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Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

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Sprache und Gedanke, Sprache und Gelehrsamkeit stehen häufig im ungeheuersten Mißverhältniß. Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die Geschwätzigkeit als eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese Wortplage, die so viele Sprechende befällt, dieses Stottern, Ringen, Rädern und Brächen, das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder Triviales zu Tage fördert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf eine klägliche Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem Umtausch hin.

Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der gerügte Uebelstand auf norddeutschen Universitäten im häßlichsten Licht. Der tüchtigste Kopf kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven erwehren, das so regelmäßig wie der Rinnenguß einer Wassermühle Tag für Tag auf ihn eindringt. Es gehören elastische Denkfibern, glückliches Gedächtniß (auch glückliches Vergessen) und vor allem Freundesgespräche dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen und das heiligste Gut der Persönlichkeit, das Stoffbeherrschende, selbstbewußte, selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allen Freundesgespräche, sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln, Betrachten, Denken sind nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt, wird verwirrt, chaotisch und das eben ist der geistige Zustand der meisten jener Gelehrten, deren Sprechen ich so eben als Sprachangst und Sprachplage bezeichnet habe.

Mit welchen Farben soll ich den barocken, lächerlich traurigen Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. Ochsen nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens täglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleißig ihren Karren Pandekten, Dogmatik u. s. w. in die Scheune ihres Gedächtnisses.

Liegt da das tägliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, läßt's liegen, wo es liegt und - wird gemüthlich, plattdeutsch.

Humaniora, erfrischende, belebende, höher hinantreibende Vorträge, hört sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hören, da leider an vielen Orten die Humaniora nur als Antiquitäten gelesen werden.

Sprache und Gedanke, Sprache und Gelehrsamkeit stehen häufig im ungeheuersten Mißverhältniß. Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die Geschwätzigkeit als eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese Wortplage, die so viele Sprechende befällt, dieses Stottern, Ringen, Rädern und Brächen, das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder Triviales zu Tage fördert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf eine klägliche Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem Umtausch hin.

Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der gerügte Uebelstand auf norddeutschen Universitäten im häßlichsten Licht. Der tüchtigste Kopf kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven erwehren, das so regelmäßig wie der Rinnenguß einer Wassermühle Tag für Tag auf ihn eindringt. Es gehören elastische Denkfibern, glückliches Gedächtniß (auch glückliches Vergessen) und vor allem Freundesgespräche dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen und das heiligste Gut der Persönlichkeit, das Stoffbeherrschende, selbstbewußte, selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allen Freundesgespräche, sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln, Betrachten, Denken sind nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt, wird verwirrt, chaotisch und das eben ist der geistige Zustand der meisten jener Gelehrten, deren Sprechen ich so eben als Sprachangst und Sprachplage bezeichnet habe.

Mit welchen Farben soll ich den barocken, lächerlich traurigen Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. Ochsen nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens täglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleißig ihren Karren Pandekten, Dogmatik u. s. w. in die Scheune ihres Gedächtnisses.

Liegt da das tägliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, läßt’s liegen, wo es liegt und – wird gemüthlich, plattdeutsch.

Humaniora, erfrischende, belebende, höher hinantreibende Vorträge, hört sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hören, da leider an vielen Orten die Humaniora nur als Antiquitäten gelesen werden.

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Sprache und Gedanke, Sprache und Gelehrsamkeit stehen häufig im ungeheuersten Mißverhältniß. Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die Geschwätzigkeit als eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese Wortplage, die so viele Sprechende befällt, dieses Stottern, Ringen, Rädern und Brächen, das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder Triviales zu Tage fördert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf eine klägliche Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem Umtausch hin.</p>
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[36/0036] Sprache und Gedanke, Sprache und Gelehrsamkeit stehen häufig im ungeheuersten Mißverhältniß. Fern sei es von mir, den bloßen Fluß der Worte, die Geschwätzigkeit als eine Tugend zu preisen. Aber diese Wortangst, diese Wortplage, die so viele Sprechende befällt, dieses Stottern, Ringen, Rädern und Brächen, das am Ende oft doch nur etwas Verschrobenes oder Triviales zu Tage fördert, das alles deutet bei unsern Gelehrten auf eine klägliche Unangemessenheit zwischen todtem Studiren und lebendigem Umtausch hin. Von dieser Seite betrachtet zeigt sich der gerügte Uebelstand auf norddeutschen Universitäten im häßlichsten Licht. Der tüchtigste Kopf kann sich kaum vor der Masse des Fertigen, Vorgedachten, Positiven erwehren, das so regelmäßig wie der Rinnenguß einer Wassermühle Tag für Tag auf ihn eindringt. Es gehören elastische Denkfibern, glückliches Gedächtniß (auch glückliches Vergessen) und vor allem Freundesgespräche dazu, um die ewige Nothwehr mit Erfolg fortzusetzen und das heiligste Gut der Persönlichkeit, das Stoffbeherrschende, selbstbewußte, selbstdenkende Ich siegreich davonzutragen. Vor allen Freundesgespräche, sage ich. Einsames Lernen, stilles Sammeln, Betrachten, Denken sind nothwendig; aber wer nicht spricht, erstickt, wird verwirrt, chaotisch und das eben ist der geistige Zustand der meisten jener Gelehrten, deren Sprechen ich so eben als Sprachangst und Sprachplage bezeichnet habe. Mit welchen Farben soll ich den barocken, lächerlich traurigen Geisteszustand einer plattdeutschen Studentenmasse schildern. Ochsen nennt sie selbst die mechanische Arbeit, die sie zum Behuf des Examens täglich vornimmt. Jeden Tag schiebt sie fleißig ihren Karren Pandekten, Dogmatik u. s. w. in die Scheune ihres Gedächtnisses. Liegt da das tägliche Pensum zu Hauf, so spannt sie sich aus, läßt’s liegen, wo es liegt und – wird gemüthlich, plattdeutsch. Humaniora, erfrischende, belebende, höher hinantreibende Vorträge, hört sie nicht, oder bekommt sie nicht zu hören, da leider an vielen Orten die Humaniora nur als Antiquitäten gelesen werden.

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/36>, abgerufen am 27.04.2024.