die Malerei schildert Körper und andeutungsweise durch Körper Bewegungen (Leidenschaften u. s. w.); die Poesie schildert Bewegungen und andeutungs¬ weise durch Bewegungen Körper. Wie dieser Ausspruch nun das ganze Verhältniß durchaus richtig angibt, so ist auch der Schluß daraus von Lessing bündig und richtig abgeleitet, daß die Ma¬ lerei (wie die Plastik überhaupt) sich mit dem Si¬ multanen, die Poesie sich mit dem Successiven beschäftigen müsse. Die Poesie soll es also unter¬ lassen, körperliche Schönheiten zu schildern; sie kann nur Zug für Zug verfahren, und während sie bei den Füßen anlangt, ist das Bild des Ko¬ pfes schon wieder verwischt. Der Malerei, die alle Schönheiten auf einmal darstellt, soll sie die¬ ses überlassen, die Malerei aber der Poesie die komplizirten Züge einer Handlung, die bewegte Schönheit darzustellen; ihr gehört das Bewegte, der Plastik das Ruhende.
Sehen Sie hier, meine Herren; die Ursache, warum Naturschilderungen, selbst wenn Walter Scott's eminentes Talent sie ausführt, je länger und breiter sie hinausgezeichnet sind, desto vergeb¬ licher und unerfreulicher unsere Phantasie abmar¬ tern und keine lebhafte Anschauung hervorzubrin¬ gen im Stande sind. Die englischen Dichter sind
Wienbarg, ästhet. Feldz. 14
die Malerei ſchildert Koͤrper und andeutungsweiſe durch Koͤrper Bewegungen (Leidenſchaften u. ſ. w.); die Poeſie ſchildert Bewegungen und andeutungs¬ weiſe durch Bewegungen Koͤrper. Wie dieſer Ausſpruch nun das ganze Verhaͤltniß durchaus richtig angibt, ſo iſt auch der Schluß daraus von Leſſing buͤndig und richtig abgeleitet, daß die Ma¬ lerei (wie die Plaſtik uͤberhaupt) ſich mit dem Si¬ multanen, die Poeſie ſich mit dem Succeſſiven beſchaͤftigen muͤſſe. Die Poeſie ſoll es alſo unter¬ laſſen, koͤrperliche Schoͤnheiten zu ſchildern; ſie kann nur Zug fuͤr Zug verfahren, und waͤhrend ſie bei den Fuͤßen anlangt, iſt das Bild des Ko¬ pfes ſchon wieder verwiſcht. Der Malerei, die alle Schoͤnheiten auf einmal darſtellt, ſoll ſie die¬ ſes uͤberlaſſen, die Malerei aber der Poeſie die komplizirten Zuͤge einer Handlung, die bewegte Schoͤnheit darzuſtellen; ihr gehoͤrt das Bewegte, der Plaſtik das Ruhende.
Sehen Sie hier, meine Herren; die Urſache, warum Naturſchilderungen, ſelbſt wenn Walter Scott's eminentes Talent ſie ausfuͤhrt, je laͤnger und breiter ſie hinausgezeichnet ſind, deſto vergeb¬ licher und unerfreulicher unſere Phantaſie abmar¬ tern und keine lebhafte Anſchauung hervorzubrin¬ gen im Stande ſind. Die engliſchen Dichter ſind
Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 14
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die Malerei ſchildert Koͤrper und andeutungsweiſe
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die Poeſie ſchildert Bewegungen und andeutungs¬
weiſe durch Bewegungen Koͤrper. Wie dieſer
Ausſpruch nun das ganze Verhaͤltniß durchaus
richtig angibt, ſo iſt auch der Schluß daraus von
Leſſing buͤndig und richtig abgeleitet, daß die Ma¬
lerei (wie die Plaſtik uͤberhaupt) ſich mit dem Si¬
multanen, die Poeſie ſich mit dem Succeſſiven
beſchaͤftigen muͤſſe. Die Poeſie ſoll es alſo unter¬
laſſen, koͤrperliche Schoͤnheiten zu ſchildern; ſie
kann nur Zug fuͤr Zug verfahren, und waͤhrend
ſie bei den Fuͤßen anlangt, iſt das Bild des Ko¬
pfes ſchon wieder verwiſcht. Der Malerei, die
alle Schoͤnheiten auf einmal darſtellt, ſoll ſie die¬
ſes uͤberlaſſen, die Malerei aber der Poeſie die
komplizirten Zuͤge einer Handlung, die bewegte
Schoͤnheit darzuſtellen; ihr gehoͤrt das Bewegte,
der Plaſtik das Ruhende.
Sehen Sie hier, meine Herren; die Urſache,
warum Naturſchilderungen, ſelbſt wenn Walter
Scott's eminentes Talent ſie ausfuͤhrt, je laͤnger
und breiter ſie hinausgezeichnet ſind, deſto vergeb¬
licher und unerfreulicher unſere Phantaſie abmar¬
tern und keine lebhafte Anſchauung hervorzubrin¬
gen im Stande ſind. Die engliſchen Dichter ſind
Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 14
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/223>, abgerufen am 16.02.2025.
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