stenthum in den Tagen vor Luther? Ausgearteter, als das Judenthum je gewesen. Statt Kinder Gottes, wie die Christen sein sollten, nicht ein¬ mal Knechte Gottes, was die Juden waren, Knechte des Papstes, der Pfaffen, der Tradition, der Geschichte, die ihren Abfall und Kehricht den Menschen thurmhoch auf die Seele geschichtet hatte. Die Anwendung auf unsere Zeit überlasse ich Ihnen selbst. Wir sind krank an unserer Hi¬ storie und wir werden vielleicht darüber hinsterben, ehe wir uns den Muth fassen, den unheilbaren Sitz unserer Krankheit einzusehen, und uns dem wunderbaren Genius anvertrauen, der verjüngend durch die Welt schreitet. Jedoch steht dem Trüb¬ sinnigen, das in dieser Ansicht für uns liegt, der Spruch der Hoffnung gegenüber, daß ein Augen¬ blick Alles umgestalten kann, so im Schicksal des Einzelnen, als im Schicksal der Völker und Na¬ tionen. Was aber der Jugend, als dem Element im Staat, das die neue Geschichte bildet, jeden¬ falls obliegt, ist der feste Vorsatz, nach Kräften den bezeichneten Weg einzuschlagen, ist der feste Wille, sich immer entschiedener von der Lüge los¬ zusagen, immer deutlicher sich des Gegensatzes zwischen dem Alten und Neuen bewußt zu werden, jung und jugendlich zu leben, das Handwerk fah¬ ren zu lassen und die Kunst zu ergreifen, das
ſtenthum in den Tagen vor Luther? Ausgearteter, als das Judenthum je geweſen. Statt Kinder Gottes, wie die Chriſten ſein ſollten, nicht ein¬ mal Knechte Gottes, was die Juden waren, Knechte des Papſtes, der Pfaffen, der Tradition, der Geſchichte, die ihren Abfall und Kehricht den Menſchen thurmhoch auf die Seele geſchichtet hatte. Die Anwendung auf unſere Zeit uͤberlaſſe ich Ihnen ſelbſt. Wir ſind krank an unſerer Hi¬ ſtorie und wir werden vielleicht daruͤber hinſterben, ehe wir uns den Muth faſſen, den unheilbaren Sitz unſerer Krankheit einzuſehen, und uns dem wunderbaren Genius anvertrauen, der verjuͤngend durch die Welt ſchreitet. Jedoch ſteht dem Truͤb¬ ſinnigen, das in dieſer Anſicht fuͤr uns liegt, der Spruch der Hoffnung gegenuͤber, daß ein Augen¬ blick Alles umgeſtalten kann, ſo im Schickſal des Einzelnen, als im Schickſal der Voͤlker und Na¬ tionen. Was aber der Jugend, als dem Element im Staat, das die neue Geſchichte bildet, jeden¬ falls obliegt, iſt der feſte Vorſatz, nach Kraͤften den bezeichneten Weg einzuſchlagen, iſt der feſte Wille, ſich immer entſchiedener von der Luͤge los¬ zuſagen, immer deutlicher ſich des Gegenſatzes zwiſchen dem Alten und Neuen bewußt zu werden, jung und jugendlich zu leben, das Handwerk fah¬ ren zu laſſen und die Kunſt zu ergreifen, das
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ſtenthum in den Tagen vor Luther? Ausgearteter,
als das Judenthum je geweſen. Statt Kinder
Gottes, wie die Chriſten ſein ſollten, nicht ein¬
mal Knechte Gottes, was die Juden waren,
Knechte des Papſtes, der Pfaffen, der Tradition,
der Geſchichte, die ihren Abfall und Kehricht den
Menſchen thurmhoch auf die Seele geſchichtet
hatte. Die Anwendung auf unſere Zeit uͤberlaſſe
ich Ihnen ſelbſt. Wir ſind krank an unſerer Hi¬
ſtorie und wir werden vielleicht daruͤber hinſterben,
ehe wir uns den Muth faſſen, den unheilbaren
Sitz unſerer Krankheit einzuſehen, und uns dem
wunderbaren Genius anvertrauen, der verjuͤngend
durch die Welt ſchreitet. Jedoch ſteht dem Truͤb¬
ſinnigen, das in dieſer Anſicht fuͤr uns liegt, der
Spruch der Hoffnung gegenuͤber, daß ein Augen¬
blick Alles umgeſtalten kann, ſo im Schickſal des
Einzelnen, als im Schickſal der Voͤlker und Na¬
tionen. Was aber der Jugend, als dem Element
im Staat, das die neue Geſchichte bildet, jeden¬
falls obliegt, iſt der feſte Vorſatz, nach Kraͤften
den bezeichneten Weg einzuſchlagen, iſt der feſte
Wille, ſich immer entſchiedener von der Luͤge los¬
zuſagen, immer deutlicher ſich des Gegenſatzes
zwiſchen dem Alten und Neuen bewußt zu werden,
jung und jugendlich zu leben, das Handwerk fah¬
ren zu laſſen und die Kunſt zu ergreifen, das
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/51>, abgerufen am 23.11.2024.
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