Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
das Themistokles den Athenern zu einer flotte verhilft, als anecdote ab-
gesondert.

Weiterhin findet sich nur noch ein kurzes stück, das als ein be-
standteil der chronik sich durch denselben charakter ausweist und von
seiner umgebung grell absticht, drei gesetze aus den fünfziger jahren
(26, 2--4). das erste macht das archontenamt den zeugiten zugänglich.
es besteht theoretisch noch, als er schreibt: denn noch immer gab niemand
auf die frage nach seiner steuerclasse die antwort, dass er ein thete wäre
(7, 4). formell war also niemals die zulassung aller bürger zu allen
ämtern ausgesprochen. 4) die bestimmungen über die qualification zum
archontenamte hat Aristoteles vollständig mitteilen wollen (55, 1), deshalb
steht dieses gesetz hier. das zweite ist die wiedereinsetzung der demen-
richter, einer schöpfung des Peisistratos (16, 5), deren zahl nun auf 30
normirt ward. Aristoteles kommt auf diese 403 geänderte zahl zurück,
wo er ihre competenzen bespricht (53, 1). dass Peisistratos mit der
schaffung dieser richter den leuten auf dem lande einen gefallen tun
wollte, die sich so einen gang in die stadt sparen konnten, sagt Aristo-
teles. dass seit 403 diese bedeutung des rein städtischen amtes ge-
schwunden war, wenn auch der name demenrichter noch bestand (48, 3),
folgt aus der schilderung ihrer competenz. wie Perikles es gehalten
hatte, erfahren wir nicht: so wenig ist Aristoteles darauf aus, einblick
in die verwaltung des fünften jahrhunderts zu geben. wir müssen
schliessen, dass Perikles den längst verschollenen namen der demen-
richter nicht von Peisistratos geborgt haben würde (wenn er denn über-
haupt vor der demenordnung bestand), falls er städtische richter aus
ihnen machen wollte. wir werden dann aber auch die decentralisirende

4) Dass wir das bisher geglaubt haben, ist keine schande, so unbegreiflich es
der nächsten generation schon sein wird, die unbewusst von dem beherrscht werden
wird, was wir dem aristotelischen buche danken. bis jetzt aber konnte man dem
Plutarch Arist. 22 den glauben nicht versagen, der gleich nach Plataiai seinen
helden 'ein psephisma schreiben' lässt, koinen einai ten politeian kai tous arkhontas
ex Athenaion apanton aireisthai. darin ist aireisthai ein ungenauer ausdruck und
der erste satz eine phrase, die in keinem volksbeschlusse gestanden hat. aber das
konnte man dem berichterstatter aufladen. vorher geht der ausgezeichnete bericht
über die siegesfeier und die institution der Eleutheria in Plataiai, und graphei pse-
phisma steht auch da. es folgt die ganz wertlose anekdote von dem plane des
Themistokles die flotte zu verbrennen, die unten besprochen ist: also auch die
analyse der plutarchischen schrift gestattete kein urteil über die herkunft oder qua-
lität jener nachricht, die wir jetzt einfach als eine bodenlose erfindung wegwerfen,
nur soviel ist an ihr richtig, dass sie den Aristeides als prostates toi demou auffasst,
nicht als führer der conservativen, wie es trotzdem die modernen meist getan haben.

I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.
das Themistokles den Athenern zu einer flotte verhilft, als anecdote ab-
gesondert.

