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Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

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Kerker, kann so dumm und albern werden, daß Gänsejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden, aber doch mit denselben Atomen ihres Hirns über die Erscheinungen in der Welt, über Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden und auflösen, Gedanken bilden, Urtheile fällen und überhaupt sollen sie geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schärfer oder abstrakt einseitiger durchgeführt die Lehre von urtheilbaren beseelten Weltstäubchen zum Resultat hatten.

Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser auseinandersetzen - wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren zu reveniren Gelegenheit finden solltet.



Im vorvorigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschließlich nur auf die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des Landmanns Rücksicht genommen*). Es ist aber auch schwer, wenn von der gewerbtreibenden Klasse, der großen Bevölkerung norddeutscher Städte die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die plattdeutsche Sprache, wo sie dem täglichen Umgang angehört, über die Köpfe verhängt. Man stößt sich da, wo der Block liegt, nur sind die Pfähle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf dem Lande begrenzen und umpflöcken, hier mehr roh, dort mehr spießbürgerlich abgeschält und holländisch überpinselt, das ist der Unterschied. Doch giebt es besonders aus größeren norddeutschen Städten, eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den mittleren achtbaren Ständen, Handwerker u. s. w. haben in neuer und neuester Zeit angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung zur hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als

*) Was könnte ich anführen, wollte ich von der niedrigsten Klasse norddeutscher Städte sprechen, die sich, wie der Hamburger Pöbel in Schnapps und unreinstem Plattdeutsch wälzt.

Kerker, kann so dumm und albern werden, daß Gänsejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden, aber doch mit denselben Atomen ihres Hirns über die Erscheinungen in der Welt, über Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden und auflösen, Gedanken bilden, Urtheile fällen und überhaupt sollen sie geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schärfer oder abstrakt einseitiger durchgeführt die Lehre von urtheilbaren beseelten Weltstäubchen zum Resultat hatten.

Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser auseinandersetzen – wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren zu reveniren Gelegenheit finden solltet.



Im vorvorigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschließlich nur auf die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des Landmanns Rücksicht genommen*). Es ist aber auch schwer, wenn von der gewerbtreibenden Klasse, der großen Bevölkerung norddeutscher Städte die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die plattdeutsche Sprache, wo sie dem täglichen Umgang angehört, über die Köpfe verhängt. Man stößt sich da, wo der Block liegt, nur sind die Pfähle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf dem Lande begrenzen und umpflöcken, hier mehr roh, dort mehr spießbürgerlich abgeschält und holländisch überpinselt, das ist der Unterschied. Doch giebt es besonders aus größeren norddeutschen Städten, eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den mittleren achtbaren Ständen, Handwerker u. s. w. haben in neuer und neuester Zeit angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung zur hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als

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[25/0025] Kerker, kann so dumm und albern werden, daß Gänsejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden, aber doch mit denselben Atomen ihres Hirns über die Erscheinungen in der Welt, über Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden und auflösen, Gedanken bilden, Urtheile fällen und überhaupt sollen sie geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schärfer oder abstrakt einseitiger durchgeführt die Lehre von urtheilbaren beseelten Weltstäubchen zum Resultat hatten. Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser auseinandersetzen – wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren zu reveniren Gelegenheit finden solltet. Im vorvorigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschließlich nur auf die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des Landmanns Rücksicht genommen *). Es ist aber auch schwer, wenn von der gewerbtreibenden Klasse, der großen Bevölkerung norddeutscher Städte die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die plattdeutsche Sprache, wo sie dem täglichen Umgang angehört, über die Köpfe verhängt. Man stößt sich da, wo der Block liegt, nur sind die Pfähle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf dem Lande begrenzen und umpflöcken, hier mehr roh, dort mehr spießbürgerlich abgeschält und holländisch überpinselt, das ist der Unterschied. Doch giebt es besonders aus größeren norddeutschen Städten, eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den mittleren achtbaren Ständen, Handwerker u. s. w. haben in neuer und neuester Zeit angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung zur hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als *) Was könnte ich anführen, wollte ich von der niedrigsten Klasse norddeutscher Städte sprechen, die sich, wie der Hamburger Pöbel in Schnapps und unreinstem Plattdeutsch wälzt.

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/25>, abgerufen am 26.04.2024.