Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.57. Drey söhn', im vollen trieb der ersten jugendkraft,Der eignen jugend bild, die hofnung grauer jahre, Sie wurden durch die pest ihm plözlich weggeraft; Bald legt auch schmerz und gram die Mutter auf die bahre. Er lebt! -- und niemand ist der mit ihm weint, Denn ach! verlassen hat ihn auch sein einzger freund! Er steht allein. Die welt die ihn umgiebet Ist Grab -- von allem grab, was er, was ihn geliebet. 58. Er steht, ein einsamer, vom sturm entlaubter baum,Die quellen sind versiegt wo seine freuden quollen. Wie hätt ihm izt die hütte, wo er kaum Noch glüklich war, nicht schreklich werden sollen? Was ist ihm nun die Welt? Ein weiter leerer raum, Des Glückes spielraum, frey ihr rad herumzurollen; Was soll er länger da? Ihm brach sein lezter stab, Er hat nichts mehr zu suchen -- als ein grab. 59. Alfonso floh in dieses unwirthbareVerlaßne Eiland, floh mit fastzerstörtem sinn In dies gebürg, und fand mehr als er suchte drinn, Erst ruh', und mit dem stillen fluß der jahre Zulezt zufriedenheit. Ein alter Diener, der Ihn nicht verlassen wollt', die einzge treue seele Die ihm sein unglük ließ, begleitet' ihn hieher, Und ihre wohnung war nun eine felsenhöle. 60. All- N 3
57. Drey ſoͤhn', im vollen trieb der erſten jugendkraft,Der eignen jugend bild, die hofnung grauer jahre, Sie wurden durch die peſt ihm ploͤzlich weggeraft; Bald legt auch ſchmerz und gram die Mutter auf die bahre. Er lebt! — und niemand iſt der mit ihm weint, Denn ach! verlaſſen hat ihn auch ſein einzger freund! Er ſteht allein. Die welt die ihn umgiebet Iſt Grab — von allem grab, was er, was ihn geliebet. 58. Er ſteht, ein einſamer, vom ſturm entlaubter baum,Die quellen ſind verſiegt wo ſeine freuden quollen. Wie haͤtt ihm izt die huͤtte, wo er kaum Noch gluͤklich war, nicht ſchreklich werden ſollen? Was iſt ihm nun die Welt? Ein weiter leerer raum, Des Gluͤckes ſpielraum, frey ihr rad herumzurollen; Was ſoll er laͤnger da? Ihm brach ſein lezter ſtab, Er hat nichts mehr zu ſuchen — als ein grab. 59. Alfonſo floh in dieſes unwirthbareVerlaßne Eiland, floh mit faſtzerſtoͤrtem ſinn In dies gebuͤrg, und fand mehr als er ſuchte drinn, Erſt ruh', und mit dem ſtillen fluß der jahre Zulezt zufriedenheit. Ein alter Diener, der Ihn nicht verlaſſen wollt', die einzge treue ſeele Die ihm ſein ungluͤk ließ, begleitet' ihn hieher, Und ihre wohnung war nun eine felſenhoͤle. 60. All- N 3
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57.
Drey ſoͤhn', im vollen trieb der erſten jugendkraft,
Der eignen jugend bild, die hofnung grauer jahre,
Sie wurden durch die peſt ihm ploͤzlich weggeraft;
Bald legt auch ſchmerz und gram die Mutter auf die bahre.
Er lebt! — und niemand iſt der mit ihm weint,
Denn ach! verlaſſen hat ihn auch ſein einzger freund!
Er ſteht allein. Die welt die ihn umgiebet
Iſt Grab — von allem grab, was er, was ihn geliebet.
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Er ſteht, ein einſamer, vom ſturm entlaubter baum,
Die quellen ſind verſiegt wo ſeine freuden quollen.
Wie haͤtt ihm izt die huͤtte, wo er kaum
Noch gluͤklich war, nicht ſchreklich werden ſollen?
Was iſt ihm nun die Welt? Ein weiter leerer raum,
Des Gluͤckes ſpielraum, frey ihr rad herumzurollen;
Was ſoll er laͤnger da? Ihm brach ſein lezter ſtab,
Er hat nichts mehr zu ſuchen — als ein grab.
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Alfonſo floh in dieſes unwirthbare
Verlaßne Eiland, floh mit faſtzerſtoͤrtem ſinn
In dies gebuͤrg, und fand mehr als er ſuchte drinn,
Erſt ruh', und mit dem ſtillen fluß der jahre
Zulezt zufriedenheit. Ein alter Diener, der
Ihn nicht verlaſſen wollt', die einzge treue ſeele
Die ihm ſein ungluͤk ließ, begleitet' ihn hieher,
Und ihre wohnung war nun eine felſenhoͤle.
60. All-
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