Weiterhin findet sich nur noch ein kurzes stück, das als ein be-
standteil der chronik sich durch denselben charakter ausweist und von
seiner umgebung grell absticht, drei gesetze aus den fünfziger jahren
(26, 2—4). das erste macht das archontenamt den zeugiten zugänglich.
es besteht theoretisch noch, als er schreibt: denn noch immer gab niemand
auf die frage nach seiner steuerclasse die antwort, daſs er ein thete wäre
(7, 4). formell war also niemals die zulassung aller bürger zu allen
ämtern ausgesprochen. 4) die bestimmungen über die qualification zum
archontenamte hat Aristoteles vollständig mitteilen wollen (55, 1), deshalb
steht dieses gesetz hier. das zweite ist die wiedereinsetzung der demen-
richter, einer schöpfung des Peisistratos (16, 5), deren zahl nun auf 30
normirt ward. Aristoteles kommt auf diese 403 geänderte zahl zurück,
wo er ihre competenzen bespricht (53, 1). daſs Peisistratos mit der
schaffung dieser richter den leuten auf dem lande einen gefallen tun
wollte, die sich so einen gang in die stadt sparen konnten, sagt Aristo-
teles. daſs seit 403 diese bedeutung des rein städtischen amtes ge-
schwunden war, wenn auch der name demenrichter noch bestand (48, 3),
folgt aus der schilderung ihrer competenz. wie Perikles es gehalten
hatte, erfahren wir nicht: so wenig ist Aristoteles darauf aus, einblick
in die verwaltung des fünften jahrhunderts zu geben. wir müssen
schlieſsen, daſs Perikles den längst verschollenen namen der demen-
richter nicht von Peisistratos geborgt haben würde (wenn er denn über-
haupt vor der demenordnung bestand), falls er städtische richter aus
ihnen machen wollte. wir werden dann aber auch die decentralisirende

4) Daſs wir das bisher geglaubt haben, ist keine schande, so unbegreiflich es
der nächsten generation schon sein wird, die unbewuſst von dem beherrscht werden
wird, was wir dem aristotelischen buche danken. bis jetzt aber konnte man dem
Plutarch Arist. 22 den glauben nicht versagen, der gleich nach Plataiai seinen
helden ‘ein psephisma schreiben’ läſst, κοινὴν εἶναι τὴν πολιτείαν καὶ τοὺς ἄϱχοντας
ἐξ Ἀϑηναίων ἁπάντων αἱϱεῖσϑαι. darin ist αἱϱεῖσϑαι ein ungenauer ausdruck und
der erste satz eine phrase, die in keinem volksbeschlusse gestanden hat. aber das
konnte man dem berichterstatter aufladen. vorher geht der ausgezeichnete bericht
über die siegesfeier und die institution der Eleutheria in Plataiai, und γϱάφει ψή-
φισμα steht auch da. es folgt die ganz wertlose anekdote von dem plane des
Themistokles die flotte zu verbrennen, die unten besprochen ist: also auch die
analyse der plutarchischen schrift gestattete kein urteil über die herkunft oder qua-
lität jener nachricht, die wir jetzt einfach als eine bodenlose erfindung wegwerfen,
nur soviel ist an ihr richtig, daſs sie den Aristeides als πϱοστάτης τοῖ δήμου auffaſst,
nicht als führer der conservativen, wie es trotzdem die modernen meist getan haben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0138" n="124"/><fw place="top" type="header">I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts.</fw><lb/>
das Themistokles den Athenern zu einer flotte verhilft, als anecdote ab-<lb/>
gesondert.</p><lb/>
          <p>Weiterhin findet sich nur noch ein kurzes stück, das als ein be-<lb/>
standteil der chronik sich durch denselben charakter ausweist und von<lb/>
seiner umgebung grell absticht, drei gesetze aus den fünfziger jahren<lb/>
(26, 2&#x2014;4). das erste macht das archontenamt den zeugiten zugänglich.<lb/>
