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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Die reform des Kleisthenes.
soll hier erörtert werden.4) wenn wir Aristoteles sagen, so gilt das natür-
lich nur, weil wir sein buch lesen: dass er auch hier lediglich die Atthis
wiedergibt ist sowol durch directe berührungen wie durch den inhalt
klar. nur einige gelegentlich angeschlossene bemerkungen dürften allen-
falls sein eigen sein, über ein specifisch attisches wort (phulokrinein), die
dem ausländer auffällige verbreitung der demotika in der attischen nomen-
clatur, endlich der versuch, ein motiv dafür zu finden, weshalb Klei-
sthenes nicht zwölf phylen eingerichtet habe. dass Aristoteles danach
fragt, kommt aus dem sehr richtigen gefühle, dass die zwölfzahl der pry-
tanien für die verwaltung wirklich viel praktischer gewesen wäre. das
haben die Athener durch die praxis gelernt und deshalb 307 und wieder
200 die zahl eingeführt, durch die das geschäftsjahr in eben so viele
perioden zerfiel wie das kalenderjahr in monate (nur dass man sich vor
dem verständigen schritte gescheut hat, auch das sonnenjahr einzuführen).
Aristoteles hat aber diese beobachtung doch nicht selbst gemacht, son-
dern in der platonischen schule gehört: denn Platon selbst hat für den
staat seiner Gesetze zwölf phylen vorgesehn (828). übrigens hatte schon die
zahlenspeculation, die Aristoteles im eingange seines buches reproducirte
(frgm. 3), den alten geschlechterstaat mit der gliederung des jahres ver-
glichen. eben in der absicht, sich von dem geschlechterstaate zu ent-
fernen, glaubt Aristoteles das motiv zu finden, das den Kleisthenes dazu
vermocht habe, die zehnzahl der phylen vorzuziehen. er meint, sie
wären sonst mit den alten trittyen zusammengefallen. das ist nicht
richtig; die alten trittyen waren ja drittelungen der adelsphylen, hatten
also so wenig wie diese einen localen charakter, der vielmehr erst in
den naukrarien hervortrat; wir wissen nur nicht, wie diese mit dem gen-
tilicischen prinzipe ausgeglichen waren.5) es zeigt sich wieder, dass Ari-

4) Da mir dieser gegenstand in folge meiner früheren studien über die demen-
ordnung besonders nahe lag, hatte ich dieses capitel schon 1891 fertig gestellt.
mittlerweile hat Milchhöfer dasselbe behandelt (Untersuchung über die Demenordnung
des Kleisthenes 1892). ich werde dasjenige in anmerkungen nachtragen, was er
mich gelehrt hat, auf jede polemik verzichten und die übereinstimmung nicht no-
tiren. ich will auch auf eine kritik der Milchhöferschen arbeit verzichten. wir
geben beide nur provisorisches; wenn ich das attische land genauer kennte, würde
ich es besser machen. wer die wichtige aufgabe gut lösen will, muss sowol orts-
kenntnis wie philologisches und historisches urteil besitzen. als diese zweite be-
arbeitung schon in der druckerei war, ist der tief eingreifende aufsatz von R. Loeper
(Ath. Mitteil. 17) erschienen: es ist mir unmöglich, mich mit ihm auseinander-
zusetzen. so muss ich einiges tatsächlich überholte notgedrungen stehn lassen.
5) Da die alten trittyen zugleich die phratrien sind, kann man auf den einfall
kommen, dass in der tat die drittel der adelsstämme mit einem drittel des landes
10*

Die reform des Kleisthenes.
soll hier erörtert werden.4) wenn wir Aristoteles sagen, so gilt das natür-
lich nur, weil wir sein buch lesen: daſs er auch hier lediglich die Atthis
wiedergibt ist sowol durch directe berührungen wie durch den inhalt
klar. nur einige gelegentlich angeschlossene bemerkungen dürften allen-
falls sein eigen sein, über ein specifisch attisches wort (φυλοκϱινεῖν), die
dem ausländer auffällige verbreitung der demotika in der attischen nomen-
clatur, endlich der versuch, ein motiv dafür zu finden, weshalb Klei-
sthenes nicht zwölf phylen eingerichtet habe. daſs Aristoteles danach
fragt, kommt aus dem sehr richtigen gefühle, daſs die zwölfzahl der pry-
tanien für die verwaltung wirklich viel praktischer gewesen wäre. das
haben die Athener durch die praxis gelernt und deshalb 307 und wieder
200 die zahl eingeführt, durch die das geschäftsjahr in eben so viele
perioden zerfiel wie das kalenderjahr in monate (nur daſs man sich vor
dem verständigen schritte gescheut hat, auch das sonnenjahr einzuführen).
Aristoteles hat aber diese beobachtung doch nicht selbst gemacht, son-
dern in der platonischen schule gehört: denn Platon selbst hat für den
staat seiner Gesetze zwölf phylen vorgesehn (828). übrigens hatte schon die
zahlenspeculation, die Aristoteles im eingange seines buches reproducirte
(frgm. 3), den alten geschlechterstaat mit der gliederung des jahres ver-
glichen. eben in der absicht, sich von dem geschlechterstaate zu ent-
fernen, glaubt Aristoteles das motiv zu finden, das den Kleisthenes dazu
vermocht habe, die zehnzahl der phylen vorzuziehen. er meint, sie
wären sonst mit den alten trittyen zusammengefallen. das ist nicht
richtig; die alten trittyen waren ja drittelungen der adelsphylen, hatten
also so wenig wie diese einen localen charakter, der vielmehr erst in
den naukrarien hervortrat; wir wissen nur nicht, wie diese mit dem gen-
tilicischen prinzipe ausgeglichen waren.5) es zeigt sich wieder, daſs Ari-

