Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.42. Was sagst du, goldne Amme, ruft Amande,Und fällt ihr um den hals -- mein Hüon, mir so nah? Wo ist er? -- Ach! Prinzessin, was geschah! (Schluchzt jene weinend) hilf! zerreisse seine bande! Spreng seinen kerker auf! dem Unglükselgen droht, Aus liebe bloß zu dir, ein jämmerlicher tod. Und drauf erzählt sie ihr genau die ganze sache, Und ihres Ritters Treu, und der Sultanin rache. 43. Schon, ruft sie, steht der holzstoß aufgethürmt,Nichts rettet ihn, wenn ihn nicht Zoradine schirmt! Mit einem schrey der angst, halbsinnlos, fährt Amande In wilder Hast von ihrem lager auf, Wirft, wie sie steht, im leichten Nachtgewande, Den Curdee um, und eilt in vollem lauf Des Sultans zimmer zu, durch alle Sclavenwachen, Die sie mit wunder sehn, und schweigend plaz ihr machen. 44. Sie dringt hinein, nichts achtend daß es frühAm tage war, und wirft mit lilienblassen wangen, Und haaren, die zerstreut um ihre schultern hangen, Sich vor dem Sultan auf die knie'. Almansor, spricht sie, wenn mein Leben dir Erhaltenswürdig scheint, so laß mich nicht vergebens Dir knieen -- Schwöre, daß du was ich bitte mir Gewähren willst! Es gilt die ruhe meines lebens! 45. Be-
42. Was ſagſt du, goldne Amme, ruft Amande,Und faͤllt ihr um den hals — mein Huͤon, mir ſo nah? Wo iſt er? — Ach! Prinzeſſin, was geſchah! (Schluchzt jene weinend) hilf! zerreiſſe ſeine bande! Spreng ſeinen kerker auf! dem Ungluͤkſelgen droht, Aus liebe bloß zu dir, ein jaͤmmerlicher tod. Und drauf erzaͤhlt ſie ihr genau die ganze ſache, Und ihres Ritters Treu, und der Sultanin rache. 43. Schon, ruft ſie, ſteht der holzſtoß aufgethuͤrmt,Nichts rettet ihn, wenn ihn nicht Zoradine ſchirmt! Mit einem ſchrey der angſt, halbſinnlos, faͤhrt Amande In wilder Haſt von ihrem lager auf, Wirft, wie ſie ſteht, im leichten Nachtgewande, Den Curdee um, und eilt in vollem lauf Des Sultans zimmer zu, durch alle Sclavenwachen, Die ſie mit wunder ſehn, und ſchweigend plaz ihr machen. 44. Sie dringt hinein, nichts achtend daß es fruͤhAm tage war, und wirft mit lilienblaſſen wangen, Und haaren, die zerſtreut um ihre ſchultern hangen, Sich vor dem Sultan auf die knie'. Almanſor, ſpricht ſie, wenn mein Leben dir Erhaltenswuͤrdig ſcheint, ſo laß mich nicht vergebens Dir knieen — Schwoͤre, daß du was ich bitte mir Gewaͤhren willſt! Es gilt die ruhe meines lebens! 45. Be-
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42.
Was ſagſt du, goldne Amme, ruft Amande,
Und faͤllt ihr um den hals — mein Huͤon, mir ſo nah?
Wo iſt er? — Ach! Prinzeſſin, was geſchah!
(Schluchzt jene weinend) hilf! zerreiſſe ſeine bande!
Spreng ſeinen kerker auf! dem Ungluͤkſelgen droht,
Aus liebe bloß zu dir, ein jaͤmmerlicher tod.
Und drauf erzaͤhlt ſie ihr genau die ganze ſache,
Und ihres Ritters Treu, und der Sultanin rache.
43.
Schon, ruft ſie, ſteht der holzſtoß aufgethuͤrmt,
Nichts rettet ihn, wenn ihn nicht Zoradine ſchirmt!
Mit einem ſchrey der angſt, halbſinnlos, faͤhrt Amande
In wilder Haſt von ihrem lager auf,
Wirft, wie ſie ſteht, im leichten Nachtgewande,
Den Curdee um, und eilt in vollem lauf
Des Sultans zimmer zu, durch alle Sclavenwachen,
Die ſie mit wunder ſehn, und ſchweigend plaz ihr machen.
44.
Sie dringt hinein, nichts achtend daß es fruͤh
Am tage war, und wirft mit lilienblaſſen wangen,
Und haaren, die zerſtreut um ihre ſchultern hangen,
Sich vor dem Sultan auf die knie'.
Almanſor, ſpricht ſie, wenn mein Leben dir
Erhaltenswuͤrdig ſcheint, ſo laß mich nicht vergebens
Dir knieen — Schwoͤre, daß du was ich bitte mir
Gewaͤhren willſt! Es gilt die ruhe meines lebens!
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