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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Brief 7. 8. brief 4.
regeln gebunden hat: sein ultimatum an Athen ist in dem stile colto
des Isokrates gekalten. natürlich haben die Hellenen trotz Isokrates
vor und neben ihm wirkliche briefe geschrieben: aber so gern ich proben
hätte -- da ich für die fälschungen auf ältere namen nicht empfänglich
bin, so kenne ich keine.2) wenn Platon welche schrieb, des bin ich
sicher, hat er wie ein mensch, nicht wie ein rhetor geredet, freilich wie
der mensch Platon, als greis also wie der greis Goethe briefe schrieb.3)
der erste künstler des ächten briefstils aber ist bekanntlich Aristoteles
geworden. als junger mensch, recht sehr empfänglich für den zauber
der isokrateischen perioden, hat er sich des fictiven briefes für seinen
Protreptikos bedient. die reste seiner privatcorrespondenz aus den spä-
teren jahren rechtfertigen durchaus das lob seiner schule: sie tragen alle
vorzüge des ächten briefstils an sich. dasselbe tun die briefe des Ale-
xandros und was sonst in dessen correspondenz stand 4), natürlich mit
dem unterschiede, dass der könig der mutter vieles zugleich für sein
getreues volk mitteilt. er schreibt nach Issos an Olympias wie könig
Wilhelm an die königin. aber er schreibt nach den regeln des Aristo-
teles, nicht nach denen des Isokrates.

Nun wäre es ja sehr hübsch, wenn die drei sicher ächten briefeBrief 4.
die ganze sammlung retten könnten. aber so sicher sie ächt sind, gibt es
auch unächte. der empfehlungsbrief an Antipatros (4) ist von Bruno
Keil (Anal. Isocr. 142) durch die form so gut wie es mit solchen mitteln
möglich ist geächtet worden, und Blass (Att. Bereds. II2 329) hat vor-
gezogen, auf diesen beweis mit einer redensart zu erwidern, die nur
dem leser imponiren kann, der Keils buch nicht kennt, und auch dann
nicht: denn in den briefen die rede des 'gewöhnlichen lebens' zu
finden, ist eine zumutung, der nicht leicht jemand folge leisten kann;
Isokrates würde über sie entrüstet sein. aber sei's drum: ist das wort
sinos, gar im plural sine, etwa dem gewöhnlichen attischen leben

2) Von den staatsschriften in briefform, die von der persischen monarchie aus-
gehn, sehe ich ab, vgl. I 130.
3) Dass ich den sechsten platonischen brief nicht von vornherein verwerfe,
habe ich I 334 gestanden. aber ich weiss nicht, ob er ächt ist: die sehr schwere
untersuchung der sehr ungleichartigen und zumeist offenbar unächten platonischen
briefsammlung habe ich nicht geführt.
4) Vgl. meine bemerkung in Kaibels Athenaeus zu XIV 659 f. die correspon-
denz Alexanders war eine kostbare quelle: es ist für Arrian ein schwerer vorwurf,
dass er sie nicht aufgesucht hat. freilich hat er auch darin unbedachte nachtreter
gefunden. -- die sehr verdienstliche sammlung von Pridik habe ich nicht mehr be-
rücksichtigen können.

Brief 7. 8. brief 4.
regeln gebunden hat: sein ultimatum an Athen ist in dem stile colto
des Isokrates gekalten. natürlich haben die Hellenen trotz Isokrates
vor und neben ihm wirkliche briefe geschrieben: aber so gern ich proben
hätte — da ich für die fälschungen auf ältere namen nicht empfänglich
bin, so kenne ich keine.2) wenn Platon welche schrieb, des bin ich
sicher, hat er wie ein mensch, nicht wie ein rhetor geredet, freilich wie
der mensch Platon, als greis also wie der greis Goethe briefe schrieb.3)
der erste künstler des ächten briefstils aber ist bekanntlich Aristoteles
geworden. als junger mensch, recht sehr empfänglich für den zauber
der isokrateischen perioden, hat er sich des fictiven briefes für seinen
Protreptikos bedient. die reste seiner privatcorrespondenz aus den spä-
teren jahren rechtfertigen durchaus das lob seiner schule: sie tragen alle
vorzüge des ächten briefstils an sich. dasselbe tun die briefe des Ale-
xandros und was sonst in dessen correspondenz stand 4), natürlich mit
dem unterschiede, daſs der könig der mutter vieles zugleich für sein
getreues volk mitteilt. er schreibt nach Issos an Olympias wie könig
Wilhelm an die königin. aber er schreibt nach den regeln des Aristo-
teles, nicht nach denen des Isokrates.

