Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.Veranlassung der rede. antwortlich zu machen und sich zu den feinden Athens freundlichzu stellen. damit ward der zusammenbruch der stolzen hoffnungen vollends unvermeidlich, und es war noch das gescheidteste, dass Athen gute miene machte und den königsfrieden freiwillig annahm (anfang 386). der verlust war materiell ohne zweifel durch den endlich erreichten frieden aufgewogen; aber moralisch musste er unersetzlich erscheinen, denn nur Athen bekam die schmach auf sein schuldconto, dass Asien dem könige ausgeliefert ward, die inseln aber geradezu ins leere fielen: wenn keine flotte im aegeischen meere herrscht, gehört es den piraten.4) Sparta mochte den Persern in dem verzichte auf Asien eine wertvolle concession zu machen scheinen: die Ionier wussten es besser, dass die plane des Lysandros und Agesilaos begraben waren, schon als dieser Asien räumte, und sein unfähiger schwager Peisandros sich von Konon schlagen liess.5) in Hellas selbst aber erhielt Sparta freie hand, und es scheute sich nicht, von dieser freiheit jeden gebrauch zu machen. da von dem alten Spartiatenadel nur noch eine tyrannische oligarchie übrig war, und Agesilaos sich jetzt darein gefunden hatte, mit dieser oligarchie gemeinsam scrupellos jede gebotene chance auszunutzen, ohne höhere ziele zu verfolgen, so trieb man das spiel der persönlichen willkür schamloser und ideenloser als je, ohne dass man auf mehr als localen widerstand stiess, der leicht beseitigt werden konnte. In Athen war unmittelbar naeh dem frieden eine völlige verwirrung, 4) Isokr. 4, 115 katapontistai ten thalattan katekhousi. mit dem seeraub pflegen die historiker zu wenig zu rechnen. er verschwindet von selbst, sobald eine vormacht da ist, die eine flotte hat. das prestige von Rhodos im 2 jahrhundert beruht wesentlich auf diesem schutze des meeres, und es ist die schmach der rö- mischen oligarchie, dass sie Rhodos die macht nimmt dem seeraube der Kreter und Kilikier zu steuern. von der verwüstung durch die piraten in dem jahrhundert zwischen L. Paullus und Pompeius haben die Kykladen sich bis auf den heutigen tag nicht erholt. 5) Agesilaos hat sich mit viel höherem getragen, als sein leben gehalten hat,
natürlich nicht mit nationalen, aber wol mit grossen planen persönlichen ehrgeizes. und selbst als er den ephoren folgsam aus Asien umkehrte, hat er nicht auf sie ver- zichtet. das beweist das aufgebot der Ionier, das er auf dem landmarsche mitnahm. erst der schlag von Knidos und der wertlose waffenerfolg von Koroneia bricht ihn: er entlässt die Ionier und ist seitdem nichts als der oberszlachtize in Sparta. fast ist es, als hätte die wunde von Koroneia sein egemonikon getroffen. Veranlassung der rede. antwortlich zu machen und sich zu den feinden Athens freundlichzu stellen. damit ward der zusammenbruch der stolzen hoffnungen vollends unvermeidlich, und es war noch das gescheidteste, daſs Athen gute miene machte und den königsfrieden freiwillig annahm (anfang 386). der verlust war materiell ohne zweifel durch den endlich erreichten frieden aufgewogen; aber moralisch muſste er unersetzlich erscheinen, denn nur Athen bekam die schmach auf sein schuldconto, daſs Asien dem könige ausgeliefert ward, die inseln aber geradezu ins leere fielen: wenn keine flotte im aegeischen meere herrscht, gehört es den piraten.4) Sparta mochte den Persern in dem verzichte auf Asien eine wertvolle concession zu machen scheinen: die Ionier wuſsten es besser, daſs die plane des Lysandros und Agesilaos begraben waren, schon als dieser Asien räumte, und sein unfähiger schwager Peisandros sich von Konon schlagen lieſs.5) in Hellas selbst aber erhielt Sparta freie hand, und es scheute sich nicht, von dieser freiheit jeden gebrauch zu machen. da von dem alten Spartiatenadel nur noch eine tyrannische oligarchie übrig war, und Agesilaos sich jetzt darein gefunden hatte, mit dieser oligarchie gemeinsam scrupellos jede gebotene chance auszunutzen, ohne höhere ziele zu verfolgen, so trieb man das spiel der persönlichen willkür schamloser und ideenloser als je, ohne daſs man auf mehr als localen widerstand stieſs, der leicht beseitigt werden konnte. In Athen war unmittelbar naeh dem frieden eine völlige verwirrung, 4) Isokr. 4, 115 καταποντισταὶ τὴν ϑάλατταν κατέχουσι. mit dem seeraub pflegen die historiker zu wenig zu rechnen. er verschwindet von selbst, sobald eine vormacht da ist, die eine flotte hat. das prestige von Rhodos im 2 jahrhundert beruht wesentlich auf diesem schutze des meeres, und es ist die schmach der rö- mischen oligarchie, daſs sie Rhodos die macht nimmt dem seeraube der Kreter und Kilikier zu steuern. von der verwüstung durch die piraten in dem jahrhundert zwischen L. Paullus und Pompeius haben die Kykladen sich bis auf den heutigen tag nicht erholt. 5) Agesilaos hat sich mit viel höherem getragen, als sein leben gehalten hat,
