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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 9. Die rede für Polystratos.
erwählt hat. das war etwa im munichion des Kallias. aber mit dem eid-
schwur lässt der redner den eintritt in den rat zusammenfallen, denn
8 tage darauf geht Polystratos nach Eretria ab. es ist undenkbar unter
dem hier erwähnten eide einen anderen als zwei zeilen vorher zu ver-
stehen: also ist es nicht der ratsherreneid. undenkbar ist es auch, in Poly-
stratos einen ersatzmann für irgend einen verstorbnen der 400 (etwa
seinen nachbarn Phrynichos von Deirades) zu sehen, undenkbar seine ab-
fahrt nach Eretria mit der des Thymochares und seiner flotte gleich-
zusetzen (Thuk. 8, 93), der ja erst ende metageitnion des Theopompos
ausfuhr. der redner spricht vor leuten, die alles eben selbst erlebt
hatten, er konnte nicht die stellung als katalogeus mit der als ratsherr
willkürlich vermischen. seine worte verlangen vielmehr die auffassung,
dass die wahl zum katalogeus die zum ratsherrn in sich schloss. nach
dem beschlusse B b sollen die 100 kataloges aus den über 40 jahr
alten bürgern durch die phyle gewählt werden; nach dem beschlusse C b
die 400 ratsherren aus derselben kategorie auf dieselbe weise, nur sollen
die phylen eine grössere anzahl als 400 praesentiren; über den modus
der auswahl aus den prokritoi ist nichts vorgeschrieben. in wie weit
der letztere beschluss aber wirklich durchgeführt sei, sagt Aristoteles
nicht: natürlich ist man zunächst verbunden zu glauben, dass nach
dem beschlusse verfahren sei, und Aristoteles mag es selbst geglaubt
haben. die Athener hatten aber in den kataloges bereits 100 genau
ebenso qualificirte und genau eben so gewählte männer, wie sie sie für
den rat wünschten. hineingekommen würde die mehrzahl von diesen wol
sicher sein, auch wenn eine neuwahl stattgefunden hätte. hören wir also
von einem zeitgenössischen redner, dass die wahl zum katalogeus mit der
zum ratsherrn gleichgesetzt wird, so scheint mir die erklärung geboten,
dass das volk, sei es in einem amendement zu C, das Aristoteles nicht
gekannt hat, sei es in einem weiteren beschlusse, die aufnahme der 100
in den rat verfügt hat.2) der irrtum des Thukydides, dass schon in der
versammlung auf dem Kolonos, wo mit B b in wahrheit nur die kata-
loges eingesetzt wurden, die 400 gewählt wären, wird nun bedeutend
leichter. ich wage aber noch weiter zu gehen. Thukydides erzählt, Pei-
sandros hätte auf dem Kolonos durchgesetzt, dass das volk 5 proedroi,

2) Ich rechne mit absicht nicht mit dem was ich doch wahrscheinlich gemacht
zu haben glaube, dass Aristoteles die urkunden in einer rede des Theramenes ge-
funden hat, also gar nicht mehr über die geschichte wusste, als sie selbst auch uns
bieten. in diesem falle ist alles selbstverständlich, was ich erst wahrscheinlich
machen will.

III. 9. Die rede für Polystratos.
erwählt hat. das war etwa im munichion des Kallias. aber mit dem eid-
schwur läſst der redner den eintritt in den rat zusammenfallen, denn
8 tage darauf geht Polystratos nach Eretria ab. es ist undenkbar unter
dem hier erwähnten eide einen anderen als zwei zeilen vorher zu ver-
stehen: also ist es nicht der ratsherreneid. undenkbar ist es auch, in Poly-
stratos einen ersatzmann für irgend einen verstorbnen der 400 (etwa
seinen nachbarn Phrynichos von Deirades) zu sehen, undenkbar seine ab-
fahrt nach Eretria mit der des Thymochares und seiner flotte gleich-
zusetzen (Thuk. 8, 93), der ja erst ende metageitnion des Theopompos
ausfuhr. der redner spricht vor leuten, die alles eben selbst erlebt
hatten, er konnte nicht die stellung als καταλογεύς mit der als ratsherr
willkürlich vermischen. seine worte verlangen vielmehr die auffassung,
daſs die wahl zum καταλογεύς die zum ratsherrn in sich schloſs. nach
dem beschlusse B b sollen die 100 καταλογῆς aus den über 40 jahr
alten bürgern durch die phyle gewählt werden; nach dem beschlusse C b
die 400 ratsherren aus derselben kategorie auf dieselbe weise, nur sollen
die phylen eine gröſsere anzahl als 400 praesentiren; über den modus
der auswahl aus den πϱόκϱιτοι ist nichts vorgeschrieben. in wie weit
der letztere beschluſs aber wirklich durchgeführt sei, sagt Aristoteles
nicht: natürlich ist man zunächst verbunden zu glauben, daſs nach
dem beschlusse verfahren sei, und Aristoteles mag es selbst geglaubt
haben. die Athener hatten aber in den καταλογῆς bereits 100 genau
ebenso qualificirte und genau eben so gewählte männer, wie sie sie für
den rat wünschten. hineingekommen würde die mehrzahl von diesen wol
sicher sein, auch wenn eine neuwahl stattgefunden hätte. hören wir also
von einem zeitgenössischen redner, daſs die wahl zum καταλογεύς mit der
zum ratsherrn gleichgesetzt wird, so scheint mir die erklärung geboten,
daſs das volk, sei es in einem amendement zu C, das Aristoteles nicht
gekannt hat, sei es in einem weiteren beschlusse, die aufnahme der 100
in den rat verfügt hat.2) der irrtum des Thukydides, daſs schon in der
versammlung auf dem Kolonos, wo mit B b in wahrheit nur die κατα-
λογῆς eingesetzt wurden, die 400 gewählt wären, wird nun bedeutend
leichter. ich wage aber noch weiter zu gehen. Thukydides erzählt, Pei-
sandros hätte auf dem Kolonos durchgesetzt, daſs das volk 5 πϱόεδϱοι,

