Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

freundschaft und liebe. bestreitung der ideenlehre.
teles.24) aber die menschliche seele fordert sich ihr recht zu lieben und
zu schwärmen und dadurch zu leiden. so hat sie es auch in dem kreise
der Akademie getan, anders und doch ähnlich wie in den hallen und
auf den ringplätzen nebenan. und menschlich näher rückt uns der
übermenschliche weisheitslehrer, wenn wir ihn die regungen der maien-
zeit des seelenlebens auch erfahren sehen.25)

Und nun erlebte er was ihn zum manne machte. den EudemosBestreitung
der ideen-
lehre.

hatte noch der gläubige jünger Platons geschrieben; bald aber kam eine
krisis für seine wissenschaftliche überzeugung: er ward an der ideen-
lehre irre, er fand, dass er sie widerlegen könnte, und, wie seine pflicht
war, widerlegte er sie. es war sein gutes recht, wenn er trotzdem nicht
aufhörte, Platoniker zu sein und sein zu wollen, so wenig Platon den
Sokrates verleugnet hatte, weil er ihn überwand. aber es war doch für
die Akademie ein aufstand im eigenen lager, und wie hätte es an kleinen
geistern fehlen sollen, die zum mindesten über pietätlosigkeit schrien?
wenn Aristoteles noch im Protreptikos selbst die erwartung ausgesprochen
hatte, die philosophie würde binnen kurzem abgeschlossen sein (ein
allerdings für die jugendlichkeit des verfassers mehr als alles andere be-
weisendes wort), so war jetzt, wenn die realität der ideen fiel, die meta-

24) Platon ist darüber allerdings weit hinweggeschritten; aber er hat die
frau doch nur dadurch zu ihrer würde emporheben können, dass er sie dem manne
völlig gleichstellte, also durch die anerkennung ihrer seele, aber die leugnung ihres
geschlechtes. der dichter, der seinen Eros von einer frau verkünden lässt, hat
freilich dafür gesorgt, dass ihm das weibliche geschlecht nicht zürnen darf, wie
dem Aristoteles. aber Diotima ist eine hehre priesterin, und die heiligkeit und
reinheit und das übermenschliche der autarkeia hatte der Hellene und zumal der
Athener schon längst in der himmlischen jungfrau weiblich gedacht und als weib
angebetet. sein späteres leben hat allerdings den Platon den kreisen der weiblich-
keit allzu fern gehalten: dass er aber früher auch gelegenheit gehabt hat, sehr
feine psychologische studien zu machen, lehrt die überraschend wahre schilderung
des einflusses der ehrgeizigen weiber in dem staate des 'strebertums' (Staat 549).
25) Die freundschaft ist in der Ethik unverhältnismässig breit behandelt. sie
hatte damals für die reifen männer eine bedeutung, die uns auch nicht mehr unmittel-
bar verständlich ist. aber sie steht nicht unter der gewalt des Eros; von den weich-
lichen überschwenglichkeiten Epikurs, der den sokratischen Eros nicht kennt, hält
sich natürlich Aristoteles fern. die freundschaft ist, wie der wandel in der be-
deutung von philoi lehrt, eigentlich ein surrogat der familie, des geschlechtes: das
hat mit dem herzen wenig zu tun. verhältnisse wie Platon zu Dion, Aristoteles zu
Eudemos nennen wir freundschaft; das ist ungriechisch; ich halte es auch für un-
richtig. das ist Eros. wie Goethe nach Schillers tode über diesen redet, das offen-
bart für uns am besten diesen Eros. es offenbart zugleich, dass Goethes seele
hellenisch geworden war.

freundschaft und liebe. bestreitung der ideenlehre.
teles.24) aber die menschliche seele fordert sich ihr recht zu lieben und
zu schwärmen und dadurch zu leiden. so hat sie es auch in dem kreise
der Akademie getan, anders und doch ähnlich wie in den hallen und
auf den ringplätzen nebenan. und menschlich näher rückt uns der
übermenschliche weisheitslehrer, wenn wir ihn die regungen der maien-
zeit des seelenlebens auch erfahren sehen.25)

Und nun erlebte er was ihn zum manne machte. den EudemosBestreitung
der ideen-
lehre.

hatte noch der gläubige jünger Platons geschrieben; bald aber kam eine
krisis für seine wissenschaftliche überzeugung: er ward an der ideen-
lehre irre, er fand, daſs er sie widerlegen könnte, und, wie seine pflicht
war, widerlegte er sie. es war sein gutes recht, wenn er trotzdem nicht
aufhörte, Platoniker zu sein und sein zu wollen, so wenig Platon den
Sokrates verleugnet hatte, weil er ihn überwand. aber es war doch für
die Akademie ein aufstand im eigenen lager, und wie hätte es an kleinen
geistern fehlen sollen, die zum mindesten über pietätlosigkeit schrien?
wenn Aristoteles noch im Protreptikos selbst die erwartung ausgesprochen
hatte, die philosophie würde binnen kurzem abgeschlossen sein (ein
allerdings für die jugendlichkeit des verfassers mehr als alles andere be-
weisendes wort), so war jetzt, wenn die realität der ideen fiel, die meta-

