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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 13. Prokheirotonia.

Die geschäftsordnung, wie sie Aristoteles gibt (43, 4--6), lässt diese
solonische oder besser kleisthenische ordnung noch ganz klar er-
kennen; selbst die längst obsolet gewordene vorfrage nach dem scherben-
gerichte war auf dem papiere erhalten. geändert ist nur, dass in anbe-
tracht der regelmässigen geschäftslast ausser der kuria ekklesia noch
drei versammlungen für die prytanie gesetzlich vorgeschrieben sind, von
denen für eine die verhandlung über die bittgesuche allein als not-
wendiger gegenstand der verhandlung auf der tagesordnung steht, für
die beiden andern ist die ganze tagesordnung dem belieben des vor-
sitzenden frei gegeben, da 'heiliges und profanes und verhandlung
mit herolden und gesandten' alles mögliche umfasst. in wahrheit sind
auch bittgesuche kaum noch vorgekommen; der rat hatte also auch die
zweite versammlung frei zu seiner verfügung. denn die geschäftsordnung
schrieb nur vor, was behandelt werden sollte, schloss aber damit nichts
aus. die steine lehren bekanntlich, dass man die drei versammlungen
zweiter ordnung gar nicht in der terminologie unterschieden hat, da-
gegen in der kuria auch alles mögliche verhandelt, was nicht unter
die rubriken ihrer geschäftsordnung fällt, selbstverständlich nachdem
deren gegenstände erledigt waren. die durch religiöse rücksichten ge-
forderten sitzungen nach den grossen festen, Dionysien, Mysterien, doch
wol auch Panathenaeen, die sicherlich zunächst über diese bestimmten
gegenstände zu verhandeln hatten, sind von Aristoteles seiner gewohnheit
gemäss übergangen, weil nur das religiöse an ihnen etwas besonderes
war. die steine haben ausserdem gelehrt, dass der rat völlig frei war,
in welcher ordnung er die versammlungen einer prytanie anberaumen
wollte, dagegen bestimmte tage der prytanie fast regelmässig versamm-
lungstage des volkes waren, während bestimmte monatstage aus religiösen
rücksichten frei zu bleiben pflegten. 1)

Die aufstellung der tagesordnung ist ausschliesslich sache des rates,
soweit nicht das volk ihm vorher gesetzliche weisung erteilt hat. das
sehen wir in verschiedenster weise geschehen. bald wird er angewiesen,
eine sache in der nächsten sitzung vorzubringen, bald wird einem
künftigen prytanencollegium diese weisung gegeben, bald wird ein gegen-
stand oder der noch unbekannte antrag einer person einmal oder für
alle zeit unter die bevorzugten der geschäftsordnung eingereiht, so dass
darüber verhandelt wird en tois ierois, euthus meta ta iera, oder er

1) Die vortreffliche arbeit von Reusch (de dieb. contion. ordinar.) verdient
bereits einen nachtrag aus dem zugewachsenen materiale.
II. 13. Πϱοχειϱοτονία.

Die geschäftsordnung, wie sie Aristoteles gibt (43, 4—6), läſst diese
solonische oder besser kleisthenische ordnung noch ganz klar er-
kennen; selbst die längst obsolet gewordene vorfrage nach dem scherben-
gerichte war auf dem papiere erhalten. geändert ist nur, daſs in anbe-
tracht der regelmäſsigen geschäftslast auſser der κυϱία ἐκκλησία noch
drei versammlungen für die prytanie gesetzlich vorgeschrieben sind, von
denen für eine die verhandlung über die bittgesuche allein als not-
wendiger gegenstand der verhandlung auf der tagesordnung steht, für
die beiden andern ist die ganze tagesordnung dem belieben des vor-
sitzenden frei gegeben, da ‘heiliges und profanes und verhandlung
mit herolden und gesandten’ alles mögliche umfaſst. in wahrheit sind
auch bittgesuche kaum noch vorgekommen; der rat hatte also auch die
zweite versammlung frei zu seiner verfügung. denn die geschäftsordnung
schrieb nur vor, was behandelt werden sollte, schloſs aber damit nichts
aus. die steine lehren bekanntlich, daſs man die drei versammlungen
zweiter ordnung gar nicht in der terminologie unterschieden hat, da-
gegen in der κυϱία auch alles mögliche verhandelt, was nicht unter
die rubriken ihrer geschäftsordnung fällt, selbstverständlich nachdem
deren gegenstände erledigt waren. die durch religiöse rücksichten ge-
forderten sitzungen nach den groſsen festen, Dionysien, Mysterien, doch
wol auch Panathenaeen, die sicherlich zunächst über diese bestimmten
gegenstände zu verhandeln hatten, sind von Aristoteles seiner gewohnheit
gemäſs übergangen, weil nur das religiöse an ihnen etwas besonderes
war. die steine haben auſserdem gelehrt, daſs der rat völlig frei war,
in welcher ordnung er die versammlungen einer prytanie anberaumen
wollte, dagegen bestimmte tage der prytanie fast regelmäſsig versamm-
lungstage des volkes waren, während bestimmte monatstage aus religiösen
rücksichten frei zu bleiben pflegten. 1)