2) Ich rechne mit absicht nicht mit dem was ich doch wahrscheinlich gemacht
zu haben glaube, daſs Aristoteles die urkunden in einer rede des Theramenes ge-
funden hat, also gar nicht mehr über die geschichte wuſste, als sie selbst auch uns
bieten. in diesem falle ist alles selbstverständlich, was ich erst wahrscheinlich
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[357/0367] III. 9. Die rede für Polystratos. erwählt hat. das war etwa im munichion des Kallias. aber mit dem eid- schwur läſst der redner den eintritt in den rat zusammenfallen, denn 8 tage darauf geht Polystratos nach Eretria ab. es ist undenkbar unter dem hier erwähnten eide einen anderen als zwei zeilen vorher zu ver- stehen: also ist es nicht der ratsherreneid. undenkbar ist es auch, in Poly- stratos einen ersatzmann für irgend einen verstorbnen der 400 (etwa seinen nachbarn Phrynichos von Deirades) zu sehen, undenkbar seine ab- fahrt nach Eretria mit der des Thymochares und seiner flotte gleich- zusetzen (Thuk. 8, 93), der ja erst ende metageitnion des Theopompos ausfuhr. der redner spricht vor leuten, die alles eben selbst erlebt hatten, er konnte nicht die stellung als καταλογεύς mit der als ratsherr willkürlich vermischen. seine worte verlangen vielmehr die auffassung, daſs die wahl zum καταλογεύς die zum ratsherrn in sich schloſs. nach dem beschlusse B b sollen die 100 καταλογῆς aus den über 40 jahr alten bürgern durch die phyle gewählt werden; nach dem beschlusse C b die 400 ratsherren aus derselben kategorie auf dieselbe weise, nur sollen die phylen eine gröſsere anzahl als 400 praesentiren; über den modus der auswahl aus den πϱόκϱιτοι ist nichts vorgeschrieben. in wie weit der letztere beschluſs aber wirklich durchgeführt sei, sagt Aristoteles nicht: natürlich ist man zunächst verbunden zu glauben, daſs nach dem beschlusse verfahren sei, und Aristoteles mag es selbst geglaubt haben. die Athener hatten aber in den καταλογῆς bereits 100 genau ebenso qualificirte und genau eben so gewählte männer, wie sie sie für den rat wünschten. hineingekommen würde die mehrzahl von diesen wol sicher sein, auch wenn eine neuwahl stattgefunden hätte. hören wir also von einem zeitgenössischen redner, daſs die wahl zum καταλογεύς mit der zum ratsherrn gleichgesetzt wird, so scheint mir die erklärung geboten, daſs das volk, sei es in einem amendement zu C, das Aristoteles nicht gekannt hat, sei es in einem weiteren beschlusse, die aufnahme der 100 in den rat verfügt hat. 2) der irrtum des Thukydides, daſs schon in der versammlung auf dem Kolonos, wo mit B b in wahrheit nur die κατα- λογῆς eingesetzt wurden, die 400 gewählt wären, wird nun bedeutend leichter. ich wage aber noch weiter zu gehen. Thukydides erzählt, Pei- sandros hätte auf dem Kolonos durchgesetzt, daſs das volk 5 πϱόεδϱοι, 2) Ich rechne mit absicht nicht mit dem was ich doch wahrscheinlich gemacht zu haben glaube, daſs Aristoteles die urkunden in einer rede des Theramenes ge- funden hat, also gar nicht mehr über die geschichte wuſste, als sie selbst auch uns bieten. in diesem falle ist alles selbstverständlich, was ich erst wahrscheinlich machen will.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/367>, abgerufen am 25.04.2024.