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Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

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eigenthümliche Literatur unter ihm geltend machen*), wie konnte die Volkssprache selbst sich der Entwürdigung und Verschlechterung entziehen? Auf welcher Bildungsstufe müßte die neuere Zeit Volk und Sprache antreffen, wie tief unter der nöthigsten Fassungskraft, wie selbst ohne Ahnung dessen, was zur Begründung und Sicherung eines verbesserten Staatslebens elementarisch vorauszusetzen?



Allein, höre ich Jemand einwerfen, wenn auch die plattdeutsche Sprache ganz dem Bilde gleicht, das du von ihr entworfen, wenn sie selbst auch unfähig ist, Element der Volksbildung zu sein, so erwartet eigentlich auch Niemand dieses Geschäft von ihr, das ja von der allgemein verbreiteten und verstandenen hochdeutschen Sprache längst übernommen und verwaltet wurde.

Antwort: übernommen aber nicht verwaltet. Damit behauptet man einen Widerspruch gegen alle Vernunft und Erfahrung. Selbst die allgemeinste Erlernung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache übt so lange gar keinen oder selbst nachtheiligen Einfluß auf die Volksbildung, als neben ihr Plattdeutsch die Sprache des gemeinen Lebens bleibt.

Allerdings wird die hochdeutsche Sprache als Organ der Volksbildung überall in Niedersachsen angewendet. Es gibt wol wenig Dörfer, wo die Jugend nicht Gelegenheit findet, das Hochdeutsche ein wenig verstehen, ein wenig sprechen, ein wenig lesen und ein wenig schreiben zu lernen. Die Leute müssen wol. Amtmann, Pfarrer, Bibel, Gesangbuch, Katechismus, Kalender sprechen hochdeutsch. Ohnehin sind die Kinder schulpflichtig und beim Hobeln setzt es Spähne ab.

Allein, Jedermann weiß, plattdeutsch bleibt ihr Lebenselement. Das sprechen sie unter sich, zu Hause, im Felde, vor

*) Reineke de Vos ist von holländischer und französischer Abkunft, wenn auch die Mährchen von Fuchs und andern Thieren ursprünglich in Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein, obgleich sie sehr gelungen ist; man könnte sie den Schwanengesang dieser Sprache nennen.

eigenthümliche Literatur unter ihm geltend machen*), wie konnte die Volkssprache selbst sich der Entwürdigung und Verschlechterung entziehen? Auf welcher Bildungsstufe müßte die neuere Zeit Volk und Sprache antreffen, wie tief unter der nöthigsten Fassungskraft, wie selbst ohne Ahnung dessen, was zur Begründung und Sicherung eines verbesserten Staatslebens elementarisch vorauszusetzen?



Allein, höre ich Jemand einwerfen, wenn auch die plattdeutsche Sprache ganz dem Bilde gleicht, das du von ihr entworfen, wenn sie selbst auch unfähig ist, Element der Volksbildung zu sein, so erwartet eigentlich auch Niemand dieses Geschäft von ihr, das ja von der allgemein verbreiteten und verstandenen hochdeutschen Sprache längst übernommen und verwaltet wurde.

Antwort: übernommen aber nicht verwaltet. Damit behauptet man einen Widerspruch gegen alle Vernunft und Erfahrung. Selbst die allgemeinste Erlernung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache übt so lange gar keinen oder selbst nachtheiligen Einfluß auf die Volksbildung, als neben ihr Plattdeutsch die Sprache des gemeinen Lebens bleibt.

Allerdings wird die hochdeutsche Sprache als Organ der Volksbildung überall in Niedersachsen angewendet. Es gibt wol wenig Dörfer, wo die Jugend nicht Gelegenheit findet, das Hochdeutsche ein wenig verstehen, ein wenig sprechen, ein wenig lesen und ein wenig schreiben zu lernen. Die Leute müssen wol. Amtmann, Pfarrer, Bibel, Gesangbuch, Katechismus, Kalender sprechen hochdeutsch. Ohnehin sind die Kinder schulpflichtig und beim Hobeln setzt es Spähne ab.

Allein, Jedermann weiß, plattdeutsch bleibt ihr Lebenselement. Das sprechen sie unter sich, zu Hause, im Felde, vor

*) Reineke de Vos ist von holländischer und französischer Abkunft, wenn auch die Mährchen von Fuchs und andern Thieren ursprünglich in Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein, obgleich sie sehr gelungen ist; man könnte sie den Schwanengesang dieser Sprache nennen.
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[16/0016] eigenthümliche Literatur unter ihm geltend machen *), wie konnte die Volkssprache selbst sich der Entwürdigung und Verschlechterung entziehen? Auf welcher Bildungsstufe müßte die neuere Zeit Volk und Sprache antreffen, wie tief unter der nöthigsten Fassungskraft, wie selbst ohne Ahnung dessen, was zur Begründung und Sicherung eines verbesserten Staatslebens elementarisch vorauszusetzen? Allein, höre ich Jemand einwerfen, wenn auch die plattdeutsche Sprache ganz dem Bilde gleicht, das du von ihr entworfen, wenn sie selbst auch unfähig ist, Element der Volksbildung zu sein, so erwartet eigentlich auch Niemand dieses Geschäft von ihr, das ja von der allgemein verbreiteten und verstandenen hochdeutschen Sprache längst übernommen und verwaltet wurde. Antwort: übernommen aber nicht verwaltet. Damit behauptet man einen Widerspruch gegen alle Vernunft und Erfahrung. Selbst die allgemeinste Erlernung und Verbreitung der hochdeutschen Sprache übt so lange gar keinen oder selbst nachtheiligen Einfluß auf die Volksbildung, als neben ihr Plattdeutsch die Sprache des gemeinen Lebens bleibt. Allerdings wird die hochdeutsche Sprache als Organ der Volksbildung überall in Niedersachsen angewendet. Es gibt wol wenig Dörfer, wo die Jugend nicht Gelegenheit findet, das Hochdeutsche ein wenig verstehen, ein wenig sprechen, ein wenig lesen und ein wenig schreiben zu lernen. Die Leute müssen wol. Amtmann, Pfarrer, Bibel, Gesangbuch, Katechismus, Kalender sprechen hochdeutsch. Ohnehin sind die Kinder schulpflichtig und beim Hobeln setzt es Spähne ab. Allein, Jedermann weiß, plattdeutsch bleibt ihr Lebenselement. Das sprechen sie unter sich, zu Hause, im Felde, vor *) Reineke de Vos ist von holländischer und französischer Abkunft, wenn auch die Mährchen von Fuchs und andern Thieren ursprünglich in Deutschland sowol, als in Frankreich in Schwang gingen. Die plattdeutsche Uebersetzung scheint niemals Volksbuch gewesen zu sein, obgleich sie sehr gelungen ist; man könnte sie den Schwanengesang dieser Sprache nennen.

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/16>, abgerufen am 24.04.2024.