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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Plutarch. geringe benutzung in älterer zeit.
fange, wie eben bibliographisch genaue citate im altertum lauten müssen,
und eine beurteilung ihres poetischen stiles beizufügen (8); und ebenso
citirt er mit dem titel die trochaeen an Phokos (14), die er dann aus-
giebig benutzt. für ihn also macht die übereinstimmung solonischer
citate mit Aristoteles gar nichts aus.22) seine quelle, die peripatetische
biographie, ist dagegen von der Politie in der auswahl der verse und
sonst stark beeinflusst worden, hat also die aristotelische skizze vielfältig
erweitert, namentlich aus der chronik, die auch Aristoteles selbst zu
grunde gelegt hatte. wenn also gerade der Solon trotz ausgedehntester
berührung mit der Politie ohne sie verfasst ist, so kann man gar nicht
anders schliessen, als dass Plutarch weder diese noch irgend eine ihrer
schwestern jemals gelesen hat.

Das aber ist das bedeutsame, dass Plutarch die Politien überhauptGeringe be-
nutzung in
älterer zeit.

sich nicht verschafft hat, trotzdem unter unzähligen andern büchern
auch sie in den biographischen quellen, von denen er jedesmal ausgeht,
einzeln citirt waren. und die verfasser jener biographischen grundbücher
haben eine sehr berechtigte zurückhaltung namentlich gegen die oligar-
chische tendenz der attischen Politie geübt: erst bei einem rhetor der
allerspätesten zeit ist eine spur der schlimmsten Themistoklesanekdote.
aber so stehn überhaupt die hellenistischen jahrhunderte zu diesem
aristotelischen buche. Cicero und Dionysios von Halikarnass und Ciceros
philosophische gewährsmänner haben ihr politisches raisonnement von
Theophrastos und anderen peripatetikern zumeist geborgt, aber die
athenische Politie kennen sie nicht. weder bei Panaitios noch bei
Polybios ist eine spur von ihr. Apollodoros von Athen, dessen historische
gelehrsamkeit nach dem strabonischen auszuge sich gut schätzen lässt,

22) Für die recensio der solonischen gedichte ist also Plutarch ein zeuge so
gut wie Aristoteles, Aristides dagegen nicht. es ist das wichtig für den vers, den
Aristoteles (5, 1) und Plutarch (14, 2) citiren, dieser aber in prosa aufgelöst
dedoikos ton men ten philokhrematian ton de ten uperephanian, wobei ihm passirt
ist disjunctiv zu fassen und auf zwei parteien zu beziehen, was nur dem adel galt
(vgl. Solon fgm. 5, 8. 12): das war bei directer benutzung sei es Solons, sei es
des Aristoteles nicht möglich. nun ist in dem papyrus das wort, das bei Plutarch
als philokhrematia steht, verloschen, aber man könnte -atian lesen und am anfang
führen die spuren auf ph. nur der raum reicht nicht, und die verbindung te te
lehrt, dass Aristoteles citirt hat. da nun der zusammenhang den begriff pleonexia
fordert (akhrematia ist genau das gegenteil des verlangten), Plutarch denselben be-
zeugt, so werden nicht nur Aristoteles und Solon geschrieben haben, sondern trotz
dem vor ian sichtbaren bindestrich auch der papyrus enthalten haben, was bei Kenyon
und uns steht philargurian.

Plutarch. geringe benutzung in älterer zeit.
fange, wie eben bibliographisch genaue citate im altertum lauten müssen,
und eine beurteilung ihres poetischen stiles beizufügen (8); und ebenso
citirt er mit dem titel die trochaeen an Phokos (14), die er dann aus-
giebig benutzt. für ihn also macht die übereinstimmung solonischer
citate mit Aristoteles gar nichts aus.22) seine quelle, die peripatetische
biographie, ist dagegen von der Politie in der auswahl der verse und
sonst stark beeinfluſst worden, hat also die aristotelische skizze vielfältig
erweitert, namentlich aus der chronik, die auch Aristoteles selbst zu
grunde gelegt hatte. wenn also gerade der Solon trotz ausgedehntester
berührung mit der Politie ohne sie verfaſst ist, so kann man gar nicht
anders schlieſsen, als daſs Plutarch weder diese noch irgend eine ihrer
schwestern jemals gelesen hat.

Das aber ist das bedeutsame, daſs Plutarch die Politien überhauptGeringe be-
nutzung in
älterer zeit.

sich nicht verschafft hat, trotzdem unter unzähligen andern büchern
auch sie in den biographischen quellen, von denen er jedesmal ausgeht,
einzeln citirt waren. und die verfasser jener biographischen grundbücher
haben eine sehr berechtigte zurückhaltung namentlich gegen die oligar-
chische tendenz der attischen Politie geübt: erst bei einem rhetor der
allerspätesten zeit ist eine spur der schlimmsten Themistoklesanekdote.
aber so stehn überhaupt die hellenistischen jahrhunderte zu diesem
aristotelischen buche. Cicero und Dionysios von Halikarnaſs und Ciceros
philosophische gewährsmänner haben ihr politisches raisonnement von
Theophrastos und anderen peripatetikern zumeist geborgt, aber die
athenische Politie kennen sie nicht. weder bei Panaitios noch bei
Polybios ist eine spur von ihr. Apollodoros von Athen, dessen historische
gelehrsamkeit nach dem strabonischen auszuge sich gut schätzen läſst,

