Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Ion und seine söhne.
nun schlossen sich die Diakrier an, etwa 200 familien, aber nicht auf
einmal, sondern stadt für stadt. die wurden in die vier phylen aufgeteilt,
und als Attika geeinigt war und den zug nach Ionien unternahm, giengen
die heerhaufen der colonisten nach diesen vier phylen geteilt ab. soll
das jemand glauben? wozu überhaupt in dem kleinen kekropischen Athen
die phyle über geschlechtern und brüderschaften? und wenn es deren
vier gab, fehlten sie denn in Aphidna und Pallene? oder wurden die dor-
tigen mit gewalt bei der annexion zerschlagen? sobald man s[i]ch die mühe
gibt, die dinge sich werdend vorzustellen, kommt man auf absurditäten.
man ist gewohnt die dorischen phylen zu vergleichen. aber vergleiche
man nur, auf dass die unterschiede hervortreten. die Dorer sind ein
staatloses wandervolk, wie die Germanen in der völkerwanderung. sie
gliedern sich in stämme, das sind ihre einzigen körperschaften. Hylleer
sind ein volk; als illyrischer stamm sind sie in Epirus sitzen geblieben.
Dymanes zeigen durch ihren namen, dass sie ein stamm sind, und Pam-
phyloi sind alle, die keins der beiden andern sind. diese drei siedeln
sich mancher orten an; aber sie finden sich gar nicht überall alle, und
vieler orten auch andere neben ihnen. 25) als sie dann sesshaft werden,
bilden sich die alten volksstämme freilich zu gliedern der neuen staaten
um, und wenn sie dann colonien aussenden, können diese die alten
stämme als natürliche oder künstliche glieder mitnehmen oder übertragen.
in Ionien wird durch die wanderung, deren resultat die Ionier sind,
eine gliederung in phylen ganz analog erfolgt sein, indem sich die ein-
zelnen bestandteile der einwanderer zunächst gesondert hielten, und neue
gruppen hinzutraten. 26) aber wie in aller welt ist das auf dem boden
von Athen denkbar, oder vielmehr von Attika, denn die vier phylen vor
der einigung dieses landes sind monströs. eine andere entstehung wieder

25) `Urnetho ist z. b. offenkundig erst aus dem `Urnathioi gemacht, nicht um-
gekehrt.
26) In Ephesos haben wir die phylen Epheseis Bembinaioi Euonumoi und die
zugewanderten Teioi Karenaioi. unter den Epheseis erscheinen als khiliastues drei
in andern orten für phylen begegnende namen Argadeis Boreis Oinopes, daneben
Lebedioi. unter den Bembinaioi finden wir Aigoteus (geschrieben Aigoteos Inscr.
Br. Mus. CCCCLV, von Hicks verkannt und daher DLXXXVIII 26 falsch ergänzt) und
Pelasgeos (ob aus Pelasgeus entstanden?). andere heissen ersichtlich nach menschen,
wie die thiasi, Egetoreios, oder nach orten Labandeos (Peios gehört wol auch
zum Pion). so wächst eine stadt auf neuem boden zusammen, hier ein splitter
alten stammes, dort leute aus einem anderen orte, dort ein trupp unter der führung
eines häuptlings, endlich die ansiedler oder eingeborenen eines fleckens der occu-
pirten gemarkung. an den phylen von Neapolis kann man ähnliches bemerken.

Ion und seine söhne.
nun schlossen sich die Diakrier an, etwa 200 familien, aber nicht auf
einmal, sondern stadt für stadt. die wurden in die vier phylen aufgeteilt,
und als Attika geeinigt war und den zug nach Ionien unternahm, giengen
die heerhaufen der colonisten nach diesen vier phylen geteilt ab. soll
das jemand glauben? wozu überhaupt in dem kleinen kekropischen Athen
die phyle über geschlechtern und brüderschaften? und wenn es deren
vier gab, fehlten sie denn in Aphidna und Pallene? oder wurden die dor-
tigen mit gewalt bei der annexion zerschlagen? sobald man s[i]ch die mühe
gibt, die dinge sich werdend vorzustellen, kommt man auf absurditäten.
man ist gewohnt die dorischen phylen zu vergleichen. aber vergleiche
man nur, auf daſs die unterschiede hervortreten. die Dorer sind ein
staatloses wandervolk, wie die Germanen in der völkerwanderung. sie
gliedern sich in stämme, das sind ihre einzigen körperschaften. Hylleer
sind ein volk; als illyrischer stamm sind sie in Epirus sitzen geblieben.
