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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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23.
Geheimer ahnung voll, doch mit entschloßnem mut,
Naht Hüon sich, den zärtlichsten der blicke
Auf Rezia gesenkt, die, bang und ohne blut,
Als wie ein Gipsbild steht. Er zieht, und -- o! Geschicke!
O Oberon! -- er zieht mit frost'ger bebender hand
Das Todesloos. Verstummend schaut die Menge
Auf ihn; er ließt, erblaßt, und, ohne widerstand,
Ergiebt er sich in seines schiksals strenge.
24.
Dein werk ist dies, ruft er zu Oberon empor,
Ich fühl, obwohl ich dich nicht sehe,
Erzürnter Geist, ich fühle deine nähe!
Weh mir! du warntest mich, du sagtest mir's zuvor,
Gerecht ist dein gericht! Ich bitte nicht um gnade
Als für Amanden nur, denn Sie ist ohne schuld!
Vergieb ihr! Mich allein belade
Mit deinem ganzen zorn, ich trag ihn mit geduld!
25.
Ihr, die mein tod erhält, schenkt eine fromme zähre
Dem Jüngling, den der sterne mißgunst trift!
Nicht schuldlos sterb ich zwar, doch lebt ich stets mit ehre;
Ein augenblik, wo ich, berauscht von süßem gift,
Des wort's vergaß, das ich zu rasch geschworen,
Der warnung, die zu spät in meinen bangen ohren
Izt widerhallt -- das allgemeine loos
Der menschheit, schwach zu seyn -- ist mein verbrechen bloß!
26. Schwer
L 3
23.
Geheimer ahnung voll, doch mit entſchloßnem mut,
Naht Huͤon ſich, den zaͤrtlichſten der blicke
Auf Rezia geſenkt, die, bang und ohne blut,
Als wie ein Gipsbild ſteht. Er zieht, und — o! Geſchicke!
O Oberon! — er zieht mit froſt'ger bebender hand
Das Todesloos. Verſtummend ſchaut die Menge
Auf ihn; er ließt, erblaßt, und, ohne widerſtand,
Ergiebt er ſich in ſeines ſchikſals ſtrenge.
24.
Dein werk iſt dies, ruft er zu Oberon empor,
Ich fuͤhl, obwohl ich dich nicht ſehe,
Erzuͤrnter Geiſt, ich fuͤhle deine naͤhe!
Weh mir! du warnteſt mich, du ſagteſt mir's zuvor,
Gerecht iſt dein gericht! Ich bitte nicht um gnade
Als fuͤr Amanden nur, denn Sie iſt ohne ſchuld!
Vergieb ihr! Mich allein belade
Mit deinem ganzen zorn, ich trag ihn mit geduld!
25.
Ihr, die mein tod erhaͤlt, ſchenkt eine fromme zaͤhre
Dem Juͤngling, den der ſterne mißgunſt trift!
Nicht ſchuldlos ſterb ich zwar, doch lebt ich ſtets mit ehre;
Ein augenblik, wo ich, berauſcht von ſuͤßem gift,
Des wort's vergaß, das ich zu raſch geſchworen,
Der warnung, die zu ſpaͤt in meinen bangen ohren
Izt widerhallt — das allgemeine loos
Der menſchheit, ſchwach zu ſeyn — iſt mein verbrechen bloß!
26. Schwer
L 3
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[0171] 23. Geheimer ahnung voll, doch mit entſchloßnem mut, Naht Huͤon ſich, den zaͤrtlichſten der blicke Auf Rezia geſenkt, die, bang und ohne blut, Als wie ein Gipsbild ſteht. Er zieht, und — o! Geſchicke! O Oberon! — er zieht mit froſt'ger bebender hand Das Todesloos. Verſtummend ſchaut die Menge Auf ihn; er ließt, erblaßt, und, ohne widerſtand, Ergiebt er ſich in ſeines ſchikſals ſtrenge. 24. Dein werk iſt dies, ruft er zu Oberon empor, Ich fuͤhl, obwohl ich dich nicht ſehe, Erzuͤrnter Geiſt, ich fuͤhle deine naͤhe! Weh mir! du warnteſt mich, du ſagteſt mir's zuvor, Gerecht iſt dein gericht! Ich bitte nicht um gnade Als fuͤr Amanden nur, denn Sie iſt ohne ſchuld! Vergieb ihr! Mich allein belade Mit deinem ganzen zorn, ich trag ihn mit geduld! 25. Ihr, die mein tod erhaͤlt, ſchenkt eine fromme zaͤhre Dem Juͤngling, den der ſterne mißgunſt trift! Nicht ſchuldlos ſterb ich zwar, doch lebt ich ſtets mit ehre; Ein augenblik, wo ich, berauſcht von ſuͤßem gift, Des wort's vergaß, das ich zu raſch geſchworen, Der warnung, die zu ſpaͤt in meinen bangen ohren Izt widerhallt — das allgemeine loos Der menſchheit, ſchwach zu ſeyn — iſt mein verbrechen bloß! 26. Schwer L 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/171>, abgerufen am 25.11.2024.