I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit.
Im Kimon (10) wird dessen liberalität geschildert, und zwar nach- weislich nach Theopompos (Athen. XII 533a); daneben wird für einen nebenumstand eine variante aus Aristoteles beigebracht. es folgen be- stätigende urteile aus Gorgias Kratinos Kritias. da haben wir wieder ein citatennest, und gerade die aristotelische fassung der geschichte war durch Theophrastos verbreitet (Cic. de off. II 64). in wahrheit ganz dieselbe schilderung Kimons steht im Perikles (9), und daran schliesst sich, wie dieser um ihn zu übertrumpfen auf die besoldungen der ämter geriet. das stimmt im allgemeinen zu dem gedankengange des Aristoteles; aber es stammt nicht aus ihm, denn die liberalität Kimons trägt die farben der theopompischen übertreibung, und neben dem richtersolde steht das theorikon, von dem Aristoteles nichts sagt, wie denn überhaupt hier viel mehr und recht wertvolles steht, und wieder erscheint ein citat aus Aristoteles über Damonides als eine einlage. unmöglich kann man es anders beurteilen als das im Kimon. Plutarch hat offenbar einen nnd denselben historischen bericht mit varianten und citaten in beiden biographien zu grunde gelegt, natürlich aber jedesmal nur für seinen helden das nebenwerk mit herangezogen. solche historischen vorlagen sind in den biographien der Griechen oft bei ihm kenntlich, am besten im Themistokles, wo wir im Thukydides die grundschrift besitzen, (Herm. XIV, 152); hier ist sie Theopomp gewesen. man könnte vermuten, dass die varianten in Plutarchs exemplaren als scholien am rande standen; aber spuren von solchen scholien sind in den historikern sehr rar (Herod. III 61, Thuk. nur zur archäologie), und die analogie der mythographischen überlieferung weist vielmehr auf gelehrte verarbeitungen: das ist bio- graphische litteratur. der Perikles liefert noch zwei belege derselben art. über den tod des Ephialtes steht (10) erst die version des Idomeneus, die verworfen wird, dann die des Aristoteles, dass die oligarchen ihn durch Aristodikos umbringen liessen: aber Aristoteles nennt zwar die namen, aber von einer schuld der oligarchen sagt er nichts. da hat also Plutarch die varianten mit dem hauptberichte ungeschickt verschmolzen. und in einem citatenneste (4) wird nach Aristoteles Pythokleides lehrer des Perikles genannt, was immerhin aristotelisch sein mag, nur steht es nicht in der Politie. zwei citate über den samischen krieg (26. 28), in denen das letztere eine schaudergeschichte des Duris mit dem schweigen von Thukydides Ephoros Aristoteles widerlegt, sind schon von Rose mit recht auf die Politie der Samier bezogen worden. deren benutzung mag glauben, wer will: für die athenische würde sie nichts beweisen. Plutarch, wie er ist, würde sowol im Kimon wie im Perikles gerade das gesammt-
I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit.
Im Kimon (10) wird dessen liberalität geschildert, und zwar nach- weislich nach Theopompos (Athen. XII 533a); daneben wird für einen nebenumstand eine variante aus Aristoteles beigebracht. es folgen be- stätigende urteile aus Gorgias Kratinos Kritias. da haben wir wieder ein citatennest, und gerade die aristotelische fassung der geschichte war durch Theophrastos verbreitet (Cic. de off. II 64). in wahrheit ganz dieselbe schilderung Kimons steht im Perikles (9), und daran schlieſst sich, wie dieser um ihn zu übertrumpfen auf die besoldungen der ämter geriet. das stimmt im allgemeinen zu dem gedankengange des Aristoteles; aber es stammt nicht aus ihm, denn die liberalität Kimons trägt die farben der theopompischen übertreibung, und neben dem richtersolde steht das theorikon, von dem Aristoteles nichts sagt, wie denn überhaupt hier viel mehr und recht wertvolles steht, und wieder erscheint ein citat aus Aristoteles über Damonides als eine einlage. unmöglich kann man es anders beurteilen als das im Kimon. Plutarch hat offenbar einen nnd denselben historischen bericht mit varianten und citaten in beiden biographien zu grunde gelegt, natürlich aber jedesmal nur für seinen helden das nebenwerk mit herangezogen. solche historischen vorlagen sind in den biographien der Griechen oft bei ihm kenntlich, am besten im Themistokles, wo wir im Thukydides die grundschrift besitzen, (Herm. XIV, 152); hier ist sie Theopomp