Dymanes zeigen durch ihren namen, daſs sie ein stamm sind, und Pam-
phyloi sind alle, die keins der beiden andern sind. diese drei siedeln
sich mancher orten an; aber sie finden sich gar nicht überall alle, und
vieler orten auch andere neben ihnen. 25) als sie dann seſshaft werden,
bilden sich die alten volksstämme freilich zu gliedern der neuen staaten
um, und wenn sie dann colonien aussenden, können diese die alten
stämme als natürliche oder künstliche glieder mitnehmen oder übertragen.
in Ionien wird durch die wanderung, deren resultat die Ionier sind,
eine gliederung in phylen ganz analog erfolgt sein, indem sich die ein-
zelnen bestandteile der einwanderer zunächst gesondert hielten, und neue
gruppen hinzutraten. 26) aber wie in aller welt ist das auf dem boden
von Athen denkbar, oder vielmehr von Attika, denn die vier phylen vor
der einigung dieses landes sind monströs. eine andere entstehung wieder

25) ῾ϒϱνηϑώ ist z. b. offenkundig erst aus dem ῾ϒϱνάϑιοι gemacht, nicht um-
gekehrt.
26) In Ephesos haben wir die phylen Ἐφεσεῖς Βεμβιναῖοι Εὐώνυμοι und die
zugewanderten Τήιοι Καϱηναῖοι. unter den Ἐφεσεῖς erscheinen als χιλιαστύες drei
in andern orten für phylen begegnende namen Ἀϱγαδεῖς Βωϱεῖς Οἴνωπες, daneben
Λεβέδιοι. unter den Βεμβιναῖοι finden wir Ἀἰγωτεύς (geschrieben Αἰγωτεός Inscr.
Br. Mus. CCCCLV, von Hicks verkannt und daher DLXXXVIII 26 falsch ergänzt) und
Πελασγηος (ob aus Πελασγεύς entstanden?). andere heiſsen ersichtlich nach menschen,
wie die ϑίασι, Ἡγητόϱειος, oder nach orten Λαβανδηος (Πεῖος gehört wol auch
zum Πίων). so wächst eine stadt auf neuem boden zusammen, hier ein splitter
alten stammes, dort leute aus einem anderen orte, dort ein trupp unter der führung
eines häuptlings, endlich die ansiedler oder eingeborenen eines fleckens der occu-
pirten gemarkung. an den phylen von Neapolis kann man ähnliches bemerken.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0149" n="139"/><fw place="top" type="header">Ion und seine söhne.</fw><lb/>
nun schlossen sich die Diakrier an, etwa 200 familien, aber nicht auf<lb/>
einmal, sondern stadt für stadt. die wurden in die vier phylen aufgeteilt,<lb/>
und als Attika geeinigt war und den zug nach Ionien unternahm, giengen<lb/>
die heerhaufen der colonisten nach diesen vier phylen geteilt ab. soll<lb/>
das jemand glauben? wozu überhaupt in dem kleinen kekropischen Athen<lb/>
die phyle über geschlechtern und brüderschaften? und wenn es deren<lb/>
vier gab, fehlten sie denn in Aphidna und Pallene? oder wurden die dor-<lb/>
tigen mit gewalt bei der annexion zerschlagen? sobald man s<supplied>i</supplied>ch die mühe<lb/>
gibt, die dinge sich werdend vorzustellen, kommt man auf absurditäten.<lb/>
man ist gewohnt die dorischen phylen zu vergleichen. aber vergleiche<lb/>
man nur, auf da&#x017F;s die unterschiede hervortreten. die Dorer sind ein<lb/>
staatloses wandervolk, wie die Germanen in der völkerwanderung. sie<lb/>
gliedern sich in stämme, das sind ihre einzigen körperschaften. Hylleer<lb/>
sind ein volk; als illyrischer stamm sind sie in Epirus sitzen geblieben.<lb/>
Dymanes zeigen durch ihren namen, da&#x017F;s sie ein stamm sind, und Pam-<lb/>
phyloi sind alle, die keins der beiden andern sind. diese drei siedeln<lb/>
