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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
hauptsache war seine innere consolidirung. sie hat sich in dem jahr-
zehnt vollzogen, das zwischen der eroberung von Eion und der schlacht
am Eurymedon liegt. mit vollstem rechte legt Thukydides zwischen
beide eine allgemein gehaltene schilderung. wir vermögen aber fast nur
das resultat zu erkennen, nicht sein werden, und es ist zu fürchten,
dass sich darin auch künftig nicht viel ändern wird. aber schon des-
wegen weil offenbar militärische unternehmungen in grossem stile nicht
gemacht sind, ist die politische tätigkeit auf das höchste anzuschlagen.
viele dutzende von verträgen, wie die mit Erythrai und Kolophon, deren
reste wir lesen, müssen in dieser zeit geschlossen worden sein. die ab-
wälzung der militärischen lasten von den vielen kleinen gemeinden auf den
vorort, zum entgelt dafür die militärische besetzung vieler städte durch
attische garnisonen, die verwaltung und einziehung der tribute, die nun
nicht mehr unmittelbar für den krieg verwendung fanden und sicher-
lich stark herabgesetzt wurden, die neuen formen des rechtes, die
nötig wurden um sowol zwischen den einzelnen gemeinden wie zwischen
einzelnen bürgern verschiedener gemeinden einen rechtsweg zu schaffen,
und die erst sehr allmählich zu der einführung der athenischen ge-
richtshoheit führten, all dies und unendlich viel anderes, was man
nicht einmal alles ahnen kann, zwangen die verhältnisse zu bedenken
und zu beschliessen. niemand konnte sich im voraus ein bild machen,
wie sich die dinge gestalten würden, wenn sich auch schliesslich der
gemeinsame zug der entwickelung in allem zeigte, immer mehr pflichten
für die athenischen bürger und ihren staat, also auch immer grössere
macht für sie. dieses eine mal in der hellenischen geschichte war die
bewegung wirklich eine centripetale. 62)

de[mon ton adelph]on ton Lukomedo[us (Köhler hat nur den Achilleus nicht ergänzt),
und die leute werden Skyrier sein.
62) Der krieg mit Persien ruht bis zur Eurymedonschlacht. um da ein urteil
abzugeben, müsste man wissen, ob Xerxes einen grossen rachezug geplant hat, und
die Athener durch die fahrt nach Kypros einen vorstoss in aggressiver defensive
machten: dann war ihre politik und strategie gleich gut; oder ob sie nach der con-
solidirung des Reiches selbst angriffen, um Kypros zu erwerben, also an 478 und
500 anknüpfend. dann zeigten sich die Athener schon jetzt als duserotes ton
aponton, und man kann sich an dem doppelsiege nicht freuen. jedenfalls haben
sie unter dem eindruck dieses triumphes sich zu dem verhängnisvollen aegyptischen
abenteuer verführen lassen, das zuerst wieder dem erwerbe von Kypros galt. die volks-
versammlung, in der das bündnis mit Inaros beschlossen ward, ist der kritische moment
der hellenischen geschichte: to men eu prassein akoreston ephu pasi brotoisin; dak-
tulodeikton d outis apeipon eirgei melathron `meket eselthes tade phonon. das

I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
hauptsache war seine innere consolidirung. sie hat sich in dem jahr-
zehnt vollzogen, das zwischen der eroberung von Eion und der schlacht
am Eurymedon liegt. mit vollstem rechte legt Thukydides zwischen
beide eine allgemein gehaltene schilderung. wir vermögen aber fast nur
das resultat zu erkennen, nicht sein werden, und es ist zu fürchten,
daſs sich darin auch künftig nicht viel ändern wird. aber schon des-
wegen weil offenbar militärische unternehmungen in groſsem stile nicht
gemacht sind, ist die politische tätigkeit auf das höchste anzuschlagen.
viele dutzende von verträgen, wie die mit Erythrai und Kolophon, deren
reste wir lesen, müssen in dieser zeit geschlossen worden sein. die ab-
wälzung der militärischen lasten von den vielen kleinen gemeinden auf den
vorort, zum entgelt dafür die militärische besetzung vieler städte durch
attische garnisonen, die verwaltung und einziehung der tribute, die nun
nicht mehr unmittelbar für den krieg verwendung fanden und sicher-
lich stark herabgesetzt wurden, die neuen formen des rechtes, die
nötig wurden um sowol zwischen den einzelnen gemeinden wie zwischen
einzelnen bürgern verschiedener gemeinden einen rechtsweg zu schaffen,
und die erst sehr allmählich zu der einführung der athenischen ge-
richtshoheit führten, all dies und unendlich viel anderes, was man
nicht einmal alles ahnen kann, zwangen die verhältnisse zu bedenken
und zu beschlieſsen. niemand konnte sich im voraus ein bild machen,
wie sich die dinge gestalten würden, wenn sich auch schlieſslich der
gemeinsame zug der entwickelung in allem zeigte, immer mehr pflichten
für die athenischen bürger und ihren staat, also auch immer gröſsere
macht für sie. dieses eine mal in der hellenischen geschichte war die
bewegung wirklich eine centripetale. 62)