gewesen. man könnte vermuten, daſs die varianten in Plutarchs exemplaren als scholien am rande standen; aber spuren von solchen scholien sind in den historikern sehr rar (Herod. III 61, Thuk. nur zur archäologie), und die analogie der mythographischen überlieferung weist vielmehr auf gelehrte verarbeitungen: das ist bio- graphische litteratur. der Perikles liefert noch zwei belege derselben art. über den tod des Ephialtes steht (10) erst die version des Idomeneus, die verworfen wird, dann die des Aristoteles, daſs die oligarchen ihn durch Aristodikos umbringen lieſsen: aber Aristoteles nennt zwar die namen, aber von einer schuld der oligarchen sagt er nichts. da hat also Plutarch die varianten mit dem hauptberichte ungeschickt verschmolzen. und in einem citatenneste (4) wird nach Aristoteles Pythokleides lehrer des Perikles genannt, was immerhin aristotelisch sein mag, nur steht es nicht in der Politie. zwei citate über den samischen krieg (26. 28), in denen das letztere eine schaudergeschichte des Duris mit dem schweigen von Thukydides Ephoros Aristoteles widerlegt, sind schon von Rose mit recht auf die Politie der Samier bezogen worden. deren benutzung mag glauben, wer will: für die athenische würde sie nichts beweisen. Plutarch, wie er ist, würde sowol im Kimon wie im Perikles gerade das gesammt-
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I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit.
Im Kimon (10) wird dessen liberalität geschildert, und zwar nach-
weislich nach Theopompos (Athen. XII 533a); daneben wird für einen
nebenumstand eine variante aus Aristoteles beigebracht. es folgen be-
stätigende urteile aus Gorgias Kratinos Kritias. da haben wir wieder
ein citatennest, und gerade die aristotelische fassung der geschichte war
durch Theophrastos verbreitet (Cic. de off. II 64). in wahrheit ganz
dieselbe schilderung Kimons steht im Perikles (9), und daran schlieſst
sich, wie dieser um ihn zu übertrumpfen auf die besoldungen der ämter
geriet. das stimmt im allgemeinen zu dem gedankengange des Aristoteles;
aber es stammt nicht aus ihm, denn die liberalität Kimons trägt die
farben der theopompischen übertreibung, und neben dem richtersolde
steht das theorikon, von dem Aristoteles nichts sagt, wie denn überhaupt
hier viel mehr und recht wertvolles steht, und wieder erscheint ein citat
aus Aristoteles über Damonides als eine einlage. unmöglich kann man
es anders beurteilen als das im Kimon. Plutarch hat offenbar einen
nnd denselben historischen bericht mit varianten und citaten in beiden
biographien zu grunde gelegt, natürlich aber jedesmal nur für seinen
helden das nebenwerk mit herangezogen. solche historischen vorlagen
sind in den biographien der Griechen oft bei ihm kenntlich, am besten
im Themistokles, wo wir im Thukydides die grundschrift besitzen, (Herm.
XIV, 152); hier ist sie Theopomp gewesen. man könnte vermuten, daſs
die varianten in Plutarchs exemplaren als scholien am rande standen;
aber spuren von solchen scholien sind in den historikern sehr rar (Herod.
III 61, Thuk. nur zur archäologie), und die analogie der mythographischen
überlieferung weist vielmehr auf gelehrte verarbeitungen: das ist bio-
graphische litteratur. der Perikles liefert noch zwei belege derselben art.
über den tod des Ephialtes steht (10) erst die version des Idomeneus,
die verworfen wird, dann die des Aristoteles, daſs die oligarchen ihn
durch Aristodikos umbringen lieſsen: aber Aristoteles nennt zwar die
namen, aber von einer schuld der oligarchen sagt er nichts. da hat also
Plutarch die varianten mit dem hauptberichte ungeschickt verschmolzen.
und in einem citatenneste (4) wird nach Aristoteles Pythokleides lehrer
des Perikles genannt, was immerhin aristotelisch sein mag, nur steht es
nicht in der Politie. zwei citate über den samischen krieg (26. 28), in
denen das letztere eine schaudergeschichte des Duris mit dem schweigen
von Thukydides Ephoros Aristoteles widerlegt, sind schon von Rose mit
recht auf die Politie der Samier bezogen worden. deren benutzung mag
glauben, wer will: für die athenische würde sie nichts beweisen. Plutarch,
wie er ist, würde sowol im Kimon wie im Perikles gerade das gesammt-
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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