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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 2. Von Kekrops bis Solon.
dass der archon ihnen gleich am ersten tage den gegenwärtigen besitz-
stand garantire.

Die sorge für den besitz hat in der edleren für den stand ihre
ergänzung. der adel des blutes ist ein würdigerer als der des gutes.
die vorstellungen von der heiligkeit des blutadels haben den Athener
eigentlich immer beherrscht, und sie begleiten jeden einzelnen von der
wiege bis zur bahre. nicht als eine göttliche ordnung um der mensch-
lichen gesittung willen (wie Kekrops sie nach Philochoros gestiftet hat)
ist die ehe heilig, sondern um des rechtes der familie und des erbes
willen, und nur weil das alte recht eine form der religion ist, hat sie
eine religiöse weihe. die bruderschaft erkennt den knaben als geschlechts-
genossen, die jungfrau als tochter eines solchen an, fähig ebenbürtige
zu gebären. nicht leicht verletzt ein Athener die sorge für die erhaltung
des 'hauses' (oikos, so genannt, statt genos, seit auch die nicht adlichen
sich als adlich gebärden, weil sie gleich empfinden). die form der freien
vererbung ist die adoption, bei der die bruderschaft mitwirkt. in dem
culte der verstorbenen hausgenossen sieht der einzelne die garantie, dass
auch er des grabcultes nicht entbehren werde, die garantie der eigenen
grabesruhe. das liegt allen am herzen, und der privatbesitz an grund
und boden muss die zahllosen grabhügel und brandstätten (purkaiai)
schonen. noch zu Aristoteles zeit muss jeder archon zwar kein ver-
mögen, geschweige denn grundbesitz, aber wol ein erbbegräbnis nach-
weisen. das institut der erbtochter, im rechte von Gortyn denaturirt
zur emancipirung der weiber (wie es in dorischen staaten zu gehn
pflegte), ist von dem athenischen gesetze ängstlich geschützt; sie wird
als die kostbare blume behandelt, aus der dem hause neuer same er-
weckt werden soll. wir müssen aber auch anerkennen, dass der stand
das geistige und sittliche wolergehn und wolverhalten seiner genossen
ins auge gefasst hat, und auch nach dieser seite den staat und seine
organe, archonten und rat, zum einschreiten autorisirt und verpflichtet
hat. der standesgenosse hat als kind anspruch auf eine anständige er-
ziehung, als greis auf die pflege bei seinen nachkommen.26) man hat

26) Kürzlich ist ein sehr merkwürdiges document für dieses seltsame familien-
recht in Mykene ans licht getreten (Eph.arkh. 92, 67). es steht um eine runde basis,
auf der wol kein anderer stein, sondern ein anathem stand, ei me damiorgia eie,
tos iaromnamonas tos es Persen tois (verschrieben in tosi) goneusi kritenras e'~men
ka(t)ta wewremena. "falls kein ortsvorstand da ist, sollen die hieromnemonen die zum
Perseus gehn den eltern richter sein gemäss dem was verordnet ist". also die
eltern sind in der lage wider ihre kinder (nur im verhältnis zu denen sind sie eltern)

II. 2. Von Kekrops bis Solon.
daſs der archon ihnen gleich am ersten tage den gegenwärtigen besitz-
stand garantire.

Die sorge für den besitz hat in der edleren für den stand ihre
ergänzung. der adel des blutes ist ein würdigerer als der des gutes.
die vorstellungen von der heiligkeit des blutadels haben den Athener
eigentlich immer beherrscht, und sie begleiten jeden einzelnen von der
wiege bis zur bahre. nicht als eine göttliche ordnung um der mensch-
lichen gesittung willen (wie Kekrops sie nach Philochoros gestiftet hat)
ist die ehe heilig, sondern um des rechtes der familie und des erbes
willen, und nur weil das alte recht eine form der religion ist, hat sie
eine religiöse weihe. die bruderschaft erkennt den knaben als geschlechts-
genossen, die jungfrau als tochter eines solchen an, fähig ebenbürtige
zu gebären. nicht leicht verletzt ein Athener die sorge für die erhaltung
des ‘hauses’ (οἶκος, so genannt, statt γένος, seit auch die nicht adlichen
sich als adlich gebärden, weil sie gleich empfinden). die form der freien
vererbung ist die adoption, bei der die bruderschaft mitwirkt. in dem
culte der verstorbenen hausgenossen sieht der einzelne die garantie, daſs
auch er des grabcultes nicht entbehren werde, die garantie der eigenen
grabesruhe. das liegt allen am herzen, und der privatbesitz an grund
und boden muſs die zahllosen grabhügel und brandstätten (πυϱκαιαί)
schonen. noch zu Aristoteles zeit muſs jeder archon zwar kein ver-
mögen, geschweige denn grundbesitz, aber wol ein erbbegräbnis nach-
weisen. das institut der erbtochter, im rechte von Gortyn denaturirt
zur emancipirung der weiber (wie es in dorischen staaten zu gehn
pflegte), ist von dem athenischen gesetze ängstlich geschützt; sie wird
als die kostbare blume behandelt, aus der dem hause neuer same er-
weckt werden soll. wir müssen aber auch anerkennen, daſs der stand
das geistige und sittliche wolergehn und wolverhalten seiner genossen
ins auge gefaſst hat, und auch nach dieser seite den staat und seine
organe, archonten und rat, zum einschreiten autorisirt und verpflichtet
hat. der standesgenosse hat als kind anspruch auf eine anständige er-
ziehung, als greis auf die pflege bei seinen nachkommen.26) man hat

26) Kürzlich ist ein sehr merkwürdiges document für dieses seltsame familien-
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auf der wol kein anderer stein, sondern ein anathem stand, εἰ μὲ δαμιοϱγία εἴε,
τὸς ἱαϱομνάμονας τὸς ἐς Πεϱσε̃ τοῖς (verschrieben in τοσι) γονεῦσι κϱιτε̃ϱας ε῏μεν
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Perseus gehn den eltern richter sein gemäſs dem was verordnet ist”. also die
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[48/0058] II. 2. Von Kekrops bis Solon. daſs der archon ihnen gleich am ersten tage den gegenwärtigen besitz- stand garantire. Die sorge für den besitz hat in der edleren für den stand ihre ergänzung. der adel des blutes ist ein würdigerer als der des gutes. die vorstellungen von der heiligkeit des blutadels haben den Athener eigentlich immer beherrscht, und sie begleiten jeden einzelnen von der wiege bis zur bahre. nicht als eine göttliche ordnung um der mensch- lichen gesittung willen (wie Kekrops sie nach Philochoros gestiftet hat) ist die ehe heilig, sondern um des rechtes der familie und des erbes willen, und nur weil das alte recht eine form der religion ist, hat sie eine religiöse weihe. die bruderschaft erkennt den knaben als geschlechts- genossen, die jungfrau als tochter eines solchen an, fähig ebenbürtige zu gebären. nicht leicht verletzt ein Athener die sorge für die erhaltung des ‘hauses’ (οἶκος, so genannt, statt γένος, seit auch die nicht adlichen sich als adlich gebärden, weil sie gleich empfinden). die form der freien vererbung ist die adoption, bei der die bruderschaft mitwirkt. in dem culte der verstorbenen hausgenossen sieht der einzelne die garantie, daſs auch er des grabcultes nicht entbehren werde, die garantie der eigenen grabesruhe. das liegt allen am herzen, und der privatbesitz an grund und boden muſs die zahllosen grabhügel und brandstätten (πυϱκαιαί) schonen. noch zu Aristoteles zeit muſs jeder archon zwar kein ver- mögen, geschweige denn grundbesitz, aber wol ein erbbegräbnis nach- weisen. das institut der erbtochter, im rechte von Gortyn denaturirt zur emancipirung der weiber (wie es in dorischen staaten zu gehn pflegte), ist von dem athenischen gesetze ängstlich geschützt; sie wird als die kostbare blume behandelt, aus der dem hause neuer same er- weckt werden soll. wir müssen aber auch anerkennen, daſs der stand das geistige und sittliche wolergehn und wolverhalten seiner genossen ins auge gefaſst hat, und auch nach dieser seite den staat und seine organe, archonten und rat, zum einschreiten autorisirt und verpflichtet hat. der standesgenosse hat als kind anspruch auf eine anständige er- ziehung, als greis auf die pflege bei seinen nachkommen. 26) man hat 26) Kürzlich ist ein sehr merkwürdiges document für dieses seltsame familien- recht in Mykene ans licht getreten (Ἐφ.αϱχ. 92, 67). es steht um eine runde basis, auf der wol kein anderer stein, sondern ein anathem stand, εἰ μὲ δαμιοϱγία εἴε, τὸς ἱαϱομνάμονας τὸς ἐς Πεϱσε̃ τοῖς (verschrieben in τοσι) γονεῦσι κϱιτε̃ϱας ε῏μεν κα(τ)τὰ ϝεϝϱεμένα. “falls kein ortsvorstand da ist, sollen die hieromnemonen die zum Perseus gehn den eltern richter sein gemäſs dem was verordnet ist”. also die eltern sind in der lage wider ihre kinder (nur im verhältnis zu denen sind sie eltern)

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/58>, abgerufen am 24.11.2024.