raum, offenbarte sich der schöne Stil, der mit Beibehaltung des charakteristisch Festen auch das charakteristisch Weiche und Zarte ausdrückte, aus welcher Behandlung eben die hohe Schönheit ihrer Meisterwerke, wozu unter andern der Laokoon ge¬ hört, resultirte; eben so wie die Natur unter allen Schönheiten, die sie bildet, bei der Bildung eines schönen Jünglings oder Mannes sich gleichsam ihr äußerstes Ziel gesetzt hat, da in einer männlich schönen Gestalt das Feste und Weiche harmonischer in einander aufgehen, als in der schönsten weibli¬ chen Gestalt.
Allein die Meisterin Natur hat andere Schwie¬ rigkeiten zu besiegen, als die Meister der Kunst. Keine Schönheit kann freilich die ihrige übertref¬ fen, wenn und so oft sie sich einer ungestörten Entwicklung erfreut, die kühnste Bildnerei und Malerei wird zu Schande vor ihrer nackten Ein¬ falt. Während aber der echte Künstler bei hin¬ länglich gutem Material alle Zeit im Stande ist, die Verwirklichung des ästhetischen Gesetzes charak¬ teristischer Schönheit ungehindert und ausschließlich anzustreben, wird die Künstlerin Natur nur zu oft in ihrem Streben gehemmt und während sie es auf das Höchste anlegte, auf das blos Nothwen¬ dige der Existenz, auf die Rettung des Daseins ihrer Geschöpfe, auf Selbsterhaltung reduzirt. Se¬
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raum, offenbarte ſich der ſchoͤne Stil, der mit Beibehaltung des charakteriſtiſch Feſten auch das charakteriſtiſch Weiche und Zarte ausdruͤckte, aus welcher Behandlung eben die hohe Schoͤnheit ihrer Meiſterwerke, wozu unter andern der Laokoon ge¬ hoͤrt, reſultirte; eben ſo wie die Natur unter allen Schoͤnheiten, die ſie bildet, bei der Bildung eines ſchoͤnen Juͤnglings oder Mannes ſich gleichſam ihr aͤußerſtes Ziel geſetzt hat, da in einer maͤnnlich ſchoͤnen Geſtalt das Feſte und Weiche harmoniſcher in einander aufgehen, als in der ſchoͤnſten weibli¬ chen Geſtalt.
Allein die Meiſterin Natur hat andere Schwie¬ rigkeiten zu beſiegen, als die Meiſter der Kunſt. Keine Schoͤnheit kann freilich die ihrige uͤbertref¬ fen, wenn und ſo oft ſie ſich einer ungeſtoͤrten Entwicklung erfreut, die kuͤhnſte Bildnerei und Malerei wird zu Schande vor ihrer nackten Ein¬ falt. Waͤhrend aber der echte Kuͤnſtler bei hin¬ laͤnglich gutem Material alle Zeit im Stande iſt, die Verwirklichung des aͤſthetiſchen Geſetzes charak¬ teriſtiſcher Schoͤnheit ungehindert und ausſchließlich anzuſtreben, wird die Kuͤnſtlerin Natur nur zu oft in ihrem Streben gehemmt und waͤhrend ſie es auf das Hoͤchſte anlegte, auf das blos Nothwen¬ dige der Exiſtenz, auf die Rettung des Daſeins ihrer Geſchoͤpfe, auf Selbſterhaltung reduzirt. Se¬
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raum, offenbarte ſich der ſchoͤne Stil, der mit
Beibehaltung des charakteriſtiſch Feſten auch das
charakteriſtiſch Weiche und Zarte ausdruͤckte, aus
welcher Behandlung eben die hohe Schoͤnheit ihrer
Meiſterwerke, wozu unter andern der Laokoon ge¬
hoͤrt, reſultirte; eben ſo wie die Natur unter allen
Schoͤnheiten, die ſie bildet, bei der Bildung eines
ſchoͤnen Juͤnglings oder Mannes ſich gleichſam ihr
aͤußerſtes Ziel geſetzt hat, da in einer maͤnnlich
ſchoͤnen Geſtalt das Feſte und Weiche harmoniſcher
in einander aufgehen, als in der ſchoͤnſten weibli¬
chen Geſtalt.
Allein die Meiſterin Natur hat andere Schwie¬
rigkeiten zu beſiegen, als die Meiſter der Kunſt.
Keine Schoͤnheit kann freilich die ihrige uͤbertref¬
fen, wenn und ſo oft ſie ſich einer ungeſtoͤrten
Entwicklung erfreut, die kuͤhnſte Bildnerei und
Malerei wird zu Schande vor ihrer nackten Ein¬
falt. Waͤhrend aber der echte Kuͤnſtler bei hin¬
laͤnglich gutem Material alle Zeit im Stande iſt,
die Verwirklichung des aͤſthetiſchen Geſetzes charak¬
teriſtiſcher Schoͤnheit ungehindert und ausſchließlich
anzuſtreben, wird die Kuͤnſtlerin Natur nur zu oft
in ihrem Streben gehemmt und waͤhrend ſie es
auf das Hoͤchſte anlegte, auf das blos Nothwen¬
dige der Exiſtenz, auf die Rettung des Daſeins
ihrer Geſchoͤpfe, auf Selbſterhaltung reduzirt. Se¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/209>, abgerufen am 24.11.2024.
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