sich mancher orten an; aber sie finden sich gar nicht überall alle, und<lb/>
vieler orten auch andere neben ihnen. <note place="foot" n="25)">&#x1FFE;&#x03D2;&#x03F1;&#x03BD;&#x03B7;&#x03D1;&#x03CE; ist z. b. offenkundig erst aus dem &#x1FFE;&#x03D2;&#x03F1;&#x03BD;&#x03AC;&#x03D1;&#x03B9;&#x03BF;&#x03B9; gemacht, nicht um-<lb/>
gekehrt.</note> als sie dann se&#x017F;shaft werden,<lb/>
bilden sich die alten volksstämme freilich zu gliedern der neuen staaten<lb/>
um, und wenn sie dann colonien aussenden, können diese die alten<lb/>
stämme als natürliche oder künstliche glieder mitnehmen oder übertragen.<lb/>
in Ionien wird durch die wanderung, deren resultat die Ionier sind,<lb/>
eine gliederung in phylen ganz analog erfolgt sein, indem sich die ein-<lb/>
zelnen bestandteile der einwanderer zunächst gesondert hielten, und neue<lb/>
gruppen hinzutraten. <note place="foot" n="26)">In Ephesos haben wir die phylen &#x1F18;&#x03C6;&#x03B5;&#x03C3;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C2; &#x0392;&#x03B5;&#x03BC;&#x03B2;&#x03B9;&#x03BD;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03BF;&#x03B9; &#x0395;&#x1F50;&#x03CE;&#x03BD;&#x03C5;&#x03BC;&#x03BF;&#x03B9; und die<lb/>
zugewanderten &#x03A4;&#x03AE;&#x03B9;&#x03BF;&#x03B9; &#x039A;&#x03B1;&#x03F1;&#x03B7;&#x03BD;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03BF;&#x03B9;. unter den &#x1F18;&#x03C6;&#x03B5;&#x03C3;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C2; erscheinen als &#x03C7;&#x03B9;&#x03BB;&#x03B9;&#x03B1;&#x03C3;&#x03C4;&#x03CD;&#x03B5;&#x03C2; drei<lb/>
in andern orten für phylen begegnende namen &#x1F08;&#x03F1;&#x03B3;&#x03B1;&#x03B4;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C2; &#x0392;&#x03C9;&#x03F1;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C2; &#x039F;&#x1F34;&#x03BD;&#x03C9;&#x03C0;&#x03B5;&#x03C2;, daneben<lb/>
&#x039B;&#x03B5;&#x03B2;&#x03AD;&#x03B4;&#x03B9;&#x03BF;&#x03B9;. unter den &#x0392;&#x03B5;&#x03BC;&#x03B2;&#x03B9;&#x03BD;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03BF;&#x03B9; finden wir &#x1F08;&#x1F30;&#x03B3;&#x03C9;&#x03C4;&#x03B5;&#x03CD;&#x03C2; (geschrieben &#x0391;&#x1F30;&#x03B3;&#x03C9;&#x03C4;&#x03B5;&#x03CC;&#x03C2; Inscr.<lb/>
Br. Mus. CCCCLV, von Hicks verkannt und daher DLXXXVIII 26 falsch ergänzt) und<lb/>
&#x03A0;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B3;&#x03B7;&#x03BF;&#x03C2; (ob aus &#x03A0;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B3;&#x03B5;&#x03CD;&#x03C2; entstanden?). andere hei&#x017F;sen ersichtlich nach menschen,<lb/>
wie die &#x03D1;&#x03AF;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B9;, &#x1F29;&#x03B3;&#x03B7;&#x03C4;&#x03CC;&#x03F1;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2;, oder nach orten &#x039B;&#x03B1;&#x03B2;&#x03B1;&#x03BD;&#x03B4;&#x03B7;&#x03BF;&#x03C2; (&#x03A0;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03BF;&#x03C2; gehört wol auch<lb/>
zum &#x03A0;&#x03AF;&#x03C9;&#x03BD;). so wächst eine stadt auf neuem boden zusammen, hier ein splitter<lb/>
alten stammes, dort leute aus einem anderen orte, dort ein trupp unter der führung<lb/>
eines häuptlings, endlich die ansiedler oder eingeborenen eines fleckens der occu-<lb/>
pirten gemarkung. an den phylen von Neapolis kann man ähnliches bemerken.</note> aber wie in aller welt ist das auf dem boden<lb/>
