Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Neuntes Buch, erstes Capitel. nen, womit der Himmel jemals eine mit geheimen Ver-brechen belastete Nation gegeisselt habe, vorstellen; und so schildern ihn auch die Geschichtschreiber. Allein ein Mensch der aus lauter schlimmen Eigenschaften zusam- mengesezt wäre, ist ein Ungeheuer, das nicht existiren kan. Eben dieser Dionysius würde Fähigkeit genug ge- habt haben, ein guter Fürst zu werden, wenn er so glüklich gewesen wäre, zu seiner Bestimmung gebildet zu werden. Aber es fehlte soviel, daß er die Erziehung die sich für einen Prinzen schikt, bekommen hätte, daß ihm nicht einmal diejenige zu theil wurde, die man einem jeden jungen Menschen von mittelmässigem Stande giebt. Sein Vater, der feigherzigste Tyrann der jemals war, ließ ihn, von aller guten Gesellschaft abgesondert, unter niedrigen Sclaven aufwachsen, und der präsum- tive Thronfolger hatte kein andres Mittel sich die Lange- weile zu vertreiben, als daß er kleine Wagen, hölzerne Leuchter, Schemel und Tisch'gen verfertigte. Man würde unrecht haben, wenn man diese selbstgewählte Beschäftigung für einen Wink der Natur halten wollte; es war vielmehr der Mangel an Gegenständen und Mo- dellen, welche dem allen Menschen angebohrnen Trieb Wiz und Hände zu beschäftigen, der sich in ihm regete, eine andere Richtung hätten geben können: Er würde vielleicht Verse gemacht haben, und bessere als sein Vater, (der unter andern Thorheiten auch die Wuth hatte, ein Poet seyn zu wollen) wenn man ihm einen Ho- mer in seine Clause gegeben hätte. Wie manche Prin- zen hat man gesehen, welche mit der Anlage zu Augu- sten F 5
Neuntes Buch, erſtes Capitel. nen, womit der Himmel jemals eine mit geheimen Ver-brechen belaſtete Nation gegeiſſelt habe, vorſtellen; und ſo ſchildern ihn auch die Geſchichtſchreiber. Allein ein Menſch der aus lauter ſchlimmen Eigenſchaften zuſam- mengeſezt waͤre, iſt ein Ungeheuer, das nicht exiſtiren kan. Eben dieſer Dionyſius würde Faͤhigkeit genug ge- habt haben, ein guter Fuͤrſt zu werden, wenn er ſo gluͤklich geweſen waͤre, zu ſeiner Beſtimmung gebildet zu werden. Aber es fehlte ſoviel, daß er die Erziehung die ſich fuͤr einen Prinzen ſchikt, bekommen haͤtte, daß ihm nicht einmal diejenige zu theil wurde, die man einem jeden jungen Menſchen von mittelmaͤſſigem Stande giebt. Sein Vater, der feigherzigſte Tyrann der jemals war, ließ ihn, von aller guten Geſellſchaft abgeſondert, unter niedrigen Sclaven aufwachſen, und der praͤſum- tive Thronfolger hatte kein andres Mittel ſich die Lange- weile zu vertreiben, als daß er kleine Wagen, hoͤlzerne Leuchter, Schemel und Tiſch’gen verfertigte. Man wuͤrde unrecht haben, wenn man dieſe ſelbſtgewaͤhlte Beſchaͤftigung fuͤr einen Wink der Natur halten wollte; es war vielmehr der Mangel an Gegenſtaͤnden und Mo- dellen, welche dem allen Menſchen angebohrnen Trieb Wiz und Haͤnde zu beſchaͤftigen, der ſich in ihm regete, eine andere Richtung haͤtten geben koͤnnen: Er wuͤrde vielleicht Verſe gemacht haben, und beſſere als ſein Vater, (der unter andern Thorheiten auch die Wuth hatte, ein Poet ſeyn zu wollen) wenn man ihm einen Ho- mer in ſeine Clauſe gegeben haͤtte. Wie manche Prin- zen hat man geſehen, welche mit der Anlage zu Augu- ſten F 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0091" n="89"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Neuntes Buch, erſtes Capitel.