22) Für die recensio der solonischen gedichte ist also Plutarch ein zeuge so
gut wie Aristoteles, Aristides dagegen nicht. es ist das wichtig für den vers, den
Aristoteles (5, 1) und Plutarch (14, 2) citiren, dieser aber in prosa aufgelöst
δεδοικὼς τῶν μὲν τὴν φιλοχϱηματίαν τῶν δὲ τὴν ὑπεϱηφανίαν, wobei ihm passirt
ist disjunctiv zu fassen und auf zwei parteien zu beziehen, was nur dem adel galt
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des Aristoteles nicht möglich. nun ist in dem papyrus das wort, das bei Plutarch
als φιλοχϱηματία steht, verloschen, aber man könnte -ατίαν lesen und am anfang
führen die spuren auf φ. nur der raum reicht nicht, und die verbindung τε τε
lehrt, daſs Aristoteles citirt hat. da nun der zusammenhang den begriff πλεονεξία
fordert (ἀχϱηματία ist genau das gegenteil des verlangten), Plutarch denselben be-
zeugt, so werden nicht nur Aristoteles und Solon geschrieben haben, sondern trotz
dem vor ιαν sichtbaren bindestrich auch der papyrus enthalten haben, was bei Kenyon
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[303/0317] Plutarch. geringe benutzung in älterer zeit. fange, wie eben bibliographisch genaue citate im altertum lauten müssen, und eine beurteilung ihres poetischen stiles beizufügen (8); und ebenso citirt er mit dem titel die trochaeen an Phokos (14), die er dann aus- giebig benutzt. für ihn also macht die übereinstimmung solonischer citate mit Aristoteles gar nichts aus. 22) seine quelle, die peripatetische biographie, ist dagegen von der Politie in der auswahl der verse und sonst stark beeinfluſst worden, hat also die aristotelische skizze vielfältig erweitert, namentlich aus der chronik, die auch Aristoteles selbst zu grunde gelegt hatte. wenn also gerade der Solon trotz ausgedehntester berührung mit der Politie ohne sie verfaſst ist, so kann man gar nicht anders schlieſsen, als daſs Plutarch weder diese noch irgend eine ihrer schwestern jemals gelesen hat. Das aber ist das bedeutsame, daſs Plutarch die Politien überhaupt sich nicht verschafft hat, trotzdem unter unzähligen andern büchern auch sie in den biographischen quellen, von denen er jedesmal ausgeht, einzeln citirt waren. und die verfasser jener biographischen grundbücher haben eine sehr berechtigte zurückhaltung namentlich gegen die oligar- chische tendenz der attischen Politie geübt: erst bei einem rhetor der allerspätesten zeit ist eine spur der schlimmsten Themistoklesanekdote. aber so stehn überhaupt die hellenistischen jahrhunderte zu diesem aristotelischen buche. Cicero und Dionysios von Halikarnaſs und Ciceros philosophische gewährsmänner haben ihr politisches raisonnement von Theophrastos und anderen peripatetikern zumeist geborgt, aber die athenische Politie kennen sie nicht. weder bei Panaitios noch bei Polybios ist eine spur von ihr. Apollodoros von Athen, dessen historische gelehrsamkeit nach dem strabonischen auszuge sich gut schätzen läſst, Geringe be- nutzung in älterer zeit. 22) Für die recensio der solonischen gedichte ist also Plutarch ein zeuge so gut wie Aristoteles, Aristides dagegen nicht. es ist das wichtig für den vers, den Aristoteles (5, 1) und Plutarch (14, 2) citiren, dieser aber in prosa aufgelöst δεδοικὼς τῶν μὲν τὴν φιλοχϱηματίαν τῶν δὲ τὴν ὑπεϱηφανίαν, wobei ihm passirt ist disjunctiv zu fassen und auf zwei parteien zu beziehen, was nur dem adel galt (vgl. Solon fgm. 5, 8. 12): das war bei directer benutzung sei es Solons, sei es des Aristoteles nicht möglich. nun ist in dem papyrus das wort, das bei Plutarch als φιλοχϱηματία steht, verloschen, aber man könnte -ατίαν lesen und am anfang führen die spuren auf φ. nur der raum reicht nicht, und die verbindung τε τε lehrt, daſs Aristoteles citirt hat. da nun der zusammenhang den begriff πλεονεξία fordert (ἀχϱηματία ist genau das gegenteil des verlangten), Plutarch denselben be- zeugt, so werden nicht nur Aristoteles und Solon geschrieben haben, sondern trotz dem vor ιαν sichtbaren bindestrich auch der papyrus enthalten haben, was bei Kenyon und uns steht φιλαϱγυϱίαν.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/317>, abgerufen am 18.05.2024.