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Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

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durchgängig honette Leute vorzustellen. Der dunkele Bürgerliche oder Bäuerliche kann dieser Vorstellung wenigstens ohne großen geschichtlichen Anstoß und Widerspruch nachhängen, er hat hierin einen Vortheil vor den berühmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen bürgerlichen Familien die Vorstellung vom Großvater, Urgroßvater als altdeutschen Degenknopf die herschende und die liebste. Schwächer und allgemeiner bezeichnet sind die epitheta ornanti für bäuerliche Vorfahren, Degenknöpfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und der Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa die Ausdrücke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf sie anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Wort deutsch nur hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens nicht vorkommt, eben so wenig, wie die früherhin angeführten Wörter Bildung und Verfassung, so daß die Redensart "das gebildete und verfassungsmäßige Deutschland" in plattdeutscher Sprache noch weniger als eine Redensart und gar nichts ist.

Nach dieser vorläufigen Verständigung wäre zunächst der Hauptsatz einzuräumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie über, und - Folgesatz - wird ihnen zeitlebens etwas ausdrücken oder anhängen, was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht für die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will - das aber - Nach- und Beisatz - den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu erleichtern geeignet sein mag.

Letzeres betrachte ich in der That für sein unwichtiges Moment. Man sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und Beamtenfamilien unter seinen natürlichsten und vortheilhaftesten Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in deren Mitte er sich für verrathen und verkauft halten würde, so trift er in jenen gleichsam

durchgängig honette Leute vorzustellen. Der dunkele Bürgerliche oder Bäuerliche kann dieser Vorstellung wenigstens ohne großen geschichtlichen Anstoß und Widerspruch nachhängen, er hat hierin einen Vortheil vor den berühmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen bürgerlichen Familien die Vorstellung vom Großvater, Urgroßvater als altdeutschen Degenknopf die herschende und die liebste. Schwächer und allgemeiner bezeichnet sind die epitheta ornanti für bäuerliche Vorfahren, Degenknöpfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und der Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa die Ausdrücke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf sie anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Wort deutsch nur hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens nicht vorkommt, eben so wenig, wie die früherhin angeführten Wörter Bildung und Verfassung, so daß die Redensart „das gebildete und verfassungsmäßige Deutschland“ in plattdeutscher Sprache noch weniger als eine Redensart und gar nichts ist.

Nach dieser vorläufigen Verständigung wäre zunächst der Hauptsatz einzuräumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie über, und – Folgesatz – wird ihnen zeitlebens etwas ausdrücken oder anhängen, was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht für die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will – das aber – Nach- und Beisatz – den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu erleichtern geeignet sein mag.

Letzeres betrachte ich in der That für sein unwichtiges Moment. Man sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und Beamtenfamilien unter seinen natürlichsten und vortheilhaftesten Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in deren Mitte er sich für verrathen und verkauft halten würde, so trift er in jenen gleichsam

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[31/0031] durchgängig honette Leute vorzustellen. Der dunkele Bürgerliche oder Bäuerliche kann dieser Vorstellung wenigstens ohne großen geschichtlichen Anstoß und Widerspruch nachhängen, er hat hierin einen Vortheil vor den berühmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen bürgerlichen Familien die Vorstellung vom Großvater, Urgroßvater als altdeutschen Degenknopf die herschende und die liebste. Schwächer und allgemeiner bezeichnet sind die epitheta ornanti für bäuerliche Vorfahren, Degenknöpfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und der Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa die Ausdrücke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf sie anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Wort deutsch nur hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens nicht vorkommt, eben so wenig, wie die früherhin angeführten Wörter Bildung und Verfassung, so daß die Redensart „das gebildete und verfassungsmäßige Deutschland“ in plattdeutscher Sprache noch weniger als eine Redensart und gar nichts ist. Nach dieser vorläufigen Verständigung wäre zunächst der Hauptsatz einzuräumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie über, und – Folgesatz – wird ihnen zeitlebens etwas ausdrücken oder anhängen, was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht für die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will – das aber – Nach- und Beisatz – den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu erleichtern geeignet sein mag. Letzeres betrachte ich in der That für sein unwichtiges Moment. Man sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und Beamtenfamilien unter seinen natürlichsten und vortheilhaftesten Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in deren Mitte er sich für verrathen und verkauft halten würde, so trift er in jenen gleichsam

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/31>, abgerufen am 29.03.2024.