksamer, daſs die demokratie sich gegen den beschützer aller zwingherren, das hohe nationalgefühl der ältesten Ionierstadt sich den bedrückten stammesgenossen drüben zuwandte. und Persien drohte wirklich, das begriff man im nördlichen Hellas eher als im Peloponnes, wo Sparta und Argos ihre alten händel ausfochten, ohne viel in die ferne zu sehen. die parteien begannen sich zu scheiden. wenn Euboia und Athen durch die sympathie und auch durch ihr handelsinteresse zu den städten Thrakiens und Asiens gewiesen waren, so muſsten Thessaler und Boeoter mit den Persern gehn, und dann wieder die Phoker auf die seite, wo die bedrücker nicht waren, zwischen denen eingeklemmt sie kaum leben konnten. Verwicke- lung mit Persien. Erst könig Dareios hat die Perserherrschaft den Hellenen drückend gemacht, weil er ihnen mit kraftvoller machtentfaltung eine wirkliche Reichsgewalt vor augen stellte. und bald gieng er planmäſsig zu der unterwerfung Europas vor. der zug gegen die Skythen mislang zwar, aber das machte nicht viel aus; Aischylos hat ihn ganz und gar ver- gessen können. um 515 dachte man noch wenig an Persien, und was die ionischen stadtherren an der brücke geredet haben mochten, kam nicht ins publicum, das in der tat auch nicht viel interesse daran hatte, ob dieser

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/89>, abgerufen am 28.11.2024.