Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.I. 7. Die verfassung. prytanen und proedren mit ihren obmännern vorgeführt werden, unddie verpflichtung die wahlen zu bestimmtem termine beim volke erst zu beantragen, dann abzuhalten 40), steht hier auch an passender stelle (42, 2--44, 4). befremden muss dagegen, dass die volksversammlungen, in denen der souverän des staates selbst in action tritt, nur in so weit sie die geschäftsleitung des vorsitzenden angehn, gegenstand der dar- stellung geworden sind. 41) Es folgen die allgemeinen competenzen des rates (45), jedoch in 40) Die wahl der militärischen und der andern wahlbeamten geht also nicht anders vor sich als die der commissionen, gesandtschaften u. s. w., durch besondern volksbeschluss, nicht einmal in einer kuria ekklesia. nur sind die prytanen ge- halten diese wahl von einer bestimmten frist ab auf die tagesordnung zu setzen, was aber an günstige vorzeichen gebunden war, also zu zeiten eludirt werden konnte. ebenso konnte in der volksversammlung durch absetzen von der tages- ordnung, wenn viel gegenstände darauf standen, schon durch procheirotonie und durch diosemia die wahl verhindert werden, so dass wir ohne besondere anhaltspunkte eine bestimmte wahl nicht chronologisch fixiren können. aber wichtig ist das princip, dass gerade die wahl der beamten ohne eine besondere veranstaltung, nicht anders als die ernennung eines proxenos, vollzogen wird, und der rat und das volk allein dabei mitwirken, kein magistrat. unmöglich können so in alter zeit die archonten oder auch die strategen gewählt sein. wenn es heisst, dass später die volksversammlungen meist im theater, die wahlen aber auf der pnyx waren (Poll. 8, 132), so liegt darin aller- dings eine änderung dieser verhältnisse. man hätte doch annehmen sollen, dass das gesetz, das einen strategen macht, als nomos ep andri behandelt würde, also eine minimalzahl von stimmenden und schriftliche abstimmung gefordert worden wäre. aber es ist nicht anders, als es die Acharner 598 zeigen: drei gimpel können einen feldherrn machen. suspendiren kann ihn wenigstens nur eine kuria ekklesia. -- schol. Ar. Ritt. 43 steht, dass die strategen am neumondstage gewählt wären; eine freche schwindelei, erträumt, weil der herr Demos sich den sclaven Paphlagon am letzten neumond ins haus gebracht hat, was nicht mehr bedeutet, als wenn ein moderner sagte 'letzten jahrmarkt'. am neumond ist keine volksversammlung, da ist ja festtag. 41) Diese behandlung hat die unerwünschte folge gehabt, dass auch einige be- amte fehlen, die es zu Aristoteles zeit nachweislich gab. der tamias tou demou fehlt, der den 'allgemeinen amtsbedürfnisfonds' des volkes, ta kata psephismata analis- komena to demo (nachweisbar schon 390 CIA II 12) verwaltet, vielleicht auch die casse, aus der die diaeten für den besuch der volksversammlung genommen werden. denn auch deren verteilung, mit der die controlle des besuches durch die sulloges tou demou und die lexiarkhoi zusammenhängt, ist übergangen, trotzdem die ent- sprechenden einrichtungen der gerichte breit behandelt sind. 42) Es entsprechen sich e boule proteron men en kuria 45, 1 und touton me
I. 7. Die verfassung. prytanen und proedren mit ihren obmännern vorgeführt werden, unddie verpflichtung die wahlen zu bestimmtem termine beim volke erst zu beantragen, dann abzuhalten 40), steht hier auch an passender stelle (42, 2—44, 4). befremden muſs dagegen, daſs die volksversammlungen, in denen der souverän des staates selbst in action tritt, nur in so weit sie die geschäftsleitung des vorsitzenden angehn, gegenstand der dar- stellung geworden sind. 41) Es folgen die allgemeinen competenzen des rates (45), jedoch in 40) Die wahl der militärischen und der andern wahlbeamten geht also nicht anders vor sich als die der commissionen, gesandtschaften u. s. w., durch besondern volksbeschluſs, nicht einmal in einer κυϱία ἐκκλησία. nur sind die prytanen ge- halten diese wahl von einer bestimmten frist ab auf die tagesordnung zu setzen, was aber an günstige vorzeichen gebunden war, also zu zeiten eludirt werden konnte. ebenso konnte in der volksversammlung durch absetzen von der tages- ordnung, wenn viel gegenstände darauf standen, schon durch procheirotonie und durch διοσημία die wahl verhindert werden, so daſs wir ohne besondere anhaltspunkte eine bestimmte wahl nicht chronologisch fixiren können. aber wichtig ist das princip, daſs gerade die wahl der beamten ohne eine besondere veranstaltung, nicht anders als die ernennung eines proxenos, vollzogen wird, und der rat und das volk allein dabei mitwirken, kein magistrat. unmöglich können so in alter zeit die archonten oder auch die strategen gewählt sein. wenn es heiſst, daſs später die volksversammlungen meist im theater, die wahlen aber auf der pnyx waren (Poll. 8, 132), so liegt darin aller- dings eine änderung dieser verhältnisse. man hätte doch annehmen sollen, daſs das gesetz, das einen strategen macht, als νόμος ἐπ̕ ἀνδϱί behandelt würde, also eine minimalzahl von stimmenden und schriftliche abstimmung gefordert worden wäre. aber es ist nicht anders, als es die Acharner 598 zeigen: drei gimpel können einen feldherrn machen. suspendiren kann ihn wenigstens nur eine κυϱία ἐκκλησία. — schol. Ar. Ritt. 43 steht, daſs die strategen am neumondstage gewählt wären; eine freche schwindelei, erträumt, weil der herr Demos sich den sclaven Paphlagon am letzten neumond ins haus gebracht hat, was nicht mehr bedeutet, als wenn ein moderner sagte ‘letzten jahrmarkt’. am neumond ist keine volksversammlung, da ist ja festtag. 41) Diese behandlung hat die unerwünschte folge gehabt, daſs auch einige be- amte fehlen, die es zu Aristoteles zeit nachweislich gab. der ταμίας τοῦ δήμου fehlt, der den ‘allgemeinen amtsbedürfnisfonds’ des volkes, τὰ κατὰ ψηφίσματα ἀναλισ- κόμενα τῷ δήμῳ (nachweisbar schon 390 CIA II 12) verwaltet, vielleicht auch die casse, aus der die diaeten für den besuch der volksversammlung genommen werden. denn auch deren verteilung, mit der die controlle des besuches durch die συλλογῆς τοῦ δήμου und die ληξίαϱχοι zusammenhängt, ist übergangen, trotzdem die ent- sprechenden einrichtungen der gerichte breit behandelt sind. 42) Es entsprechen sich ἡ βουλὴ πϱότεϱον μὲν ἦν κυϱία 45, 1 und τούτων μὲ
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I. 7. Die verfassung.
