Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.euthuna. einem kurzen worte bezeichnete, und dass sowol logon wie euthunasdidonai im leben gesagt ward ohne das complement auszuschliessen, vollends aber für die befristung epeidan tas euthunas do stehend ward: das war ja der schlussact.21) wenn er in der formel notwendig vorwog, so tat es in der praxis eben so notwendig die erste gerichtsverhandlung vor den logisten. denn das war gleich die erste gelegenheit, wo der angriff losgehen konnte, da war mündliches verfahren, da sassen die souveränen richter und liess sich schleunigst ein urteil erstreiten. wie sollte dem gegenüber der weitläufige instanzenzug des euthynenverfahrens reizen? die privaten mochten allerdings von ihm notgedrungen ge- brauch machen; davon hören wir kaum etwas. für die haupt- und staats- processe war der weg der eisangelie beim volke wirksamer und beliebter; nur selten mag jemand den vorteil, auch leibesstrafen beantragen zu können, durch die weiterungen des verfahrens bei dem euthynos er- kauft haben. man kann allerdings auch nicht verbürgen, dass die Athener das recht sorgfältig gewahrt haben und nicht etwa auch in logistenver- handlungen strafanträge auf tod zugelassen oder gar zuerkannt haben, seitdem die amtsführung, nicht bloss die rechnungsführung hineingezogen ward, wozu die bussen adikiou veranlassung boten. tatsache ist, dass die meisten schweren anklagen im vierten jahrhundert durch eisangelie erhoben sind, die logisten manchmal erwähnt werden, die euthynen nur einmal, in einem volksbeschlusse, dessen antragsteller die alte formel nicht ohne unklarheit verwendet.22) aber die gesandtschaftsreden der beiden grossen redner sind vielleicht vor den thesmotheten gehalten, also auf dem wege einer von Demosthenes (und vorher auch von Timarchos) eingereichten denuntiation bei dem euthynos.23) 21) Doch findet sich natürlich auch epeidan logon kai euthunas do Aisch. 3, 11. 22) CIA II 809b ean de tis me poesei ois ekasta prostetaktai e arkhon e idiotes kata tode to psephisma, opheileto o me poesas murias drakhmas ieras tei Athenai kai o euthunos kai oi paredroi epanagkes auton katagignoskonton e autoi opheilonton. vorgeschrieben ist also, dass der euthynos jede beschwerde un- bedingt annehmen muss, also das recht der vorprüfung verliert. verständlich ist das auch erst durch das aristotelische capitel. wie ein privatmann beim euthynos denunzirt werden konnte, ist allerdings unverständlich. der ganze tenor klingt sehr archaisch, und die ganze coloniegründung, zu der dieses psephisma gehört, ist ein ausfluss der lykurgischen restaurationspolitik. so dürfte auch hier die formel eben nur formel sein. 23) Die landläufige ansicht, dass die logisten vorsassen, ist mit Dem. 19, 211
nicht bewiesen: da steht nur, dass Aischines vor den logisten das logon didonai der zweiten gesandschaft verhindern wollte, da sie ja schon euthunas dedokotes wären. die formeln werden so unterschieden. ob Aischines dann logon dedoke, εὔϑυνα. einem kurzen worte bezeichnete, und daſs sowol λόγον wie εὐϑύναςδιδόναι im leben gesagt ward ohne das complement auszuschlieſsen, vollends aber für die befristung ἐπειδὰν τὰς εὐϑύνας δῷ stehend ward: das war ja der schluſsact.21) wenn er in der formel notwendig vorwog, so tat es in der praxis eben so notwendig die erste gerichtsverhandlung vor den logisten. denn das war gleich die erste gelegenheit, wo der angriff losgehen konnte, da war mündliches verfahren, da saſsen die souveränen richter und lieſs sich schleunigst ein urteil erstreiten. wie sollte dem gegenüber der weitläufige instanzenzug des euthynenverfahrens reizen? die privaten mochten allerdings von ihm notgedrungen ge- brauch machen; davon hören wir kaum etwas. für die haupt- und staats- processe war der weg der eisangelie beim volke wirksamer und beliebter; nur selten mag jemand den vorteil, auch leibesstrafen beantragen zu können, durch die weiterungen des verfahrens bei dem euthynos er- kauft haben. man kann allerdings auch nicht verbürgen, daſs die Athener das recht sorgfältig gewahrt haben und nicht etwa auch in logistenver- handlungen strafanträge auf tod zugelassen oder gar zuerkannt haben, seitdem die amtsführung, nicht bloſs die rechnungsführung hineingezogen ward, wozu die buſsen ἀδικίου veranlassung boten. tatsache ist, daſs die meisten schweren anklagen im vierten jahrhundert durch eisangelie erhoben sind, die logisten manchmal erwähnt werden, die euthynen nur einmal, in einem volksbeschlusse, dessen antragsteller die alte formel nicht ohne unklarheit verwendet.22) aber die gesandtschaftsreden der beiden groſsen redner sind vielleicht vor den thesmotheten gehalten, also auf dem wege einer von Demosthenes (und vorher auch von Timarchos) eingereichten denuntiation bei dem euthynos.23) 21) Doch findet sich natürlich auch ἐπειδὰν λόγον καὶ εὐϑύνας δῷ Aisch. 