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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
gefeiert und seine familie hat dort ehrenrechte genossen 53); er muss sich
also verdienste um die stadt, wenn auch vielleicht nur ideelle, erworben
haben. mir scheint trotz der schlechten bezeugung glaubhafte über-
lieferung 54), dass Themistokles der stadt, die er doch nicht zinspflichtig
machen konnte, grossmütig den tribut erliess. als die Perser wieder-
kamen, kann ihr dies geschenk eines königlichen freundes sogar wirk-
lich zu statten gekommen sein. in Lampsakos also, denke ich, hat Charon
und hat später Thukydides über Themistokles nachrichten eingezogen,
aus dessen kreisen, wodurch sie ihren wert, freilich auch ihre beleuch-
tung erhielten. damit wird er auch andere nachrichten verbunden haben,
die ihm glaublich schienen, und wie so oft hat er sich im hochgefühle
der überlegenheit hingesetzt und die irrtümer seines kritiklosen volkes
berichtigt. dabei ist er dem allgemeinen geschick des kritikers ver-
fallen, dass er selbst der kritik eine blösse bot. er würde verstimmt
sein, aber er müsste selbst zugeben, dass seine Themistoklesgeschichte
tois khronois ouk akribes ist. 55) wir brauchen nur unser gewissen
zu befragen, um auf den vater der historischen kritik deshalb keinen stein
zu werfen.

Wir haben die überlieferung geprüft; das ergebnis ist meines er-
achtens erfreulich. wir wissen das genügende für die chronologie und
die tatsachen, und wir erkennen die novellistischen und tendenziösen be-
standteile als solche. es ist zeitgenössische dichtung: in diese classe
gehört auch die fabel, die den Aristoteles getäuscht hat, vom sturze des
Areopages durch Themistokles. so wie er sie erzählt, kann sie freilich
erst gegen ende des jahrhunderts ausgestaltet sein: aber welcher zeit
käme auch der hass gegen die demokratischen helden besser zu?

Diesem hass hat Aristoteles auch über den das wort gegeben, den

53) Inschrift von Lampsakos (ende 3. jahrh.) Mitteil. Athen VI 103.
54) Themistoklesbrief 20 p. 761 Herch. Lampsakon men eleutherosa kai pollo
phoro barunomenen apantos apheka, Muounta ade pflegt man einzusetzennn ten en
Magnesia kai auten Magnesian karpoumai. wie Myus in Magnesia liegen soll,
verstehe ich nicht. aber die befreiung von Lampsakos konnte der verfasser nicht
wol sich ausdenken, und sie stimmt zu dem Themistoklesfest, das die inschrift kennen
gelehrt hat, gar zu gut.
55) So wendet sich gegen ihn selbst sein scharfes wort über die Atthis des
Hellanikos. ich meinte früher, dieses bezöge sich eben auf die Themistoklesgeschichte;
aber das ist ein unbewiesener einfall. so lange wir nichts von den berichten des
Hellanikos haben und ihre chronologie nicht kennen, können wir den tadel nicht
prüfen. nur zu dem schlusse kann ich mich nicht verstehen "dies fragment ist tois
khronois akribes, folglich ist es nicht von Hellanikos".

I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
gefeiert und seine familie hat dort ehrenrechte genossen 53); er muſs sich
also verdienste um die stadt, wenn auch vielleicht nur ideelle, erworben
haben. mir scheint trotz der schlechten bezeugung glaubhafte über-
lieferung 54), daſs Themistokles der stadt, die er doch nicht zinspflichtig
machen konnte, groſsmütig den tribut erlieſs. als die Perser wieder-
kamen, kann ihr dies geschenk eines königlichen freundes sogar wirk-
lich zu statten gekommen sein. in Lampsakos also, denke ich, hat Charon
und hat später Thukydides über Themistokles nachrichten eingezogen,
aus dessen kreisen, wodurch sie ihren wert, freilich auch ihre beleuch-
tung erhielten. damit wird er auch andere nachrichten verbunden haben,
die ihm glaublich schienen, und wie so oft hat er sich im hochgefühle
der überlegenheit hingesetzt und die irrtümer seines kritiklosen volkes
berichtigt. dabei ist er dem allgemeinen geschick des kritikers ver-
fallen, daſs er selbst der kritik eine blöſse bot. er würde verstimmt
sein, aber er müſste selbst zugeben, daſs seine Themistoklesgeschichte
τοῖς χϱόνοις οὐκ ἀκϱιβής ist. 55) wir brauchen nur unser gewissen
zu befragen, um auf den vater der historischen kritik deshalb keinen stein
zu werfen.

Wir haben die überlieferung geprüft; das ergebnis ist meines er-
achtens erfreulich. wir wissen das genügende für die chronologie und
die tatsachen, und wir erkennen die novellistischen und tendenziösen be-
standteile als solche. es ist zeitgenössische dichtung: in diese classe
gehört auch die fabel, die den Aristoteles getäuscht hat, vom sturze des
Areopages durch Themistokles. so wie er sie erzählt, kann sie freilich
erst gegen ende des jahrhunderts ausgestaltet sein: aber welcher zeit
käme auch der haſs gegen die demokratischen helden besser zu?

Diesem haſs hat Aristoteles auch über den das wort gegeben, den

53) Inschrift von Lampsakos (ende 3. jahrh.) Mitteil. Athen VI 103.
54) Themistoklesbrief 20 p. 761 Herch. Λάμψακον μὲν ἠλευϑέϱωσα καὶ πολλῷ
φόϱῳ βαϱυνομένην ἅπαντος ἀφῆκα, Μυοῦντα áδὲ pflegt man einzusetzenñ τὴν ἐν
Μαγνησίᾳ καὶ αὐτὴν Μαγνησίαν καϱποῦμαι. wie Myus in Magnesia liegen soll,
verstehe ich nicht. aber die befreiung von Lampsakos konnte der verfasser nicht
wol sich ausdenken, und sie stimmt zu dem Themistoklesfest, das die inschrift kennen
gelehrt hat, gar zu gut.
55) So wendet sich gegen ihn selbst sein scharfes wort über die Atthis des
Hellanikos. ich meinte früher, dieses bezöge sich eben auf die Themistoklesgeschichte;
aber das ist ein unbewiesener einfall. so lange wir nichts von den berichten des
Hellanikos haben und ihre chronologie nicht kennen, können wir den tadel nicht
prüfen. nur zu dem schlusse kann ich mich nicht verstehen “dies fragment ist τοῖς
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[152/0166] I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts. gefeiert und seine familie hat dort ehrenrechte genossen 53); er muſs sich also verdienste um die stadt, wenn auch vielleicht nur ideelle, erworben haben. mir scheint trotz der schlechten bezeugung glaubhafte über- lieferung 54), daſs Themistokles der stadt, die er doch nicht zinspflichtig machen konnte, groſsmütig den tribut erlieſs. als die Perser wieder- kamen, kann ihr dies geschenk eines königlichen freundes sogar wirk- lich zu statten gekommen sein. in Lampsakos also, denke ich, hat Charon und hat später Thukydides über Themistokles nachrichten eingezogen, aus dessen kreisen, wodurch sie ihren wert, freilich auch ihre beleuch- tung erhielten. damit wird er auch andere nachrichten verbunden haben, die ihm glaublich schienen, und wie so oft hat er sich im hochgefühle der überlegenheit hingesetzt und die irrtümer seines kritiklosen volkes berichtigt. dabei ist er dem allgemeinen geschick des kritikers ver- fallen, daſs er selbst der kritik eine blöſse bot. er würde verstimmt sein, aber er müſste selbst zugeben, daſs seine Themistoklesgeschichte τοῖς χϱόνοις οὐκ ἀκϱιβής ist. 55) wir brauchen nur unser gewissen zu befragen, um auf den vater der historischen kritik deshalb keinen stein zu werfen. Wir haben die überlieferung geprüft; das ergebnis ist meines er- achtens erfreulich. wir wissen das genügende für die chronologie und die tatsachen, und wir erkennen die novellistischen und tendenziösen be- standteile als solche. es ist zeitgenössische dichtung: in diese classe gehört auch die fabel, die den Aristoteles getäuscht hat, vom sturze des Areopages durch Themistokles. so wie er sie erzählt, kann sie freilich erst gegen ende des jahrhunderts ausgestaltet sein: aber welcher zeit käme auch der haſs gegen die demokratischen helden besser zu? Diesem haſs hat Aristoteles auch über den das wort gegeben, den 53) Inschrift von Lampsakos (ende 3. jahrh.) Mitteil. Athen VI 103. 54) Themistoklesbrief 20 p. 761 Herch. Λάμψακον μὲν ἠλευϑέϱωσα καὶ πολλῷ φόϱῳ βαϱυνομένην ἅπαντος ἀφῆκα, Μυοῦντα áδὲ pflegt man einzusetzenñ τὴν ἐν Μαγνησίᾳ καὶ αὐτὴν Μαγνησίαν καϱποῦμαι. wie Myus in Magnesia liegen soll, verstehe ich nicht. aber die befreiung von Lampsakos konnte der verfasser nicht wol sich ausdenken, und sie stimmt zu dem Themistoklesfest, das die inschrift kennen gelehrt hat, gar zu gut. 55) So wendet sich gegen ihn selbst sein scharfes wort über die Atthis des Hellanikos. ich meinte früher, dieses bezöge sich eben auf die Themistoklesgeschichte; aber das ist ein unbewiesener einfall. so lange wir nichts von den berichten des Hellanikos haben und ihre chronologie nicht kennen, können wir den tadel nicht prüfen. nur zu dem schlusse kann ich mich nicht verstehen “dies fragment ist τοῖς χϱόνοις ἀκϱιβές, folglich ist es nicht von Hellanikos”.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/166>, abgerufen am 24.11.2024.