prytanen und proedren mit ihren obmännern vorgeführt werden, und
die verpflichtung die wahlen zu bestimmtem termine beim volke erst zu
beantragen, dann abzuhalten 40), steht hier auch an passender stelle
(42, 2—44, 4). befremden muſs dagegen, daſs die volksversammlungen,
in denen der souverän des staates selbst in action tritt, nur in so weit
sie die geschäftsleitung des vorsitzenden angehn, gegenstand der dar-
stellung geworden sind. 41)
Es folgen die allgemeinen competenzen des rates (45), jedoch in
der form, daſs angegeben wird, wozu der rat nicht mehr competent ist,
so daſs man geneigt wird, sich diesen abschnitt durch vergleichung
einer älteren darstellung der verfassung mit der geltenden praxis ent-
standen zu denken. 42) daran schlieſst sich, ohne daſs ein zusammen-
40) Die wahl der militärischen und der andern wahlbeamten geht also nicht
anders vor sich als die der commissionen, gesandtschaften u. s. w., durch besondern
volksbeschluſs, nicht einmal in einer κυϱία ἐκκλησία. nur sind die prytanen ge-
halten diese wahl von einer bestimmten frist ab auf die tagesordnung zu setzen,
was aber an günstige vorzeichen gebunden war, also zu zeiten eludirt werden
konnte. ebenso konnte in der volksversammlung durch absetzen von der tages-
ordnung, wenn viel gegenstände darauf standen, schon durch procheirotonie und durch
διοσημία die wahl verhindert werden, so daſs wir ohne besondere anhaltspunkte
eine bestimmte wahl nicht chronologisch fixiren können. aber wichtig ist das princip,
daſs gerade die wahl der beamten ohne eine besondere veranstaltung, nicht anders
als die ernennung eines proxenos, vollzogen wird, und der rat und das volk allein dabei
mitwirken, kein magistrat. unmöglich können so in alter zeit die archonten oder auch
die strategen gewählt sein. wenn es heiſst, daſs später die volksversammlungen meist
im theater, die wahlen aber auf der pnyx waren (Poll. 8, 132), so liegt darin aller-
dings eine änderung dieser verhältnisse. man hätte doch annehmen sollen, daſs das gesetz,
das einen strategen macht, als νόμος ἐπ̕ ἀνδϱί behandelt würde, also eine minimalzahl
von stimmenden und schriftliche abstimmung gefordert worden wäre. aber es ist nicht
anders, als es die Acharner 598 zeigen: drei gimpel können einen feldherrn machen.
suspendiren kann ihn wenigstens nur eine κυϱία ἐκκλησία. — schol. Ar. Ritt. 43
steht, daſs die strategen am neumondstage gewählt wären; eine freche schwindelei,
erträumt, weil der herr Demos sich den sclaven Paphlagon am letzten neumond ins
haus gebracht hat, was nicht mehr bedeutet, als wenn ein moderner sagte ‘letzten
jahrmarkt’. am neumond ist keine volksversammlung, da ist ja festtag.
41) Diese behandlung hat die unerwünschte folge gehabt, daſs auch einige be-
amte fehlen, die es zu Aristoteles zeit nachweislich gab. der ταμίας τοῦ δήμου fehlt,
der den ‘allgemeinen amtsbedürfnisfonds’ des volkes, τὰ κατὰ ψηφίσματα ἀναλισ-
κόμενα τῷ δήμῳ (nachweisbar schon 390 CIA II 12) verwaltet, vielleicht auch die
casse, aus der die diaeten für den besuch der volksversammlung genommen werden.
denn auch deren verteilung, mit der die controlle des besuches durch die συλλογῆς
τοῦ δήμου und die ληξίαϱχοι zusammenhängt, ist übergangen, trotzdem die ent-
sprechenden einrichtungen der gerichte breit behandelt sind.
42) Es entsprechen sich ἡ βουλὴ πϱότεϱον μὲν ἦν κυϱία 45, 1 und τούτων μὲ
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