3, 11. 22) CIA II 809b ἐὰν δέ τις μὴ ποήσει οἷς ἕκαστα πϱοστέτακται ἢ ἄϱχων ἢ ἰδιώτης κατὰ τόδε τὸ ψήφισμα, ὀφειλέτω ὁ μὴ ποήσας μυϱίας δϱαχμὰς ἱεϱὰς τῆι Ἀϑηνᾶι καὶ ὁ εὔϑυνος καὶ οἱ πάϱεδϱοι ἐπάναγκες αὐτῶν καταγιγνωσκόντων ἢ αὐτοὶ ὀφειλόντων. vorgeschrieben ist also, daſs der euthynos jede beschwerde un- bedingt annehmen muſs, also das recht der vorprüfung verliert. verständlich ist das auch erst durch das aristotelische capitel. wie ein privatmann beim euthynos denunzirt werden konnte, ist allerdings unverständlich. der ganze tenor klingt sehr archaisch, und die ganze coloniegründung, zu der dieses psephisma gehört, ist ein ausfluſs der lykurgischen restaurationspolitik. so dürfte auch hier die formel eben nur formel sein. 23) Die landläufige ansicht, daſs die logisten vorsaſsen, ist mit Dem. 19, 211
nicht bewiesen: da steht nur, daſs Aischines vor den logisten das λόγον διδόναι der zweiten gesandschaft verhindern wollte, da sie ja schon εὐϑύνας δεδωκότες wären. die formeln werden so unterschieden. ob Aischines dann λόγον δέδωκε, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0247" n="237"/><fw place="top" type="header">εὔϑυνα.</fw><lb/> einem kurzen worte bezeichnete, und daſs sowol λόγον wie εὐϑύνας<lb/> διδόναι im leben gesagt ward ohne das complement auszuschlieſsen,<lb/> vollends aber für die befristung ἐπειδὰν τὰς εὐϑύνας δῷ stehend ward:<lb/> das war ja der schluſsact.<note place="foot" n="21)">Doch findet sich natürlich auch ἐπειδὰν λόγον καὶ εὐϑύνας δῷ Aisch. 3, 11.</note> wenn er in der formel notwendig vorwog,<lb/> so tat es in der praxis eben so notwendig die erste gerichtsverhandlung<lb/> vor den logisten. denn das war gleich die erste gelegenheit, wo der<lb/> angriff losgehen konnte, da war mündliches verfahren, da saſsen die<lb/> souveränen richter und lieſs sich schleunigst ein urteil erstreiten. wie<lb/> sollte dem gegenüber der weitläufige instanzenzug des euthynenverfahrens<lb/> reizen? die privaten mochten allerdings von ihm notgedrungen ge-<lb/> brauch machen; davon hören wir kaum etwas. für die haupt- und staats-<lb/> processe war der weg der eisangelie beim volke wirksamer und beliebter;<lb/> nur selten mag jemand den vorteil, auch leibesstrafen beantragen zu<lb/> können, durch die weiterungen des verfahrens bei dem euthynos er-<lb/> kauft haben. man kann allerdings auch nicht verbürgen, daſs die Athener<lb/> das recht sorgfältig gewahrt haben und nicht etwa auch in logistenver-<lb/> handlungen strafanträge auf tod zugelassen oder gar zuerkannt haben,<lb/> seitdem die amtsführung, nicht bloſs die rechnungsführung hineingezogen<lb/> ward, wozu die buſsen ἀδικίου veranlassung boten. tatsache ist, daſs<lb/> die meisten schweren anklagen im vierten jahrhundert durch eisangelie<lb/> erhoben sind, die logisten manchmal erwähnt werden, die euthynen nur<lb/> einmal, in einem volksbeschlusse, dessen antragsteller die alte formel<lb/> nicht ohne unklarheit verwendet.<note place="foot" n="22)">CIA II 809<hi rendition="#sup">b</hi> ἐὰν δέ τις μὴ ποήσει οἷς ἕκαστα πϱοστέτακται ἢ ἄϱχων ἢ<lb/> ἰδιώτης κατὰ τόδε τὸ ψήφισμα, ὀφειλέτω ὁ μὴ ποήσας μυϱίας δϱαχμὰς ἱεϱὰς τῆι<lb/> Ἀϑηνᾶι καὶ ὁ εὔϑυνος καὶ οἱ πάϱεδϱοι ἐπάναγκες αὐτῶν καταγιγνωσκόντων ἢ<lb/> αὐτοὶ ὀφειλόντων. vorgeschrieben ist also, daſs der euthynos jede beschwerde un-<lb/> bedingt annehmen muſs, also das recht der vorprüfung verliert. verständlich ist<lb/> das auch erst durch das aristotelische capitel. wie ein privatmann beim euthynos<lb/> denunzirt werden konnte, ist allerdings unverständlich. der ganze tenor klingt sehr<lb/> archaisch, und die ganze coloniegründung, zu der dieses psephisma gehört, ist ein<lb/> ausfluſs der lykurgischen restaurationspolitik. so dürfte auch hier die formel eben<lb/> nur formel sein.</note> aber die gesandtschaftsreden der<lb/> beiden groſsen redner sind vielleicht vor den thesmotheten gehalten, also<lb/> auf dem wege einer von Demosthenes (und vorher auch von Timarchos)<lb/> eingereichten denuntiation bei dem euthynos.<note xml:id="note-0247" next="#note-0248" place="foot" n="23)">Die landläufige ansicht, daſs die logisten vorsaſsen, ist mit Dem. 19, 211<lb/> nicht bewiesen: da steht nur, daſs Aischines vor den logisten das λόγον διδόναι<lb/> der zweiten gesandschaft verhindern wollte, da sie ja schon εὐϑύνας δεδωκότες<lb/> wären. die formeln werden so unterschieden. ob Aischines dann λόγον δέδωκε,</note></p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [237/0247]
εὔϑυνα.