24) Platon ist darüber allerdings weit hinweggeschritten; aber er hat die
frau doch nur dadurch zu ihrer würde emporheben können, daſs er sie dem manne
völlig gleichstellte, also durch die anerkennung ihrer seele, aber die leugnung ihres
geschlechtes. der dichter, der seinen Eros von einer frau verkünden läſst, hat
freilich dafür gesorgt, daſs ihm das weibliche geschlecht nicht zürnen darf, wie
dem Aristoteles. aber Diotima ist eine hehre priesterin, und die heiligkeit und
reinheit und das übermenschliche der αὐτάϱκεια hatte der Hellene und zumal der
Athener schon längst in der himmlischen jungfrau weiblich gedacht und als weib
angebetet. sein späteres leben hat allerdings den Platon den kreisen der weiblich-
keit allzu fern gehalten: daſs er aber früher auch gelegenheit gehabt hat, sehr
feine psychologische studien zu machen, lehrt die überraschend wahre schilderung
des einflusses der ehrgeizigen weiber in dem staate des ‘strebertums’ (Staat 549).
25) Die freundschaft ist in der Ethik unverhältnismäſsig breit behandelt. sie
hatte damals für die reifen männer eine bedeutung, die uns auch nicht mehr unmittel-
bar verständlich ist. aber sie steht nicht unter der gewalt des Eros; von den weich-
lichen überschwenglichkeiten Epikurs, der den sokratischen Eros nicht kennt, hält
sich natürlich Aristoteles fern. die freundschaft ist, wie der wandel in der be-
deutung von φίλοι lehrt, eigentlich ein surrogat der familie, des geschlechtes: das
hat mit dem herzen wenig zu tun. verhältnisse wie Platon zu Dion, Aristoteles zu
Eudemos nennen wir freundschaft; das ist ungriechisch; ich halte es auch für un-
richtig. das ist Eros. wie Goethe nach Schillers tode über diesen redet, das offen-
bart für uns am besten diesen Eros. es offenbart zugleich, daſs Goethes seele
hellenisch geworden war.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0343" n="329"/><fw place="top" type="header">freundschaft und liebe. bestreitung der ideenlehre.</fw><lb/>
teles.<note place="foot" n="24)">Platon ist darüber allerdings weit hinweggeschritten; aber er hat die<lb/>
frau doch nur dadurch zu ihrer würde emporheben können, da&#x017F;s er sie dem manne<lb/>
völlig gleichstellte, also durch die anerkennung ihrer seele, aber die leugnung ihres<lb/>
geschlechtes. der dichter, der seinen Eros von einer frau verkünden lä&#x017F;st, hat<lb/>
freilich dafür gesorgt, da&#x017F;s ihm das weibliche geschlecht nicht zürnen darf, wie<lb/>
dem Aristoteles. aber Diotima ist eine hehre priesterin, und die heiligkeit und<lb/>
reinheit und das übermenschliche der &#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03AC;&#x03F1;&#x03BA;&#x03B5;&#x03B9;&#x03B1; hatte der Hellene und zumal der<lb/>
Athener schon längst in der himmlischen jungfrau weiblich gedacht und als weib<lb/>
angebetet. sein späteres leben hat allerdings den Platon den kreisen der weiblich-<lb/>
keit allzu fern gehalten: da&#x017F;s er aber früher auch gelegenheit gehabt hat, sehr<lb/>
feine psychologische studien zu machen, lehrt die überraschend wahre schilderung<lb/>
des einflusses der ehrgeizigen weiber in dem staate des &#x2018;strebertums&#x2019; (Staat 549).</note> aber die menschliche seele fordert sich ihr recht zu lieben und<lb/>
zu schwärmen und dadurch zu leiden. so hat sie es auch in dem kreise<lb/>
der Akademie getan, anders und doch ähnlich wie in den hallen und<lb/>
auf den ringplätzen nebenan. und menschlich näher rückt uns der<lb/>
übermenschliche weisheitslehrer, wenn wir ihn die regungen der maien-<lb/>
zeit des seelenlebens auch erfahren sehen.<note place="foot" n="25)">Die freundschaft ist in der Ethik unverhältnismä&#x017F;sig breit behandelt. sie<lb/>
hatte damals für die reifen männer eine bedeutung, die uns auch nicht mehr unmittel-<lb/>
bar verständlich ist. aber sie steht nicht unter der gewalt des Eros; von den weich-<lb/>
lichen überschwenglichkeiten Epikurs, der den sokratischen Eros nicht kennt, hält<lb/>
sich natürlich Aristoteles fern. die freundschaft ist, wie der wandel in der be-<lb/>
deutung von &#x03C6;&#x03AF;&#x03BB;&#x03BF;&#x03B9; lehrt, eigentlich ein surrogat der familie, des geschlechtes: das<lb/>
hat mit dem herzen wenig zu tun. verhältnisse wie Platon zu Dion, Aristoteles zu<lb/>
Eudemos nennen wir freundschaft; das ist ungriechisch; ich halte es auch für un-<lb/>
richtig. das ist Eros. wie Goethe nach Schillers tode über diesen redet, das offen-<lb/>
bart für uns am besten diesen Eros. es offenbart zugleich, da&#x017F;s Goethes seele<lb/>
hellenisch geworden war.</note></p><lb/>
          <p>Und nun erlebte er was ihn zum manne machte. den Eudemos<note place="right">Bestreitung<lb/>
der ideen-<lb/>
lehre.</note><lb/>
hatte noch der gläubige jünger Platons geschrieben; bald aber kam eine<lb/>
krisis für seine wissenschaftliche überzeugung: er ward an der ideen-<lb/>
lehre irre, er fand, da&#x017F;s er sie widerlegen könnte, und, wie seine pflicht<lb/>
war, widerlegte er sie. es war sein gutes recht, wenn er trotzdem nicht<lb/>
aufhörte, Platoniker zu sein und sein zu wollen, so wenig Platon den<lb/>
Sokrates verleugnet hatte, weil er ihn überwand. aber es war doch für<lb/>
die Akademie ein aufstand im eigenen lager, und wie hätte es an kleinen<lb/>
geistern fehlen sollen, die zum mindesten über pietätlosigkeit schrien?<lb/>
wenn Aristoteles noch im Protreptikos selbst die erwartung ausgesprochen<lb/>
hatte, die philosophie würde binnen kurzem abgeschlossen sein (ein<lb/>
allerdings für die jugendlichkeit des verfassers mehr als alles andere be-<lb/>
weisendes wort), so war jetzt, wenn die realität der ideen fiel, die meta-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0343] freundschaft und liebe. bestreitung der ideenlehre. teles. 24) aber die menschliche seele fordert sich ihr recht zu lieben und zu schwärmen und dadurch zu leiden. so hat sie es auch in dem kreise der Akademie getan, anders und doch ähnlich wie in den hallen und auf den ringplätzen nebenan. und menschlich näher rückt uns der übermenschliche weisheitslehrer, wenn wir ihn die regungen der maien- zeit des seelenlebens auch erfahren sehen. 25) Und nun erlebte er was ihn zum manne machte. den Eudemos hatte noch der gläubige jünger Platons geschrieben; bald aber kam eine krisis für seine wissenschaftliche überzeugung: er ward an der ideen- lehre irre, er fand, daſs er sie widerlegen könnte, und, wie seine pflicht war, widerlegte er sie. es war sein gutes recht, wenn er trotzdem nicht aufhörte, Platoniker zu sein und sein zu wollen, so wenig Platon den Sokrates verleugnet hatte, weil er ihn überwand. aber es war doch für die Akademie ein aufstand im eigenen lager, und wie hätte es an kleinen geistern fehlen sollen, die zum mindesten über pietätlosigkeit schrien? wenn Aristoteles noch im Protreptikos selbst die erwartung ausgesprochen hatte, die philosophie würde binnen kurzem abgeschlossen sein (ein allerdings für die jugendlichkeit des verfassers mehr als alles andere be- weisendes wort), so war jetzt, wenn die realität der ideen fiel, die meta- Bestreitung der ideen- lehre. 24) Platon ist darüber allerdings weit hinweggeschritten; aber er hat die frau doch nur dadurch zu ihrer würde emporheben können, daſs er sie dem manne völlig gleichstellte, also durch die anerkennung ihrer seele, aber die leugnung ihres geschlechtes. der dichter, der seinen Eros von einer frau verkünden läſst, hat freilich dafür gesorgt, daſs ihm das weibliche geschlecht nicht zürnen darf, wie dem Aristoteles. aber Diotima ist eine hehre priesterin, und die heiligkeit und reinheit und das übermenschliche der αὐτάϱκεια hatte der Hellene und zumal der Athener schon längst in der himmlischen jungfrau weiblich gedacht und als weib angebetet. sein späteres leben hat allerdings den Platon den kreisen der weiblich- keit allzu fern gehalten: daſs er aber früher auch gelegenheit gehabt hat, sehr feine psychologische studien zu machen, lehrt die überraschend wahre schilderung des einflusses der ehrgeizigen weiber in dem staate des ‘strebertums’ (Staat 549). 25) Die freundschaft ist in der Ethik unverhältnismäſsig breit behandelt. sie hatte damals für die reifen männer eine bedeutung, die uns auch nicht mehr unmittel- bar verständlich ist. aber sie steht nicht unter der gewalt des Eros; von den weich- lichen überschwenglichkeiten Epikurs, der den sokratischen Eros nicht kennt, hält sich natürlich Aristoteles fern. die freundschaft ist, wie der wandel in der be- deutung von φίλοι lehrt, eigentlich ein surrogat der familie, des geschlechtes: das hat mit dem herzen wenig zu tun. verhältnisse wie Platon zu Dion, Aristoteles zu Eudemos nennen wir freundschaft; das ist ungriechisch; ich halte es auch für un- richtig. das ist Eros. wie Goethe nach Schillers tode über diesen redet, das offen- bart für uns am besten diesen Eros. es offenbart zugleich, daſs Goethes seele hellenisch geworden war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/343
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/343>, abgerufen am 21.11.2024.