δη[μον τὸν ἀδελφ]ὸν τὸν Λυκομήδο[υς (Köhler hat nur den Achilleus nicht ergänzt),
und die leute werden Skyrier sein.
62) Der krieg mit Persien ruht bis zur Eurymedonschlacht. um da ein urteil
abzugeben, müſste man wissen, ob Xerxes einen groſsen rachezug geplant hat, und
die Athener durch die fahrt nach Kypros einen vorstoſs in aggressiver defensive
machten: dann war ihre politik und strategie gleich gut; oder ob sie nach der con-
solidirung des Reiches selbst angriffen, um Kypros zu erwerben, also an 478 und
500 anknüpfend. dann zeigten sich die Athener schon jetzt als δυσέϱωτες τῶν
ἀπόντων, und man kann sich an dem doppelsiege nicht freuen. jedenfalls haben
sie unter dem eindruck dieses triumphes sich zu dem verhängnisvollen aegyptischen
abenteuer verführen lassen, das zuerst wieder dem erwerbe von Kypros galt. die volks-
versammlung, in der das bündnis mit Inaros beschlossen ward, ist der kritische moment
der hellenischen geschichte: τὸ μὲν εὖ πϱάσσειν ἀκόϱεστον ἔφυ πᾶσι βϱοτοῖσιν· δακ-
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[158/0172] I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts. hauptsache war seine innere consolidirung. sie hat sich in dem jahr- zehnt vollzogen, das zwischen der eroberung von Eion und der schlacht am Eurymedon liegt. mit vollstem rechte legt Thukydides zwischen beide eine allgemein gehaltene schilderung. wir vermögen aber fast nur das resultat zu erkennen, nicht sein werden, und es ist zu fürchten, daſs sich darin auch künftig nicht viel ändern wird. aber schon des- wegen weil offenbar militärische unternehmungen in groſsem stile nicht gemacht sind, ist die politische tätigkeit auf das höchste anzuschlagen. viele dutzende von verträgen, wie die mit Erythrai und Kolophon, deren reste wir lesen, müssen in dieser zeit geschlossen worden sein. die ab- wälzung der militärischen lasten von den vielen kleinen gemeinden auf den vorort, zum entgelt dafür die militärische besetzung vieler städte durch attische garnisonen, die verwaltung und einziehung der tribute, die nun nicht mehr unmittelbar für den krieg verwendung fanden und sicher- lich stark herabgesetzt wurden, die neuen formen des rechtes, die nötig wurden um sowol zwischen den einzelnen gemeinden wie zwischen einzelnen bürgern verschiedener gemeinden einen rechtsweg zu schaffen, und die erst sehr allmählich zu der einführung der athenischen ge- richtshoheit führten, all dies und unendlich viel anderes, was man nicht einmal alles ahnen kann, zwangen die verhältnisse zu bedenken und zu beschlieſsen. niemand konnte sich im voraus ein bild machen, wie sich die dinge gestalten würden, wenn sich auch schlieſslich der gemeinsame zug der entwickelung in allem zeigte, immer mehr pflichten für die athenischen bürger und ihren staat, also auch immer gröſsere macht für sie. dieses eine mal in der hellenischen geschichte war die bewegung wirklich eine centripetale. 62) 61) 62) Der krieg mit Persien ruht bis zur Eurymedonschlacht. um da ein urteil abzugeben, müſste man wissen, ob Xerxes einen groſsen rachezug geplant hat, und die Athener durch die fahrt nach Kypros einen vorstoſs in aggressiver defensive machten: dann war ihre politik und strategie gleich gut; oder ob sie nach der con- solidirung des Reiches selbst angriffen, um Kypros zu erwerben, also an 478 und 500 anknüpfend. dann zeigten sich die Athener schon jetzt als δυσέϱωτες τῶν ἀπόντων, und man kann sich an dem doppelsiege nicht freuen. jedenfalls haben sie unter dem eindruck dieses triumphes sich zu dem verhängnisvollen aegyptischen abenteuer verführen lassen, das zuerst wieder dem erwerbe von Kypros galt. die volks- versammlung, in der das bündnis mit Inaros beschlossen ward, ist der kritische moment der hellenischen geschichte: τὸ μὲν εὖ πϱάσσειν ἀκόϱεστον ἔφυ πᾶσι βϱοτοῖσιν· δακ- τυλοδείκτων δ̕ οὔτις ἀπειπὼν εἴϱγει μελάϑϱων ῾μήκετ̕ ἐσέλϑῃς̕ τάδε φωνῶν. das 61) δη[μον τὸν ἀδελφ]ὸν τὸν Λυκομήδο[υς (Köhler hat nur den Achilleus nicht ergänzt), und die leute werden Skyrier sein.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/172>, abgerufen am 24.11.2024.