von Athen denkbar, oder vielmehr von Attika, denn die vier phylen vor<lb/>
der einigung dieses landes sind monströs. eine andere entstehung wieder<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0149] Ion und seine söhne. nun schlossen sich die Diakrier an, etwa 200 familien, aber nicht auf einmal, sondern stadt für stadt. die wurden in die vier phylen aufgeteilt, und als Attika geeinigt war und den zug nach Ionien unternahm, giengen die heerhaufen der colonisten nach diesen vier phylen geteilt ab. soll das jemand glauben? wozu überhaupt in dem kleinen kekropischen Athen die phyle über geschlechtern und brüderschaften? und wenn es deren vier gab, fehlten sie denn in Aphidna und Pallene? oder wurden die dor- tigen mit gewalt bei der annexion zerschlagen? sobald man sich die mühe gibt, die dinge sich werdend vorzustellen, kommt man auf absurditäten. man ist gewohnt die dorischen phylen zu vergleichen. aber vergleiche man nur, auf daſs die unterschiede hervortreten. die Dorer sind ein staatloses wandervolk, wie die Germanen in der völkerwanderung. sie gliedern sich in stämme, das sind ihre einzigen körperschaften. Hylleer sind ein volk; als illyrischer stamm sind sie in Epirus sitzen geblieben. Dymanes zeigen durch ihren namen, daſs sie ein stamm sind, und Pam- phyloi sind alle, die keins der beiden andern sind. diese drei siedeln sich mancher orten an; aber sie finden sich gar nicht überall alle, und vieler orten auch andere neben ihnen. 25) als sie dann seſshaft werden, bilden sich die alten volksstämme freilich zu gliedern der neuen staaten um, und wenn sie dann colonien aussenden, können diese die alten stämme als natürliche oder künstliche glieder mitnehmen oder übertragen. in Ionien wird durch die wanderung, deren resultat die Ionier sind, eine gliederung in phylen ganz analog erfolgt sein, indem sich die ein- zelnen bestandteile der einwanderer zunächst gesondert hielten, und neue gruppen hinzutraten. 26) aber wie in aller welt ist das auf dem boden von Athen denkbar, oder vielmehr von Attika, denn die vier phylen vor der einigung dieses landes sind monströs. eine andere entstehung wieder 25) ῾ϒϱνηϑώ ist z. b. offenkundig erst aus dem ῾ϒϱνάϑιοι gemacht, nicht um- gekehrt. 26) In Ephesos haben wir die phylen Ἐφεσεῖς Βεμβιναῖοι Εὐώνυμοι und die zugewanderten Τήιοι Καϱηναῖοι. unter den Ἐφεσεῖς erscheinen als χιλιαστύες drei in andern orten für phylen begegnende namen Ἀϱγαδεῖς Βωϱεῖς Οἴνωπες, daneben Λεβέδιοι. unter den Βεμβιναῖοι finden wir Ἀἰγωτεύς (geschrieben Αἰγωτεός Inscr. Br. Mus. CCCCLV, von Hicks verkannt und daher DLXXXVIII 26 falsch ergänzt) und Πελασγηος (ob aus Πελασγεύς entstanden?). andere heiſsen ersichtlich nach menschen, wie die ϑίασι, Ἡγητόϱειος, oder nach orten Λαβανδηος (Πεῖος gehört wol auch zum Πίων). so wächst eine stadt auf neuem boden zusammen, hier ein splitter alten stammes, dort leute aus einem anderen orte, dort ein trupp unter der führung eines häuptlings, endlich die ansiedler oder eingeborenen eines fleckens der occu- pirten gemarkung. an den phylen von Neapolis kann man ähnliches bemerken.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/149
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/149>, abgerufen am 27.11.2024.