es besteht theoretisch noch, als er schreibt: denn noch immer gab niemand<lb/>
auf die frage nach seiner steuerclasse die antwort, da&#x017F;s er ein thete wäre<lb/>
(7, 4). formell war also niemals die zulassung aller bürger zu allen<lb/>
ämtern ausgesprochen. <note place="foot" n="4)">Da&#x017F;s wir das bisher geglaubt haben, ist keine schande, so unbegreiflich es<lb/>
der nächsten generation schon sein wird, die unbewu&#x017F;st von dem beherrscht werden<lb/>
wird, was wir dem aristotelischen buche danken. bis jetzt aber konnte man dem<lb/>
Plutarch Arist. 22 den glauben nicht versagen, der gleich nach Plataiai seinen<lb/>
helden &#x2018;ein psephisma schreiben&#x2019;&#x017F;st, &#x03BA;&#x03BF;&#x03B9;&#x03BD;&#x1F74;&#x03BD; &#x03B5;&#x1F36;&#x03BD;&#x03B1;&#x03B9; &#x03C4;&#x1F74;&#x03BD; &#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B9;&#x03C4;&#x03B5;&#x03AF;&#x03B1;&#x03BD; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C4;&#x03BF;&#x1F7A;&#x03C2; &#x1F04;&#x03F1;&#x03C7;&#x03BF;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B1;&#x03C2;<lb/>
&#x1F10;&#x03BE; &#x1F08;&#x03D1;&#x03B7;&#x03BD;&#x03B1;&#x03AF;&#x03C9;&#x03BD; &#x1F01;&#x03C0;&#x03AC;&#x03BD;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; &#x03B1;&#x1F31;&#x03F1;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9;. darin ist &#x03B1;&#x1F31;&#x03F1;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9; ein ungenauer ausdruck und<lb/>
der erste satz eine phrase, die in keinem volksbeschlusse gestanden hat. aber das<lb/>
konnte man dem berichterstatter aufladen. vorher geht der ausgezeichnete bericht<lb/>
über die siegesfeier und die institution der Eleutheria in Plataiai, und &#x03B3;&#x03F1;&#x03AC;&#x03C6;&#x03B5;&#x03B9; &#x03C8;&#x03AE;-<lb/>
&#x03C6;&#x03B9;&#x03C3;&#x03BC;&#x03B1; steht auch da. es folgt die ganz wertlose anekdote von dem plane des<lb/>
Themistokles die flotte zu verbrennen, die unten besprochen ist: also auch die<lb/>
analyse der plutarchischen schrift gestattete kein urteil über die herkunft oder qua-<lb/>
lität jener nachricht, die wir jetzt einfach als eine bodenlose erfindung wegwerfen,<lb/>
nur soviel ist an ihr richtig, da&#x017F;s sie den Aristeides als &#x03C0;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C3;&#x03C4;&#x03AC;&#x03C4;&#x03B7;&#x03C2; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FD6; &#x03B4;&#x03AE;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C5; auffa&#x017F;st,<lb/>
nicht als führer der conservativen, wie es trotzdem die modernen meist getan haben.</note> die bestimmungen über die qualification zum<lb/>
archontenamte hat Aristoteles vollständig mitteilen wollen (55, 1), deshalb<lb/>
steht dieses gesetz hier. das zweite ist die wiedereinsetzung der demen-<lb/>
richter, einer schöpfung des Peisistratos (16, 5), deren zahl nun auf 30<lb/>
normirt ward. Aristoteles kommt auf diese 403 geänderte zahl zurück,<lb/>
wo er ihre competenzen bespricht (53, 1). da&#x017F;s Peisistratos mit der<lb/>
schaffung dieser richter den leuten auf dem lande einen gefallen tun<lb/>
wollte, die sich so einen gang in die stadt sparen konnten, sagt Aristo-<lb/>
teles. da&#x017F;s seit 403 diese bedeutung des rein städtischen amtes ge-<lb/>
schwunden war, wenn auch der name demenrichter noch bestand (48, 3),<lb/>
folgt aus der schilderung ihrer competenz. wie Perikles es gehalten<lb/>
hatte, erfahren wir nicht: so wenig ist Aristoteles darauf aus, einblick<lb/>
in die verwaltung des fünften jahrhunderts zu geben. wir müssen<lb/>