natürlich nicht mit nationalen, aber wol mit groſsen planen persönlichen ehrgeizes. und selbst als er den ephoren folgsam aus Asien umkehrte, hat er nicht auf sie ver- zichtet. das beweist das aufgebot der Ionier, das er auf dem landmarsche mitnahm. erst der schlag von Knidos und der wertlose waffenerfolg von Koroneia bricht ihn: er entläſst die Ionier und ist seitdem nichts als der oberszlachtize in Sparta. fast ist es, als hätte die wunde von Koroneia sein ἡγεμονικόν getroffen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0393" n="383"/><fw place="top" type="header">Veranlassung der rede.</fw><lb/> antwortlich zu machen und sich zu den feinden Athens freundlich<lb/> zu stellen. damit ward der zusammenbruch der stolzen hoffnungen<lb/> vollends unvermeidlich, und es war noch das gescheidteste, daſs Athen<lb/> gute miene machte und den königsfrieden freiwillig annahm (anfang<lb/> 386). der verlust war materiell ohne zweifel durch den endlich erreichten<lb/> frieden aufgewogen; aber moralisch muſste er unersetzlich erscheinen,<lb/> denn nur Athen bekam die schmach auf sein schuldconto, daſs Asien dem<lb/> könige ausgeliefert ward, die inseln aber geradezu ins leere fielen:<lb/> wenn keine flotte im aegeischen meere herrscht, gehört es den piraten.<note place="foot" n="4)">Isokr. 4, 115 καταποντισταὶ τὴν ϑάλατταν κατέχουσι. mit dem seeraub<lb/> pflegen die historiker zu wenig zu rechnen. er verschwindet von selbst, sobald<lb/> eine vormacht da ist, die eine flotte hat. das prestige von Rhodos im 2 jahrhundert<lb/> beruht wesentlich auf diesem schutze des meeres, und es ist die schmach der rö-<lb/> mischen oligarchie, daſs sie Rhodos die macht nimmt dem seeraube der Kreter und<lb/> Kilikier zu steuern. von der verwüstung durch die piraten in dem jahrhundert<lb/> zwischen L. Paullus und Pompeius haben die Kykladen sich bis auf den heutigen<lb/> tag nicht erholt.</note><lb/> Sparta mochte den Persern in dem verzichte auf Asien eine wertvolle<lb/> concession zu machen scheinen: die Ionier wuſsten es besser, daſs die<lb/> plane des Lysandros und Agesilaos begraben waren, schon als dieser<lb/> Asien räumte, und sein unfähiger schwager Peisandros sich von Konon<lb/> schlagen lieſs.<note place="foot" n="5)">Agesilaos hat sich mit viel höherem getragen, als sein leben gehalten hat,<lb/> natürlich nicht mit nationalen, aber wol mit groſsen planen persönlichen ehrgeizes.<lb/> und selbst als er den ephoren folgsam aus Asien umkehrte, hat er nicht auf sie ver-<lb/> zichtet. das beweist das aufgebot der Ionier, das er auf dem landmarsche mitnahm.<lb/> erst der schlag von Knidos und der wertlose waffenerfolg von Koroneia bricht ihn:<lb/> er entläſst die Ionier und ist seitdem nichts als der oberszlachtize in Sparta. fast<lb/> ist es, als hätte die wunde von Koroneia sein ἡγεμονικόν getroffen.</note> in Hellas selbst aber erhielt Sparta freie hand, und es<lb/> scheute sich nicht, von dieser freiheit jeden gebrauch zu machen. da<lb/> von dem alten Spartiatenadel nur noch eine tyrannische oligarchie übrig<lb/> war, und Agesilaos sich jetzt darein gefunden hatte, mit dieser oligarchie<lb/> gemeinsam scrupellos jede gebotene chance auszunutzen, ohne höhere<lb/> ziele zu verfolgen, so trieb man das spiel der persönlichen willkür<lb/> schamloser und ideenloser als je, ohne daſs man auf mehr als localen<lb/> widerstand stieſs, der leicht beseitigt werden konnte.</p><lb/> <p>In Athen war unmittelbar naeh dem frieden eine völlige verwirrung,<lb/> da es an führenden männern völlig gebrach, niemand den frieden als<lb/> grundlage der zukunft ehrlich vertreten mochte, aber noch weniger<lb/> jemand ihn zu brechen raten durfte. und doch war eben in den<lb/> Hellenen, die der friede preisgab, eine von den eigenen lebensinteressen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [383/0393]
Veranlassung der rede.
