deutsche Literatur seiner Aufmerksamkeit würdig hält, ohne Weiteres Goethe mit Jean Paul, Heine mit Börne verbinden und jedem Paar seine eigenthümliche Periode anweisen; so stark und durchsichtig sind die Kennzeichen, die jedes Zeit¬ alter seinen bedeutenden Organen und Schriftstel¬ lern anhängt. Charakterisiren wir vorläufig die vier genannten Schriftsteller und ihre Schreibart durch einige der hervorstechendsten Züge, welche Jedermann bei ihrer Lesung in die Augen sprin¬ gen. Goethe schreibt in seinen besten Werken, wie ein Künstler des Alterthums meißelt, jeder Mei¬ ßelschlag von den tausenden, die leicht und zierlich vor unsern Augen angebracht werden, bringt eine neue Schönheit ans Licht, zeigt uns eine neue Ader, Muskel des Apoll, der Venus, des Herku¬ les, bis die ganze kunstreich verkörperte Idee Fleisch und Blut zu gewinnen scheint und mit der zarte¬ sten Haut umgeben vor uns steht. Während nun Goethe bei allen seinen Produktionen die Idee der Kunst vor Augen schwebte und er kein Wort, keinen Gedanken niederschrieb, um außer der Reihe der übrigen damit zu glänzen, sondern jeden Aus¬ druck dem höhern Ganzen unterordnete, hatte Jean Paul, sein Zeitgenosse, gar keine Ahnung von Kunst und künstlerischer Darstellung, das Herz voll unaussprechlicher tiefer Gefühle, den Kopf
deutſche Literatur ſeiner Aufmerkſamkeit wuͤrdig haͤlt, ohne Weiteres Goethe mit Jean Paul, Heine mit Boͤrne verbinden und jedem Paar ſeine eigenthuͤmliche Periode anweiſen; ſo ſtark und durchſichtig ſind die Kennzeichen, die jedes Zeit¬ alter ſeinen bedeutenden Organen und Schriftſtel¬ lern anhaͤngt. Charakteriſiren wir vorlaͤufig die vier genannten Schriftſteller und ihre Schreibart durch einige der hervorſtechendſten Zuͤge, welche Jedermann bei ihrer Leſung in die Augen ſprin¬ gen. Goethe ſchreibt in ſeinen beſten Werken, wie ein Kuͤnſtler des Alterthums meißelt, jeder Mei¬ ßelſchlag von den tauſenden, die leicht und zierlich vor unſern Augen angebracht werden, bringt eine neue Schoͤnheit ans Licht, zeigt uns eine neue Ader, Muskel des Apoll, der Venus, des Herku¬ les, bis die ganze kunſtreich verkoͤrperte Idee Fleiſch und Blut zu gewinnen ſcheint und mit der zarte¬ ſten Haut umgeben vor uns ſteht. Waͤhrend nun Goethe bei allen ſeinen Produktionen die Idee der Kunſt vor Augen ſchwebte und er kein Wort, keinen Gedanken niederſchrieb, um außer der Reihe der uͤbrigen damit zu glaͤnzen, ſondern jeden Aus¬ druck dem hoͤhern Ganzen unterordnete, hatte Jean Paul, ſein Zeitgenoſſe, gar keine Ahnung von Kunſt und kuͤnſtleriſcher Darſtellung, das Herz voll unausſprechlicher tiefer Gefuͤhle, den Kopf
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deutſche Literatur ſeiner Aufmerkſamkeit wuͤrdig
haͤlt, ohne Weiteres Goethe mit Jean Paul,
Heine mit Boͤrne verbinden und jedem Paar ſeine
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durchſichtig ſind die Kennzeichen, die jedes Zeit¬
alter ſeinen bedeutenden Organen und Schriftſtel¬
lern anhaͤngt. Charakteriſiren wir vorlaͤufig die
vier genannten Schriftſteller und ihre Schreibart
durch einige der hervorſtechendſten Zuͤge, welche
Jedermann bei ihrer Leſung in die Augen ſprin¬
gen. Goethe ſchreibt in ſeinen beſten Werken, wie
ein Kuͤnſtler des Alterthums meißelt, jeder Mei¬
ßelſchlag von den tauſenden, die leicht und zierlich
vor unſern Augen angebracht werden, bringt eine
neue Schoͤnheit ans Licht, zeigt uns eine neue
Ader, Muskel des Apoll, der Venus, des Herku¬
les, bis die ganze kunſtreich verkoͤrperte Idee Fleiſch
und Blut zu gewinnen ſcheint und mit der zarte¬
ſten Haut umgeben vor uns ſteht. Waͤhrend nun
Goethe bei allen ſeinen Produktionen die Idee
der Kunſt vor Augen ſchwebte und er kein Wort,
keinen Gedanken niederſchrieb, um außer der Reihe
der uͤbrigen damit zu glaͤnzen, ſondern jeden Aus¬
druck dem hoͤhern Ganzen unterordnete, hatte
Jean Paul, ſein Zeitgenoſſe, gar keine Ahnung
von Kunſt und kuͤnſtleriſcher Darſtellung, das Herz
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/307>, abgerufen am 28.11.2024.
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