schlie&#x017F;sen, da&#x017F;s Perikles den längst verschollenen namen der demen-<lb/>
richter nicht von Peisistratos geborgt haben würde (wenn er denn über-<lb/>
haupt vor der demenordnung bestand), falls er städtische richter aus<lb/>
ihnen machen wollte. wir werden dann aber auch die decentralisirende<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0138] I. 6. Die demagogen des fünften jahrhunderts. das Themistokles den Athenern zu einer flotte verhilft, als anecdote ab- gesondert. Weiterhin findet sich nur noch ein kurzes stück, das als ein be- standteil der chronik sich durch denselben charakter ausweist und von seiner umgebung grell absticht, drei gesetze aus den fünfziger jahren (26, 2—4). das erste macht das archontenamt den zeugiten zugänglich. es besteht theoretisch noch, als er schreibt: denn noch immer gab niemand auf die frage nach seiner steuerclasse die antwort, daſs er ein thete wäre (7, 4). formell war also niemals die zulassung aller bürger zu allen ämtern ausgesprochen. 4) die bestimmungen über die qualification zum archontenamte hat Aristoteles vollständig mitteilen wollen (55, 1), deshalb steht dieses gesetz hier. das zweite ist die wiedereinsetzung der demen- richter, einer schöpfung des Peisistratos (16, 5), deren zahl nun auf 30 normirt ward. Aristoteles kommt auf diese 403 geänderte zahl zurück, wo er ihre competenzen bespricht (53, 1). daſs Peisistratos mit der schaffung dieser richter den leuten auf dem lande einen gefallen tun wollte, die sich so einen gang in die stadt sparen konnten, sagt Aristo- teles. daſs seit 403 diese bedeutung des rein städtischen amtes ge- schwunden war, wenn auch der name demenrichter noch bestand (48, 3), folgt aus der schilderung ihrer competenz. wie Perikles es gehalten hatte, erfahren wir nicht: so wenig ist Aristoteles darauf aus, einblick in die verwaltung des fünften jahrhunderts zu geben. wir müssen schlieſsen, daſs Perikles den längst verschollenen namen der demen- richter nicht von Peisistratos geborgt haben würde (wenn er denn über- haupt vor der demenordnung bestand), falls er städtische richter aus ihnen machen wollte. wir werden dann aber auch die decentralisirende 4) Daſs wir das bisher geglaubt haben, ist keine schande, so unbegreiflich es der nächsten generation schon sein wird, die unbewuſst von dem beherrscht werden wird, was wir dem aristotelischen buche danken. bis jetzt aber konnte man dem Plutarch Arist. 22 den glauben nicht versagen, der gleich nach Plataiai seinen helden ‘ein psephisma schreiben’ läſst, κοινὴν εἶναι τὴν πολιτείαν καὶ τοὺς ἄϱχοντας ἐξ Ἀϑηναίων ἁπάντων αἱϱεῖσϑαι. darin ist αἱϱεῖσϑαι ein ungenauer ausdruck und der erste satz eine phrase, die in keinem volksbeschlusse gestanden hat. aber das konnte man dem berichterstatter aufladen. vorher geht der ausgezeichnete bericht über die siegesfeier und die institution der Eleutheria in Plataiai, und γϱάφει ψή- φισμα steht auch da. es folgt die ganz wertlose anekdote von dem plane des Themistokles die flotte zu verbrennen, die unten besprochen ist: also auch die analyse der plutarchischen schrift gestattete kein urteil über die herkunft oder qua- lität jener nachricht, die wir jetzt einfach als eine bodenlose erfindung wegwerfen, nur soviel ist an ihr richtig, daſs sie den Aristeides als πϱοστάτης τοῖ δήμου auffaſst, nicht als führer der conservativen, wie es trotzdem die modernen meist getan haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/138
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/138>, abgerufen am 30.04.2024.