4) Da mir dieser gegenstand in folge meiner früheren studien über die demen-
ordnung besonders nahe lag, hatte ich dieses capitel schon 1891 fertig gestellt.
mittlerweile hat Milchhöfer dasselbe behandelt (Untersuchung über die Demenordnung
des Kleisthenes 1892). ich werde dasjenige in anmerkungen nachtragen, was er
mich gelehrt hat, auf jede polemik verzichten und die übereinstimmung nicht no-
tiren. ich will auch auf eine kritik der Milchhöferschen arbeit verzichten. wir
geben beide nur provisorisches; wenn ich das attische land genauer kennte, würde
ich es besser machen. wer die wichtige aufgabe gut lösen will, muſs sowol orts-
kenntnis wie philologisches und historisches urteil besitzen. als diese zweite be-
arbeitung schon in der druckerei war, ist der tief eingreifende aufsatz von R. Loeper
(Ath. Mitteil. 17) erschienen: es ist mir unmöglich, mich mit ihm auseinander-
zusetzen. so muſs ich einiges tatsächlich überholte notgedrungen stehn lassen.
5) Da die alten trittyen zugleich die phratrien sind, kann man auf den einfall
kommen, daſs in der tat die drittel der adelsstämme mit einem drittel des landes
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[147/0157] Die reform des Kleisthenes. soll hier erörtert werden. 4) wenn wir Aristoteles sagen, so gilt das natür- lich nur, weil wir sein buch lesen: daſs er auch hier lediglich die Atthis wiedergibt ist sowol durch directe berührungen wie durch den inhalt klar. nur einige gelegentlich angeschlossene bemerkungen dürften allen- falls sein eigen sein, über ein specifisch attisches wort (φυλοκϱινεῖν), die dem ausländer auffällige verbreitung der demotika in der attischen nomen- clatur, endlich der versuch, ein motiv dafür zu finden, weshalb Klei- sthenes nicht zwölf phylen eingerichtet habe. daſs Aristoteles danach fragt, kommt aus dem sehr richtigen gefühle, daſs die zwölfzahl der pry- tanien für die verwaltung wirklich viel praktischer gewesen wäre. das haben die Athener durch die praxis gelernt und deshalb 307 und wieder 200 die zahl eingeführt, durch die das geschäftsjahr in eben so viele perioden zerfiel wie das kalenderjahr in monate (nur daſs man sich vor dem verständigen schritte gescheut hat, auch das sonnenjahr einzuführen). Aristoteles hat aber diese beobachtung doch nicht selbst gemacht, son- dern in der platonischen schule gehört: denn Platon selbst hat für den staat seiner Gesetze zwölf phylen vorgesehn (828). übrigens hatte schon die zahlenspeculation, die Aristoteles im eingange seines buches reproducirte (frgm. 3), den alten geschlechterstaat mit der gliederung des jahres ver- glichen. eben in der absicht, sich von dem geschlechterstaate zu ent- fernen, glaubt Aristoteles das motiv zu finden, das den Kleisthenes dazu vermocht habe, die zehnzahl der phylen vorzuziehen. er meint, sie wären sonst mit den alten trittyen zusammengefallen. das ist nicht richtig; die alten trittyen waren ja drittelungen der adelsphylen, hatten also so wenig wie diese einen localen charakter, der vielmehr erst in den naukrarien hervortrat; wir wissen nur nicht, wie diese mit dem gen- tilicischen prinzipe ausgeglichen waren. 5) es zeigt sich wieder, daſs Ari- 4) Da mir dieser gegenstand in folge meiner früheren studien über die demen- ordnung besonders nahe lag, hatte ich dieses capitel schon 1891 fertig gestellt. mittlerweile hat Milchhöfer dasselbe behandelt (Untersuchung über die Demenordnung des Kleisthenes 1892). ich werde dasjenige in anmerkungen nachtragen, was er mich gelehrt hat, auf jede polemik verzichten und die übereinstimmung nicht no- tiren. ich will auch auf eine kritik der Milchhöferschen arbeit verzichten. wir geben beide nur provisorisches; wenn ich das attische land genauer kennte, würde ich es besser machen. wer die wichtige aufgabe gut lösen will, muſs sowol orts- kenntnis wie philologisches und historisches urteil besitzen. als diese zweite be- arbeitung schon in der druckerei war, ist der tief eingreifende aufsatz von R. Loeper (Ath. Mitteil. 17) erschienen: es ist mir unmöglich, mich mit ihm auseinander- zusetzen. so muſs ich einiges tatsächlich überholte notgedrungen stehn lassen. 5) Da die alten trittyen zugleich die phratrien sind, kann man auf den einfall kommen, daſs in der tat die drittel der adelsstämme mit einem drittel des landes 10*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/157>, abgerufen am 24.11.2024.