Nun wäre es ja sehr hübsch, wenn die drei sicher ächten briefeBrief 4.
die ganze sammlung retten könnten. aber so sicher sie ächt sind, gibt es
auch unächte. der empfehlungsbrief an Antipatros (4) ist von Bruno
Keil (Anal. Isocr. 142) durch die form so gut wie es mit solchen mitteln
möglich ist geächtet worden, und Blaſs (Att. Bereds. II2 329) hat vor-
gezogen, auf diesen beweis mit einer redensart zu erwidern, die nur
dem leser imponiren kann, der Keils buch nicht kennt, und auch dann
nicht: denn in den briefen die rede des ‘gewöhnlichen lebens’ zu
finden, ist eine zumutung, der nicht leicht jemand folge leisten kann;
Isokrates würde über sie entrüstet sein. aber sei’s drum: ist das wort
σίνος, gar im plural σίνη, etwa dem gewöhnlichen attischen leben

2) Von den staatsschriften in briefform, die von der persischen monarchie aus-
gehn, sehe ich ab, vgl. I 130.
3) Daſs ich den sechsten platonischen brief nicht von vornherein verwerfe,
habe ich I 334 gestanden. aber ich weiſs nicht, ob er ächt ist: die sehr schwere
untersuchung der sehr ungleichartigen und zumeist offenbar unächten platonischen
briefsammlung habe ich nicht geführt.
4) Vgl. meine bemerkung in Kaibels Athenaeus zu XIV 659 f. die correspon-
denz Alexanders war eine kostbare quelle: es ist für Arrian ein schwerer vorwurf,
daſs er sie nicht aufgesucht hat. freilich hat er auch darin unbedachte nachtreter
gefunden. — die sehr verdienstliche sammlung von Pridik habe ich nicht mehr be-
rücksichtigen können.
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[393/0403] Brief 7. 8. brief 4. regeln gebunden hat: sein ultimatum an Athen ist in dem stile colto des Isokrates gekalten. natürlich haben die Hellenen trotz Isokrates vor und neben ihm wirkliche briefe geschrieben: aber so gern ich proben hätte — da ich für die fälschungen auf ältere namen nicht empfänglich bin, so kenne ich keine. 2) wenn Platon welche schrieb, des bin ich sicher, hat er wie ein mensch, nicht wie ein rhetor geredet, freilich wie der mensch Platon, als greis also wie der greis Goethe briefe schrieb. 3) der erste künstler des ächten briefstils aber ist bekanntlich Aristoteles geworden. als junger mensch, recht sehr empfänglich für den zauber der isokrateischen perioden, hat er sich des fictiven briefes für seinen Protreptikos bedient. die reste seiner privatcorrespondenz aus den spä- teren jahren rechtfertigen durchaus das lob seiner schule: sie tragen alle vorzüge des ächten briefstils an sich. dasselbe tun die briefe des Ale- xandros und was sonst in dessen correspondenz stand 4), natürlich mit dem unterschiede, daſs der könig der mutter vieles zugleich für sein getreues volk mitteilt. er schreibt nach Issos an Olympias wie könig Wilhelm an die königin. aber er schreibt nach den regeln des Aristo- teles, nicht nach denen des Isokrates. Nun wäre es ja sehr hübsch, wenn die drei sicher ächten briefe die ganze sammlung retten könnten. aber so sicher sie ächt sind, gibt es auch unächte. der empfehlungsbrief an Antipatros (4) ist von Bruno Keil (Anal. Isocr. 142) durch die form so gut wie es mit solchen mitteln möglich ist geächtet worden, und Blaſs (Att. Bereds. II2 329) hat vor- gezogen, auf diesen beweis mit einer redensart zu erwidern, die nur dem leser imponiren kann, der Keils buch nicht kennt, und auch dann nicht: denn in den briefen die rede des ‘gewöhnlichen lebens’ zu finden, ist eine zumutung, der nicht leicht jemand folge leisten kann; Isokrates würde über sie entrüstet sein. aber sei’s drum: ist das wort σίνος, gar im plural σίνη, etwa dem gewöhnlichen attischen leben Brief 4. 2) Von den staatsschriften in briefform, die von der persischen monarchie aus- gehn, sehe ich ab, vgl. I 130. 3) Daſs ich den sechsten platonischen brief nicht von vornherein verwerfe, habe ich I 334 gestanden. aber ich weiſs nicht, ob er ächt ist: die sehr schwere untersuchung der sehr ungleichartigen und zumeist offenbar unächten platonischen briefsammlung habe ich nicht geführt. 4) Vgl. meine bemerkung in Kaibels Athenaeus zu XIV 659 f. die correspon- denz Alexanders war eine kostbare quelle: es ist für Arrian ein schwerer vorwurf, daſs er sie nicht aufgesucht hat. freilich hat er auch darin unbedachte nachtreter gefunden. — die sehr verdienstliche sammlung von Pridik habe ich nicht mehr be- rücksichtigen können.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/403>, abgerufen am 28.11.2024.