antwortlich zu machen und sich zu den feinden Athens freundlich
zu stellen. damit ward der zusammenbruch der stolzen hoffnungen
vollends unvermeidlich, und es war noch das gescheidteste, daſs Athen
gute miene machte und den königsfrieden freiwillig annahm (anfang
386). der verlust war materiell ohne zweifel durch den endlich erreichten
frieden aufgewogen; aber moralisch muſste er unersetzlich erscheinen,
denn nur Athen bekam die schmach auf sein schuldconto, daſs Asien dem
könige ausgeliefert ward, die inseln aber geradezu ins leere fielen:
wenn keine flotte im aegeischen meere herrscht, gehört es den piraten. 4)
Sparta mochte den Persern in dem verzichte auf Asien eine wertvolle
concession zu machen scheinen: die Ionier wuſsten es besser, daſs die
plane des Lysandros und Agesilaos begraben waren, schon als dieser
Asien räumte, und sein unfähiger schwager Peisandros sich von Konon
schlagen lieſs. 5) in Hellas selbst aber erhielt Sparta freie hand, und es
scheute sich nicht, von dieser freiheit jeden gebrauch zu machen. da
von dem alten Spartiatenadel nur noch eine tyrannische oligarchie übrig
war, und Agesilaos sich jetzt darein gefunden hatte, mit dieser oligarchie
gemeinsam scrupellos jede gebotene chance auszunutzen, ohne höhere
ziele zu verfolgen, so trieb man das spiel der persönlichen willkür
schamloser und ideenloser als je, ohne daſs man auf mehr als localen
widerstand stieſs, der leicht beseitigt werden konnte.
In Athen war unmittelbar naeh dem frieden eine völlige verwirrung,
da es an führenden männern völlig gebrach, niemand den frieden als
grundlage der zukunft ehrlich vertreten mochte, aber noch weniger
jemand ihn zu brechen raten durfte. und doch war eben in den
Hellenen, die der friede preisgab, eine von den eigenen lebensinteressen
4) Isokr. 4, 115 καταποντισταὶ τὴν ϑάλατταν κατέχουσι. mit dem seeraub
pflegen die historiker zu wenig zu rechnen. er verschwindet von selbst, sobald
eine vormacht da ist, die eine flotte hat. das prestige von Rhodos im 2 jahrhundert
beruht wesentlich auf diesem schutze des meeres, und es ist die schmach der rö-
mischen oligarchie, daſs sie Rhodos die macht nimmt dem seeraube der Kreter und
Kilikier zu steuern. von der verwüstung durch die piraten in dem jahrhundert
zwischen L. Paullus und Pompeius haben die Kykladen sich bis auf den heutigen
tag nicht erholt.
5) Agesilaos hat sich mit viel höherem getragen, als sein leben gehalten hat,
natürlich nicht mit nationalen, aber wol mit groſsen planen persönlichen ehrgeizes.
und selbst als er den ephoren folgsam aus Asien umkehrte, hat er nicht auf sie ver-
zichtet. das beweist das aufgebot der Ionier, das er auf dem landmarsche mitnahm.
erst der schlag von Knidos und der wertlose waffenerfolg von Koroneia bricht ihn:
er entläſst die Ionier und ist seitdem nichts als der oberszlachtize in Sparta. fast
ist es, als hätte die wunde von Koroneia sein ἡγεμονικόν getroffen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |