Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

glücklichen Jahre, die wir in den höheren Klassen
der gelehrten Schule zubringen, den erzgegossenen
Pforten des Heiligthums nähern, sich unter die
Schatten jener fröhlichen Menschheit mengen, die
ihn bevölkern, und aus ihren Gesichtern, Bewe¬
gungen, Reden und Gesängen den schönen Geist
studiren, der über Allem thront und schimmert --
so ist es denn nicht so recht eigentlich gemeint,
obgleich uns gelegentlich und in Schulreden und
Schulprogrammen viel Schönes und Rührendes
vom bildenden Studium der alten Klassiker vor,
gesprochen wird und wir selbst auch selten verfeh¬
len, beim Abgang in lateinischen oder deutschen,
gereimten oder ungereimten Abschiedsworten, die
hohe Wichtigkeit der Freundschaft und der Vater¬
lantsliebe u. dergl. nach Mustern des Alterthums
darzustellen und diesem mit dem besten Kranze
unserer ersten jugendlichen Beredtsamkeit, mit den
erlesensten Floskeln aus Zizero das Haupt schmü¬
cken. Allein ich frage Sie selbst und die Mehr¬
zahl deutscher Studirender, ob diese festliche Be¬
geisterung, die ich so eben erwähnte, der natür¬
liche, aufrichtige und ungekünstelte Erfolg und Er¬
guß ist aus den Studien, die wir in der Klasse
getrieben, oder nicht vielmehr ein hergebrachter Ak¬
tus, bei dem wir entweder nichts fühlen und den¬
ken, oder, im besseren Fall, bei dem wir mit

gluͤcklichen Jahre, die wir in den hoͤheren Klaſſen
der gelehrten Schule zubringen, den erzgegoſſenen
Pforten des Heiligthums naͤhern, ſich unter die
Schatten jener froͤhlichen Menſchheit mengen, die
ihn bevoͤlkern, und aus ihren Geſichtern, Bewe¬
gungen, Reden und Geſaͤngen den ſchoͤnen Geiſt
ſtudiren, der uͤber Allem thront und ſchimmert —
ſo iſt es denn nicht ſo recht eigentlich gemeint,
obgleich uns gelegentlich und in Schulreden und
Schulprogrammen viel Schoͤnes und Ruͤhrendes
vom bildenden Studium der alten Klaſſiker vor,
geſprochen wird und wir ſelbſt auch ſelten verfeh¬
len, beim Abgang in lateiniſchen oder deutſchen,
gereimten oder ungereimten Abſchiedsworten, die
hohe Wichtigkeit der Freundſchaft und der Vater¬
lantsliebe u. dergl. nach Muſtern des Alterthums
darzuſtellen und dieſem mit dem beſten Kranze
unſerer erſten jugendlichen Beredtſamkeit, mit den
erleſenſten Floskeln aus Zizero das Haupt ſchmuͤ¬
cken. Allein ich frage Sie ſelbſt und die Mehr¬
zahl deutſcher Studirender, ob dieſe feſtliche Be¬
geiſterung, die ich ſo eben erwaͤhnte, der natuͤr¬
liche, aufrichtige und ungekuͤnſtelte Erfolg und Er¬
guß iſt aus den Studien, die wir in der Klaſſe
getrieben, oder nicht vielmehr ein hergebrachter Ak¬
tus, bei dem wir entweder nichts fuͤhlen und den¬
ken, oder, im beſſeren Fall, bei dem wir mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066" n="52"/>
glu&#x0364;cklichen Jahre, die wir in den ho&#x0364;heren Kla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
der gelehrten Schule zubringen, den erzgego&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Pforten des Heiligthums na&#x0364;hern, &#x017F;ich unter die<lb/>
Schatten jener fro&#x0364;hlichen Men&#x017F;chheit mengen, die<lb/>
ihn bevo&#x0364;lkern, und aus ihren Ge&#x017F;ichtern, Bewe¬<lb/>
gungen, Reden und Ge&#x017F;a&#x0364;ngen den &#x017F;cho&#x0364;nen Gei&#x017F;t<lb/>
&#x017F;tudiren, der u&#x0364;ber Allem thront und &#x017F;chimmert &#x2014;<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es denn nicht &#x017F;o recht eigentlich gemeint,<lb/>
obgleich uns gelegentlich und in Schulreden und<lb/>
Schulprogrammen viel Scho&#x0364;nes und Ru&#x0364;hrendes<lb/>
vom bildenden Studium der alten Kla&#x017F;&#x017F;iker vor,<lb/>
ge&#x017F;prochen wird und wir &#x017F;elb&#x017F;t auch &#x017F;elten verfeh¬<lb/>
len, beim Abgang in lateini&#x017F;chen oder deut&#x017F;chen,<lb/>
gereimten oder ungereimten Ab&#x017F;chiedsworten, die<lb/>
hohe Wichtigkeit der Freund&#x017F;chaft und der Vater¬<lb/>
lantsliebe u. dergl. nach Mu&#x017F;tern des Alterthums<lb/>
darzu&#x017F;tellen und die&#x017F;em mit dem be&#x017F;ten Kranze<lb/>
un&#x017F;erer er&#x017F;ten jugendlichen Beredt&#x017F;amkeit, mit den<lb/>
erle&#x017F;en&#x017F;ten Floskeln aus Zizero das Haupt &#x017F;chmu&#x0364;¬<lb/>
cken. Allein ich frage Sie &#x017F;elb&#x017F;t und die Mehr¬<lb/>
zahl deut&#x017F;cher Studirender, ob die&#x017F;e fe&#x017F;tliche Be¬<lb/>
gei&#x017F;terung, die ich &#x017F;o eben erwa&#x0364;hnte, der natu&#x0364;<lb/>
liche, aufrichtige und ungeku&#x0364;n&#x017F;telte Erfolg und Er¬<lb/>
guß i&#x017F;t aus den Studien, die wir in der Kla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
getrieben, oder nicht vielmehr ein hergebrachter Ak¬<lb/>
tus, bei dem wir entweder nichts fu&#x0364;hlen und den¬<lb/>
ken, oder, im be&#x017F;&#x017F;eren Fall, bei dem wir mit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0066] gluͤcklichen Jahre, die wir in den hoͤheren Klaſſen der gelehrten Schule zubringen, den erzgegoſſenen Pforten des Heiligthums naͤhern, ſich unter die Schatten jener froͤhlichen Menſchheit mengen, die ihn bevoͤlkern, und aus ihren Geſichtern, Bewe¬ gungen, Reden und Geſaͤngen den ſchoͤnen Geiſt ſtudiren, der uͤber Allem thront und ſchimmert — ſo iſt es denn nicht ſo recht eigentlich gemeint, obgleich uns gelegentlich und in Schulreden und Schulprogrammen viel Schoͤnes und Ruͤhrendes vom bildenden Studium der alten Klaſſiker vor, geſprochen wird und wir ſelbſt auch ſelten verfeh¬ len, beim Abgang in lateiniſchen oder deutſchen, gereimten oder ungereimten Abſchiedsworten, die hohe Wichtigkeit der Freundſchaft und der Vater¬ lantsliebe u. dergl. nach Muſtern des Alterthums darzuſtellen und dieſem mit dem beſten Kranze unſerer erſten jugendlichen Beredtſamkeit, mit den erleſenſten Floskeln aus Zizero das Haupt ſchmuͤ¬ cken. Allein ich frage Sie ſelbſt und die Mehr¬ zahl deutſcher Studirender, ob dieſe feſtliche Be¬ geiſterung, die ich ſo eben erwaͤhnte, der natuͤr¬ liche, aufrichtige und ungekuͤnſtelte Erfolg und Er¬ guß iſt aus den Studien, die wir in der Klaſſe getrieben, oder nicht vielmehr ein hergebrachter Ak¬ tus, bei dem wir entweder nichts fuͤhlen und den¬ ken, oder, im beſſeren Fall, bei dem wir mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/66
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/66>, abgerufen am 25.11.2024.