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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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23.
Allmählich wiegt die wonnetrunkenheit
Das volle herz in zauberischen schlummer;
Die augen sinken zu, die sinnen werden stummer,
Die seele dünkt vom leibe sich befreyt,
In Ein gefühl beschränkt -- so fest von ihm umschlungen!
So inniglich von ihm durchathmet und durchdrungen!
Beschränkt in Eins, in diesem Einen bloß
Sich fühlend -- Aber o! dies Eins -- wie grenzenlos!
24.
Kaum fieng Aurora an die schatten zu verjagen,
Und schloß dem Tag mit ihrer rosenhand
Die pforten auf, so hielt der schwanenwagen,
Nicht weit vom seebespülten strand
Von Askalon, im schirm von hohen palmenbäumen
Auf einmal still. Ein sanfter stoß
Wekt unsers doppelt paar, dies aus des schlummers schoos
Und jenes aus der Liebe wachen träumen.
25.
In süßem schrecken bebt die Sultanstochter auf,
Indem, zum erstenmal, vom Morgen angestralet,
Das Weltmeer grenzenlos sich in ihr auge malet.
Voll wunders schweift in ungehemtem lauf
Der ausgedehnte blik auf diesen wasserhöhen;
Die Unermeßlichkeit scheint vor ihm aufgethan;
Doch, mitten in der lust kömmt sie ein schaudern an,
Im Unermeßlichen sich selbst so klein zu sehen.
26. Ein
H 5
23.
Allmaͤhlich wiegt die wonnetrunkenheit
Das volle herz in zauberiſchen ſchlummer;
Die augen ſinken zu, die ſinnen werden ſtummer,
Die ſeele duͤnkt vom leibe ſich befreyt,
In Ein gefuͤhl beſchraͤnkt — ſo feſt von ihm umſchlungen!
So inniglich von ihm durchathmet und durchdrungen!
Beſchraͤnkt in Eins, in dieſem Einen bloß
Sich fuͤhlend — Aber o! dies Eins — wie grenzenlos!
24.
Kaum fieng Aurora an die ſchatten zu verjagen,
Und ſchloß dem Tag mit ihrer roſenhand
Die pforten auf, ſo hielt der ſchwanenwagen,
Nicht weit vom ſeebeſpuͤlten ſtrand
Von Aſkalon, im ſchirm von hohen palmenbaͤumen
Auf einmal ſtill. Ein ſanfter ſtoß
Wekt unſers doppelt paar, dies aus des ſchlummers ſchoos
Und jenes aus der Liebe wachen traͤumen.
25.
In ſuͤßem ſchrecken bebt die Sultanstochter auf,
Indem, zum erſtenmal, vom Morgen angeſtralet,
Das Weltmeer grenzenlos ſich in ihr auge malet.
Voll wunders ſchweift in ungehemtem lauf
Der ausgedehnte blik auf dieſen waſſerhoͤhen;
Die Unermeßlichkeit ſcheint vor ihm aufgethan;
Doch, mitten in der luſt koͤmmt ſie ein ſchaudern an,
Im Unermeßlichen ſich ſelbſt ſo klein zu ſehen.
26. Ein
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[0127] 23. Allmaͤhlich wiegt die wonnetrunkenheit Das volle herz in zauberiſchen ſchlummer; Die augen ſinken zu, die ſinnen werden ſtummer, Die ſeele duͤnkt vom leibe ſich befreyt, In Ein gefuͤhl beſchraͤnkt — ſo feſt von ihm umſchlungen! So inniglich von ihm durchathmet und durchdrungen! Beſchraͤnkt in Eins, in dieſem Einen bloß Sich fuͤhlend — Aber o! dies Eins — wie grenzenlos! 24. Kaum fieng Aurora an die ſchatten zu verjagen, Und ſchloß dem Tag mit ihrer roſenhand Die pforten auf, ſo hielt der ſchwanenwagen, Nicht weit vom ſeebeſpuͤlten ſtrand Von Aſkalon, im ſchirm von hohen palmenbaͤumen Auf einmal ſtill. Ein ſanfter ſtoß Wekt unſers doppelt paar, dies aus des ſchlummers ſchoos Und jenes aus der Liebe wachen traͤumen. 25. In ſuͤßem ſchrecken bebt die Sultanstochter auf, Indem, zum erſtenmal, vom Morgen angeſtralet, Das Weltmeer grenzenlos ſich in ihr auge malet. Voll wunders ſchweift in ungehemtem lauf Der ausgedehnte blik auf dieſen waſſerhoͤhen; Die Unermeßlichkeit ſcheint vor ihm aufgethan; Doch, mitten in der luſt koͤmmt ſie ein ſchaudern an, Im Unermeßlichen ſich ſelbſt ſo klein zu ſehen. 26. Ein H 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/127>, abgerufen am 21.11.2024.