Armselige Moralisten, die auftreten und den Leichtsinn der Kunst anklagen, der in unserer Zeit immer mehr einreiße und um sich greife. Tretet beschämt zurück und schweigt; denn wo noch in der Gegenwart der schönere Funke der Natur, der Wahrheit und der Freiheit hervorbricht, da sieht man ihn überall eher im Gesang und Gedicht, als im Leben, das unter der schalen, gedankenlosen und leichtfertigen Oberfläche nur erst spärliche Lich¬ ter durchzucken läßt. Nicht die Kunst ist es, die das Leben, das Leben ist es, das die Kunst ver¬ dirbt und zu allen Zeiten, zu den schlechtesten un¬ ter Nero, ist diese noch immer besser und heiliger gewesen, als jenes.
Nur Wenige sind zu Künstlern geboren: Alle um Selbstkünstler, Bildner ihrer eignen Persön¬ lichkeit zu sein; dieses eben, die Allgemeinheit und Unerläßlichkeit der Forderung ist es, was die Le¬ benskunst, die Moral, von den übrigen Künsten unterscheidet, die man auch in dieser Beziehung frei nennen kann, indem es auf Talent und Lust ankommt, sich mit ihnen zu befassen, während Jedem die Lust angemuthet, das Talent zugespro¬ chen werden muß, seine eigne moralische Bildung zu unternehmen.
So sind beide nur in ihrem Umfang, aber nicht in ihrem Ursprung und in ihrer ästhetischen
Armſelige Moraliſten, die auftreten und den Leichtſinn der Kunſt anklagen, der in unſerer Zeit immer mehr einreiße und um ſich greife. Tretet beſchaͤmt zuruͤck und ſchweigt; denn wo noch in der Gegenwart der ſchoͤnere Funke der Natur, der Wahrheit und der Freiheit hervorbricht, da ſieht man ihn uͤberall eher im Geſang und Gedicht, als im Leben, das unter der ſchalen, gedankenloſen und leichtfertigen Oberflaͤche nur erſt ſpaͤrliche Lich¬ ter durchzucken laͤßt. Nicht die Kunſt iſt es, die das Leben, das Leben iſt es, das die Kunſt ver¬ dirbt und zu allen Zeiten, zu den ſchlechteſten un¬ ter Nero, iſt dieſe noch immer beſſer und heiliger geweſen, als jenes.
Nur Wenige ſind zu Kuͤnſtlern geboren: Alle um Selbſtkuͤnſtler, Bildner ihrer eignen Perſoͤn¬ lichkeit zu ſein; dieſes eben, die Allgemeinheit und Unerlaͤßlichkeit der Forderung iſt es, was die Le¬ benskunſt, die Moral, von den uͤbrigen Kuͤnſten unterſcheidet, die man auch in dieſer Beziehung frei nennen kann, indem es auf Talent und Luſt ankommt, ſich mit ihnen zu befaſſen, waͤhrend Jedem die Luſt angemuthet, das Talent zugeſpro¬ chen werden muß, ſeine eigne moraliſche Bildung zu unternehmen.
So ſind beide nur in ihrem Umfang, aber nicht in ihrem Urſprung und in ihrer aͤſthetiſchen
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Armſelige Moraliſten, die auftreten und den
Leichtſinn der Kunſt anklagen, der in unſerer Zeit
immer mehr einreiße und um ſich greife. Tretet
beſchaͤmt zuruͤck und ſchweigt; denn wo noch in
der Gegenwart der ſchoͤnere Funke der Natur, der
Wahrheit und der Freiheit hervorbricht, da ſieht
man ihn uͤberall eher im Geſang und Gedicht, als
im Leben, das unter der ſchalen, gedankenloſen
und leichtfertigen Oberflaͤche nur erſt ſpaͤrliche Lich¬
ter durchzucken laͤßt. Nicht die Kunſt iſt es, die
das Leben, das Leben iſt es, das die Kunſt ver¬
dirbt und zu allen Zeiten, zu den ſchlechteſten un¬
ter Nero, iſt dieſe noch immer beſſer und heiliger
geweſen, als jenes.
Nur Wenige ſind zu Kuͤnſtlern geboren: Alle
um Selbſtkuͤnſtler, Bildner ihrer eignen Perſoͤn¬
lichkeit zu ſein; dieſes eben, die Allgemeinheit und
Unerlaͤßlichkeit der Forderung iſt es, was die Le¬
benskunſt, die Moral, von den uͤbrigen Kuͤnſten
unterſcheidet, die man auch in dieſer Beziehung
frei nennen kann, indem es auf Talent und Luſt
ankommt, ſich mit ihnen zu befaſſen, waͤhrend
Jedem die Luſt angemuthet, das Talent zugeſpro¬
chen werden muß, ſeine eigne moraliſche Bildung
zu unternehmen.
So ſind beide nur in ihrem Umfang, aber
nicht in ihrem Urſprung und in ihrer aͤſthetiſchen
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/188>, abgerufen am 24.11.2024.
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