nung vor den Griechen voraufhaben könnten, nur erst elementarisch im Schooß der keimenden Zeit ruht und weder zur Darstellung noch zur Anschau¬ ung bisher gelangt ist. Genug also, wir leben der Ueberzeugung, daß sowohl das Schaffen als das Genießen und Beurtheilen des Schönen seine Geschichte hat, seine Bildungsstufen durchläuft und in dieser Ueberzeugung begrüßen wir das Schöne, das wir empfinden, sowohl als wirklich und leben¬ dig, als auch als die vollkommenste Wirklichkeit, deren wir uns bewußt werden können, ohne damit die möglichen Erweiterungen und Veredlungen des Schönheitssinns für die Zukunft abzuweisen. Fra¬ gen wir nun, wie das Schöne uns wirklich wird, so geben wir, in etwas belehrt, die obige Ant¬ wort, nur im Besondern und Individuellen und damit sprechen wir aus, daß das Schöne jedesmal, um schön zu sein, Charakter haben muß. Lange hat man sich in Deutschland darüber gestrit¬ ten, was der höchste Grundsatz der Alten in Sa¬ chen der Kunst gewesen. Winckelmann sagte: die Schönheit, Lessing die klassische Ruhe, Fernow das Idealische, Hirt das Charakteristische, bis Goethe nach langem Forschen und sinnigem Stu¬ dium alle Parteien mit der Aeußerung zur Ruhe brachte: "der höchste Grundsatz der Alten war das Bedeutende, das höchste Resultat aber einer glück¬
nung vor den Griechen voraufhaben koͤnnten, nur erſt elementariſch im Schooß der keimenden Zeit ruht und weder zur Darſtellung noch zur Anſchau¬ ung bisher gelangt iſt. Genug alſo, wir leben der Ueberzeugung, daß ſowohl das Schaffen als das Genießen und Beurtheilen des Schoͤnen ſeine Geſchichte hat, ſeine Bildungsſtufen durchlaͤuft und in dieſer Ueberzeugung begruͤßen wir das Schoͤne, das wir empfinden, ſowohl als wirklich und leben¬ dig, als auch als die vollkommenſte Wirklichkeit, deren wir uns bewußt werden koͤnnen, ohne damit die moͤglichen Erweiterungen und Veredlungen des Schoͤnheitsſinns fuͤr die Zukunft abzuweiſen. Fra¬ gen wir nun, wie das Schoͤne uns wirklich wird, ſo geben wir, in etwas belehrt, die obige Ant¬ wort, nur im Beſondern und Individuellen und damit ſprechen wir aus, daß das Schoͤne jedesmal, um ſchoͤn zu ſein, Charakter haben muß. Lange hat man ſich in Deutſchland daruͤber geſtrit¬ ten, was der hoͤchſte Grundſatz der Alten in Sa¬ chen der Kunſt geweſen. Winckelmann ſagte: die Schoͤnheit, Leſſing die klaſſiſche Ruhe, Fernow das Idealiſche, Hirt das Charakteriſtiſche, bis Goethe nach langem Forſchen und ſinnigem Stu¬ dium alle Parteien mit der Aeußerung zur Ruhe brachte: „der hoͤchſte Grundſatz der Alten war das Bedeutende, das hoͤchſte Reſultat aber einer gluͤck¬
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[188/0202]
nung vor den Griechen voraufhaben koͤnnten, nur
erſt elementariſch im Schooß der keimenden Zeit
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ung bisher gelangt iſt. Genug alſo, wir leben
der Ueberzeugung, daß ſowohl das Schaffen als
das Genießen und Beurtheilen des Schoͤnen ſeine
Geſchichte hat, ſeine Bildungsſtufen durchlaͤuft und
in dieſer Ueberzeugung begruͤßen wir das Schoͤne,
das wir empfinden, ſowohl als wirklich und leben¬
dig, als auch als die vollkommenſte Wirklichkeit,
deren wir uns bewußt werden koͤnnen, ohne damit
die moͤglichen Erweiterungen und Veredlungen des
Schoͤnheitsſinns fuͤr die Zukunft abzuweiſen. Fra¬
gen wir nun, wie das Schoͤne uns wirklich wird,
ſo geben wir, in etwas belehrt, die obige Ant¬
wort, nur im Beſondern und Individuellen und
damit ſprechen wir aus, daß das Schoͤne jedesmal,
um ſchoͤn zu ſein, Charakter haben muß.
Lange hat man ſich in Deutſchland daruͤber geſtrit¬
ten, was der hoͤchſte Grundſatz der Alten in Sa¬
chen der Kunſt geweſen. Winckelmann ſagte: die
Schoͤnheit, Leſſing die klaſſiſche Ruhe, Fernow
das Idealiſche, Hirt das Charakteriſtiſche, bis
Goethe nach langem Forſchen und ſinnigem Stu¬
dium alle Parteien mit der Aeußerung zur Ruhe
brachte: „der hoͤchſte Grundſatz der Alten war das
Bedeutende, das hoͤchſte Reſultat aber einer gluͤck¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/202>, abgerufen am 22.11.2024.
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