einem kurzen worte bezeichnete, und daſs sowol λόγον wie εὐϑύνας
διδόναι im leben gesagt ward ohne das complement auszuschlieſsen,
vollends aber für die befristung ἐπειδὰν τὰς εὐϑύνας δῷ stehend ward:
das war ja der schluſsact. 21) wenn er in der formel notwendig vorwog,
so tat es in der praxis eben so notwendig die erste gerichtsverhandlung
vor den logisten. denn das war gleich die erste gelegenheit, wo der
angriff losgehen konnte, da war mündliches verfahren, da saſsen die
souveränen richter und lieſs sich schleunigst ein urteil erstreiten. wie
sollte dem gegenüber der weitläufige instanzenzug des euthynenverfahrens
reizen? die privaten mochten allerdings von ihm notgedrungen ge-
brauch machen; davon hören wir kaum etwas. für die haupt- und staats-
processe war der weg der eisangelie beim volke wirksamer und beliebter;
nur selten mag jemand den vorteil, auch leibesstrafen beantragen zu
können, durch die weiterungen des verfahrens bei dem euthynos er-
kauft haben. man kann allerdings auch nicht verbürgen, daſs die Athener
das recht sorgfältig gewahrt haben und nicht etwa auch in logistenver-
handlungen strafanträge auf tod zugelassen oder gar zuerkannt haben,
seitdem die amtsführung, nicht bloſs die rechnungsführung hineingezogen
ward, wozu die buſsen ἀδικίου veranlassung boten. tatsache ist, daſs
die meisten schweren anklagen im vierten jahrhundert durch eisangelie
erhoben sind, die logisten manchmal erwähnt werden, die euthynen nur
einmal, in einem volksbeschlusse, dessen antragsteller die alte formel
nicht ohne unklarheit verwendet. 22) aber die gesandtschaftsreden der
beiden groſsen redner sind vielleicht vor den thesmotheten gehalten, also
auf dem wege einer von Demosthenes (und vorher auch von Timarchos)
eingereichten denuntiation bei dem euthynos. 23)
21) Doch findet sich natürlich auch ἐπειδὰν λόγον καὶ εὐϑύνας δῷ Aisch. 3, 11.
22) CIA II 809b ἐὰν δέ τις μὴ ποήσει οἷς ἕκαστα πϱοστέτακται ἢ ἄϱχων ἢ
ἰδιώτης κατὰ τόδε τὸ ψήφισμα, ὀφειλέτω ὁ μὴ ποήσας μυϱίας δϱαχμὰς ἱεϱὰς τῆι
Ἀϑηνᾶι καὶ ὁ εὔϑυνος καὶ οἱ πάϱεδϱοι ἐπάναγκες αὐτῶν καταγιγνωσκόντων ἢ
αὐτοὶ ὀφειλόντων. vorgeschrieben ist also, daſs der euthynos jede beschwerde un-
bedingt annehmen muſs, also das recht der vorprüfung verliert. verständlich ist
das auch erst durch das aristotelische capitel. wie ein privatmann beim euthynos
denunzirt werden konnte, ist allerdings unverständlich. der ganze tenor klingt sehr
archaisch, und die ganze coloniegründung, zu der dieses psephisma gehört, ist ein
ausfluſs der lykurgischen restaurationspolitik. so dürfte auch hier die formel eben
nur formel sein.
23) Die landläufige ansicht, daſs die logisten vorsaſsen, ist mit Dem. 19, 211
nicht bewiesen: da steht nur, daſs Aischines vor den logisten das λόγον διδόναι
der zweiten gesandschaft verhindern wollte, da sie ja schon εὐϑύνας δεδωκότες
wären. die formeln werden so unterschieden. ob Aischines dann λόγον δέδωκε,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |