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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Platon und das wahre lebensideal.
und reinerem streben rief. er hat das aristotelische gold umgemünzt
für sein volk und seine zeit, und in dieser form hat es den Augustinus
zur einkehr in sich selbst gebracht, hat es den Boethius im kerker ruhig
sterben gelehrt. und wie vielen herzen haben diese beiden vermitteler
kraft und trost gespendet, indem sie ihnen den letzten nachhall der
aristotelischen rede zuführten. wie ganz anders würden auf uns die
vollen töne der echten rede wirken.

Aristoteles hatte die form einer rede an einen kleinen und obscuren
kyprischen fürsten Themison gewählt.22) das war keine platonische form,
sondern eine isokrateische, und so wird uns offenbar, dass er in der tat
die concurrenz mit Isokrates gesucht hat. denn an den kyprischen
fürsten Nikokles hatte jener seine hochgefeierte rede über die aufgabe
des königtums gerichtet, die zugleich das wesentliche von dem entwickelte,
was der rhetor als moral begriffen hatte und verkündete. dass die pla-
tonische schule, die selbst auf die mächtigen der erde rechnete, den
Isokrates auf diesem gebiete überbieten mochte, ist verständlich. Aristo-
teles aber konnte aus den erfahrungen seiner eigenen seele die über-
windung des niedern lebensideals durch das höchste des wissenschaft-
lichen lebens schildern. er tat es durchaus in der verfolgung platonischer
gedanken und mit der nämlichen übertreibung, die Platon praktisch
oder auch unpraktisch in Sicilien betätigt hatte, als er auf den tischen
des jungen Dionysios, die sonst von wein schwammen, mathematische
figuren zeichnete, im glauben, so den ächten fürsten zu erziehen.

Denn so fern auch ihre ganze geistesrichtung und arbeit dem poli-
tischen leben zu liegen scheinen mag, die philosophen dachten darüber
anders: die könige sollten philosophen werden, auf dass die menschen
gut und glücklich würden. sie wollten wirklich bekehren: herrschen
wollten sie nicht selbst, aber doch herrschen lehren. Aristoteles hat es
mit angesehen, wie Platon die ganze moralische und auch die materielle
macht der Akademie aufbot, um erst durch, dann gegen Dionysios II Syrakus
für seine politischen plane zu erobern. die trümmerhafte überlieferung
versagt uns gerade die vorbereitung der expeditionen Dions zu über-
schauen, aber dieser hat unmöglich in Athen seine rüstungen machen,
Athener und andere wider eine vom staate Athen anerkannte regierung

22) Gerade die sorgfältige besprechung der reste des Protreptikos von Hartlich
(Leipz. stud. 11) hat mich in dem glauben befestigt, dass R. Hirzel (Herm. 10), den
jener bekämpft, den Protreptikos mit recht für eine rede, nicht für einen dialog
erklärt hat. denn die einwürfe der gegner werden reproducirt, nicht im wirklichen
gespräche gegeben.

Platon und das wahre lebensideal.
und reinerem streben rief. er hat das aristotelische gold umgemünzt
für sein volk und seine zeit, und in dieser form hat es den Augustinus
zur einkehr in sich selbst gebracht, hat es den Boethius im kerker ruhig
sterben gelehrt. und wie vielen herzen haben diese beiden vermitteler
kraft und trost gespendet, indem sie ihnen den letzten nachhall der
aristotelischen rede zuführten. wie ganz anders würden auf uns die
vollen töne der echten rede wirken.

Aristoteles hatte die form einer rede an einen kleinen und obscuren
kyprischen fürsten Themison gewählt.22) das war keine platonische form,
sondern eine isokrateische, und so wird uns offenbar, daſs er in der tat
die concurrenz mit Isokrates gesucht hat. denn an den kyprischen
fürsten Nikokles hatte jener seine hochgefeierte rede über die aufgabe
des königtums gerichtet, die zugleich das wesentliche von dem entwickelte,
was der rhetor als moral begriffen hatte und verkündete. daſs die pla-
tonische schule, die selbst auf die mächtigen der erde rechnete, den
Isokrates auf diesem gebiete überbieten mochte, ist verständlich. Aristo-
teles aber konnte aus den erfahrungen seiner eigenen seele die über-
windung des niedern lebensideals durch das höchste des wissenschaft-
lichen lebens schildern. er tat es durchaus in der verfolgung platonischer
gedanken und mit der nämlichen übertreibung, die Platon praktisch
oder auch unpraktisch in Sicilien betätigt hatte, als er auf den tischen
des jungen Dionysios, die sonst von wein schwammen, mathematische
figuren zeichnete, im glauben, so den ächten fürsten zu erziehen.

Denn so fern auch ihre ganze geistesrichtung und arbeit dem poli-
tischen leben zu liegen scheinen mag, die philosophen dachten darüber
anders: die könige sollten philosophen werden, auf daſs die menschen
gut und glücklich würden. sie wollten wirklich bekehren: herrschen
wollten sie nicht selbst, aber doch herrschen lehren. Aristoteles hat es
mit angesehen, wie Platon die ganze moralische und auch die materielle
macht der Akademie aufbot, um erst durch, dann gegen Dionysios II Syrakus
für seine politischen plane zu erobern. die trümmerhafte überlieferung
versagt uns gerade die vorbereitung der expeditionen Dions zu über-
schauen, aber dieser hat unmöglich in Athen seine rüstungen machen,
Athener und andere wider eine vom staate Athen anerkannte regierung

22) Gerade die sorgfältige besprechung der reste des Protreptikos von Hartlich
(Leipz. stud. 11) hat mich in dem glauben befestigt, daſs R. Hirzel (Herm. 10), den
jener bekämpft, den Protreptikos mit recht für eine rede, nicht für einen dialog
erklärt hat. denn die einwürfe der gegner werden reproducirt, nicht im wirklichen
gespräche gegeben.
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[327/0341] Platon und das wahre lebensideal. und reinerem streben rief. er hat das aristotelische gold umgemünzt für sein volk und seine zeit, und in dieser form hat es den Augustinus zur einkehr in sich selbst gebracht, hat es den Boethius im kerker ruhig sterben gelehrt. und wie vielen herzen haben diese beiden vermitteler kraft und trost gespendet, indem sie ihnen den letzten nachhall der aristotelischen rede zuführten. wie ganz anders würden auf uns die vollen töne der echten rede wirken. Aristoteles hatte die form einer rede an einen kleinen und obscuren kyprischen fürsten Themison gewählt. 22) das war keine platonische form, sondern eine isokrateische, und so wird uns offenbar, daſs er in der tat die concurrenz mit Isokrates gesucht hat. denn an den kyprischen fürsten Nikokles hatte jener seine hochgefeierte rede über die aufgabe des königtums gerichtet, die zugleich das wesentliche von dem entwickelte, was der rhetor als moral begriffen hatte und verkündete. daſs die pla- tonische schule, die selbst auf die mächtigen der erde rechnete, den Isokrates auf diesem gebiete überbieten mochte, ist verständlich. Aristo- teles aber konnte aus den erfahrungen seiner eigenen seele die über- windung des niedern lebensideals durch das höchste des wissenschaft- lichen lebens schildern. er tat es durchaus in der verfolgung platonischer gedanken und mit der nämlichen übertreibung, die Platon praktisch oder auch unpraktisch in Sicilien betätigt hatte, als er auf den tischen des jungen Dionysios, die sonst von wein schwammen, mathematische figuren zeichnete, im glauben, so den ächten fürsten zu erziehen. Denn so fern auch ihre ganze geistesrichtung und arbeit dem poli- tischen leben zu liegen scheinen mag, die philosophen dachten darüber anders: die könige sollten philosophen werden, auf daſs die menschen gut und glücklich würden. sie wollten wirklich bekehren: herrschen wollten sie nicht selbst, aber doch herrschen lehren. Aristoteles hat es mit angesehen, wie Platon die ganze moralische und auch die materielle macht der Akademie aufbot, um erst durch, dann gegen Dionysios II Syrakus für seine politischen plane zu erobern. die trümmerhafte überlieferung versagt uns gerade die vorbereitung der expeditionen Dions zu über- schauen, aber dieser hat unmöglich in Athen seine rüstungen machen, Athener und andere wider eine vom staate Athen anerkannte regierung 22) Gerade die sorgfältige besprechung der reste des Protreptikos von Hartlich (Leipz. stud. 11) hat mich in dem glauben befestigt, daſs R. Hirzel (Herm. 10), den jener bekämpft, den Protreptikos mit recht für eine rede, nicht für einen dialog erklärt hat. denn die einwürfe der gegner werden reproducirt, nicht im wirklichen gespräche gegeben.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/341>, abgerufen am 24.11.2024.