</hi></fw><lb/> nen, womit der Himmel jemals eine mit geheimen Ver-<lb/> brechen belaſtete Nation gegeiſſelt habe, vorſtellen; und<lb/> ſo ſchildern ihn auch die Geſchichtſchreiber. Allein ein<lb/> Menſch der aus lauter ſchlimmen Eigenſchaften zuſam-<lb/> mengeſezt waͤre, iſt ein Ungeheuer, das nicht exiſtiren<lb/> kan. Eben dieſer Dionyſius würde Faͤhigkeit genug ge-<lb/> habt haben, ein guter Fuͤrſt zu werden, wenn er ſo<lb/> gluͤklich geweſen waͤre, zu ſeiner Beſtimmung gebildet<lb/> zu werden. Aber es fehlte ſoviel, daß er die Erziehung<lb/> die ſich fuͤr einen Prinzen ſchikt, bekommen haͤtte, daß<lb/> ihm nicht einmal diejenige zu theil wurde, die man<lb/> einem jeden jungen Menſchen von mittelmaͤſſigem Stande<lb/> giebt. Sein Vater, der feigherzigſte Tyrann der jemals<lb/> war, ließ ihn, von aller guten Geſellſchaft abgeſondert,<lb/> unter niedrigen Sclaven aufwachſen, und der praͤſum-<lb/> tive Thronfolger hatte kein andres Mittel ſich die Lange-<lb/> weile zu vertreiben, als daß er kleine Wagen, hoͤlzerne<lb/> Leuchter, Schemel und Tiſch’gen verfertigte. Man<lb/> wuͤrde unrecht haben, wenn man dieſe ſelbſtgewaͤhlte<lb/> Beſchaͤftigung fuͤr einen Wink der Natur halten wollte;<lb/> es war vielmehr der Mangel an Gegenſtaͤnden und Mo-<lb/> dellen, welche dem allen Menſchen angebohrnen Trieb<lb/> Wiz und Haͤnde zu beſchaͤftigen, der ſich in ihm regete,<lb/> eine andere Richtung haͤtten geben koͤnnen: Er wuͤrde<lb/> vielleicht Verſe gemacht haben, und beſſere als ſein<lb/> Vater, (der unter andern Thorheiten auch die Wuth<lb/> hatte, ein Poet ſeyn zu wollen) wenn man ihm einen Ho-<lb/> mer in ſeine Clauſe gegeben haͤtte. Wie manche Prin-<lb/> zen hat man geſehen, welche mit der Anlage zu Augu-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">F 5</fw><fw place="bottom" type="catch">ſten</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0091]
Neuntes Buch, erſtes Capitel.
nen, womit der Himmel jemals eine mit geheimen Ver-
brechen belaſtete Nation gegeiſſelt habe, vorſtellen; und
ſo ſchildern ihn auch die Geſchichtſchreiber. Allein ein
Menſch der aus lauter ſchlimmen Eigenſchaften zuſam-
mengeſezt waͤre, iſt ein Ungeheuer, das nicht exiſtiren
kan. Eben dieſer Dionyſius würde Faͤhigkeit genug ge-
habt haben, ein guter Fuͤrſt zu werden, wenn er ſo
gluͤklich geweſen waͤre, zu ſeiner Beſtimmung gebildet
zu werden. Aber es fehlte ſoviel, daß er die Erziehung
die ſich fuͤr einen Prinzen ſchikt, bekommen haͤtte, daß
ihm nicht einmal diejenige zu theil wurde, die man
einem jeden jungen Menſchen von mittelmaͤſſigem Stande
giebt. Sein Vater, der feigherzigſte Tyrann der jemals
war, ließ ihn, von aller guten Geſellſchaft abgeſondert,
unter niedrigen Sclaven aufwachſen, und der praͤſum-
tive Thronfolger hatte kein andres Mittel ſich die Lange-
weile zu vertreiben, als daß er kleine Wagen, hoͤlzerne
Leuchter, Schemel und Tiſch’gen verfertigte. Man
wuͤrde unrecht haben, wenn man dieſe ſelbſtgewaͤhlte
Beſchaͤftigung fuͤr einen Wink der Natur halten wollte;
es war vielmehr der Mangel an Gegenſtaͤnden und Mo-
dellen, welche dem allen Menſchen angebohrnen Trieb
Wiz und Haͤnde zu beſchaͤftigen, der ſich in ihm regete,
eine andere Richtung haͤtten geben koͤnnen: Er wuͤrde
vielleicht Verſe gemacht haben, und beſſere als ſein
Vater, (der unter andern Thorheiten auch die Wuth
hatte, ein Poet ſeyn zu wollen) wenn man ihm einen Ho-
mer in ſeine Clauſe gegeben haͤtte. Wie manche Prin-
zen hat man geſehen, welche mit der Anlage zu Augu-
ſten
F 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/91 |
Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/91>, abgerufen am 16.07.2024. |