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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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gleich, daß er das Pferd darum schöner findet,
weil dasselbe schön im Aeußern, schärfere Sinne,
schlankere Glieder aufweist und daher eine gebil¬
detere Organisation des Innern verräth, also einer
entschiedeneren Thiercharakteristik angehört. Mit
gleichem Recht halten wir daher die menschliche
Gestalt, nicht allein für die entschiedenste, an Or¬
ganen feinste, an Funktionen reichste, an Bewe¬
gung freiste, sondern auch, und aus demselben
Grunde für die schönste, für die idealischste Ge¬
staltung der Animalisation.

Wir sehen also, daß die Natur, indem sie
die Leiter ihrer Bildungen hinaufsteigt, dabei den
Grundsatz vor Augen hat, Schritt vor Schritt an
Bedeutung, wie an Schönheit zu gewinnen, bis
sie bei der bedeutsamsten Gestalt, der menschlichen,
anlangt und mit dieser, gleichsam als Resultat
ihres Strebens, die höchste Schönheit vereinigt.

In so fern finden wir die Natur auf dem¬
selben Wege mit der Kunst und die Kunstgeschichte
gewissermaßen analog mit der Geschichte der Na¬
turreiche, indem die Anfänge beider sich erst all¬
mählig aus unbestimmter Charakterlosigkeit, aus
roher Masse, schwachen Andeutungen der Glieder
aufarbeiteten zu individuelleren Formen und Ge¬
stalten, bis das Prinzip der Schönheit sich merk¬
lich machte und die höchste Charakteristik mit der

Wienbarg, ästhet. Feldz. 13

gleich, daß er das Pferd darum ſchoͤner findet,
weil daſſelbe ſchoͤn im Aeußern, ſchaͤrfere Sinne,
ſchlankere Glieder aufweiſt und daher eine gebil¬
detere Organiſation des Innern verraͤth, alſo einer
entſchiedeneren Thiercharakteriſtik angehoͤrt. Mit
gleichem Recht halten wir daher die menſchliche
Geſtalt, nicht allein fuͤr die entſchiedenſte, an Or¬
ganen feinſte, an Funktionen reichſte, an Bewe¬
gung freiſte, ſondern auch, und aus demſelben
Grunde fuͤr die ſchoͤnſte, fuͤr die idealiſchſte Ge¬
ſtaltung der Animaliſation.

Wir ſehen alſo, daß die Natur, indem ſie
die Leiter ihrer Bildungen hinaufſteigt, dabei den
Grundſatz vor Augen hat, Schritt vor Schritt an
Bedeutung, wie an Schoͤnheit zu gewinnen, bis
ſie bei der bedeutſamſten Geſtalt, der menſchlichen,
anlangt und mit dieſer, gleichſam als Reſultat
ihres Strebens, die hoͤchſte Schoͤnheit vereinigt.

In ſo fern finden wir die Natur auf dem¬
ſelben Wege mit der Kunſt und die Kunſtgeſchichte
gewiſſermaßen analog mit der Geſchichte der Na¬
turreiche, indem die Anfaͤnge beider ſich erſt all¬
maͤhlig aus unbeſtimmter Charakterloſigkeit, aus
roher Maſſe, ſchwachen Andeutungen der Glieder
aufarbeiteten zu individuelleren Formen und Ge¬
ſtalten, bis das Prinzip der Schoͤnheit ſich merk¬
lich machte und die hoͤchſte Charakteriſtik mit der

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[193/0207] gleich, daß er das Pferd darum ſchoͤner findet, weil daſſelbe ſchoͤn im Aeußern, ſchaͤrfere Sinne, ſchlankere Glieder aufweiſt und daher eine gebil¬ detere Organiſation des Innern verraͤth, alſo einer entſchiedeneren Thiercharakteriſtik angehoͤrt. Mit gleichem Recht halten wir daher die menſchliche Geſtalt, nicht allein fuͤr die entſchiedenſte, an Or¬ ganen feinſte, an Funktionen reichſte, an Bewe¬ gung freiſte, ſondern auch, und aus demſelben Grunde fuͤr die ſchoͤnſte, fuͤr die idealiſchſte Ge¬ ſtaltung der Animaliſation. Wir ſehen alſo, daß die Natur, indem ſie die Leiter ihrer Bildungen hinaufſteigt, dabei den Grundſatz vor Augen hat, Schritt vor Schritt an Bedeutung, wie an Schoͤnheit zu gewinnen, bis ſie bei der bedeutſamſten Geſtalt, der menſchlichen, anlangt und mit dieſer, gleichſam als Reſultat ihres Strebens, die hoͤchſte Schoͤnheit vereinigt. In ſo fern finden wir die Natur auf dem¬ ſelben Wege mit der Kunſt und die Kunſtgeſchichte gewiſſermaßen analog mit der Geſchichte der Na¬ turreiche, indem die Anfaͤnge beider ſich erſt all¬ maͤhlig aus unbeſtimmter Charakterloſigkeit, aus roher Maſſe, ſchwachen Andeutungen der Glieder aufarbeiteten zu individuelleren Formen und Ge¬ ſtalten, bis das Prinzip der Schoͤnheit ſich merk¬ lich machte und die hoͤchſte Charakteriſtik mit der Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 13

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/207>, abgerufen am 22.11.2024.