Die aufstellung der tagesordnung ist ausschlieſslich sache des rates,
soweit nicht das volk ihm vorher gesetzliche weisung erteilt hat. das
sehen wir in verschiedenster weise geschehen. bald wird er angewiesen,
eine sache in der nächsten sitzung vorzubringen, bald wird einem
künftigen prytanencollegium diese weisung gegeben, bald wird ein gegen-
stand oder der noch unbekannte antrag einer person einmal oder für
alle zeit unter die bevorzugten der geschäftsordnung eingereiht, so daſs
darüber verhandelt wird ἐν τοῖς ἱεϱοῖς, εὐϑὺς μετὰ τὰ ἱεϱά, oder er

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bereits einen nachtrag aus dem zugewachsenen materiale.
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[253/0263] II. 13. Πϱοχειϱοτονία. Die geschäftsordnung, wie sie Aristoteles gibt (43, 4—6), läſst diese solonische oder besser kleisthenische ordnung noch ganz klar er- kennen; selbst die längst obsolet gewordene vorfrage nach dem scherben- gerichte war auf dem papiere erhalten. geändert ist nur, daſs in anbe- tracht der regelmäſsigen geschäftslast auſser der κυϱία ἐκκλησία noch drei versammlungen für die prytanie gesetzlich vorgeschrieben sind, von denen für eine die verhandlung über die bittgesuche allein als not- wendiger gegenstand der verhandlung auf der tagesordnung steht, für die beiden andern ist die ganze tagesordnung dem belieben des vor- sitzenden frei gegeben, da ‘heiliges und profanes und verhandlung mit herolden und gesandten’ alles mögliche umfaſst. in wahrheit sind auch bittgesuche kaum noch vorgekommen; der rat hatte also auch die zweite versammlung frei zu seiner verfügung. denn die geschäftsordnung schrieb nur vor, was behandelt werden sollte, schloſs aber damit nichts aus. die steine lehren bekanntlich, daſs man die drei versammlungen zweiter ordnung gar nicht in der terminologie unterschieden hat, da- gegen in der κυϱία auch alles mögliche verhandelt, was nicht unter die rubriken ihrer geschäftsordnung fällt, selbstverständlich nachdem deren gegenstände erledigt waren. die durch religiöse rücksichten ge- forderten sitzungen nach den groſsen festen, Dionysien, Mysterien, doch wol auch Panathenaeen, die sicherlich zunächst über diese bestimmten gegenstände zu verhandeln hatten, sind von Aristoteles seiner gewohnheit gemäſs übergangen, weil nur das religiöse an ihnen etwas besonderes war. die steine haben auſserdem gelehrt, daſs der rat völlig frei war, in welcher ordnung er die versammlungen einer prytanie anberaumen wollte, dagegen bestimmte tage der prytanie fast regelmäſsig versamm- lungstage des volkes waren, während bestimmte monatstage aus religiösen rücksichten frei zu bleiben pflegten. 1) Die aufstellung der tagesordnung ist ausschlieſslich sache des rates, soweit nicht das volk ihm vorher gesetzliche weisung erteilt hat. das sehen wir in verschiedenster weise geschehen. bald wird er angewiesen, eine sache in der nächsten sitzung vorzubringen, bald wird einem künftigen prytanencollegium diese weisung gegeben, bald wird ein gegen- stand oder der noch unbekannte antrag einer person einmal oder für alle zeit unter die bevorzugten der geschäftsordnung eingereiht, so daſs darüber verhandelt wird ἐν τοῖς ἱεϱοῖς, εὐϑὺς μετὰ τὰ ἱεϱά, oder er 1) Die vortreffliche arbeit von Reusch (de dieb. contion. ordinar.) verdient bereits einen nachtrag aus dem zugewachsenen materiale.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/263>, abgerufen am 24.11.2024.