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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Eilftes Buch, viertes Capitel.
nehmliche Meister unterschiedliche Copien von seinen
Stüken gemacht haben. Aber wenn er wieder die Augen
auf ein Stük heftete, welches die Göttin Luna vor-
stellte, wie sie mit Augen der Liebe den schlafenden
Endymion betrachtet -- so glaubte er es so gewiß für
das nehmliche zu erkennen, vor welchem er in einem
Garten-Saal der Danae zu Smyrna oft Viertelstunden
lang in bewundernder Entzükung gestanden, daß es ihm
unmöglich war, seiner Ueberzeugung zu widerstehen. Die
Verwirrung, in die er dadurch gesezt wurde, ist un-
beschreiblich -- Sollte Danae -- aber wie könnte das
möglich seyn? -- Und doch schien alles das Sonderbare,
was ihm Critolaus von der Dame dieses Hauses gesagt
hatte, den Gedanken zu bekräftigen, der in ihm aufstieg,
und den er sich kaum auszudenken getrauete. Die schöne
Danae hätte zufrieden seyn können, wenn sie gesehen
hätte, was in seinem Herzen vorgieng. Er hätte nicht
erschrokner seyn können, vor das Antliz einer beleidig-
ten Gottheit zu treten, als er es vor dem Gedanken
war, sich dieser Danae darzustellen, welche er seit ge-
raumer Zeit gewohnt war, sich wieder so unschuldig
vorzustellen, als sie ihm damals, da er sie verließ,
verächtlich und hassenswürdig schien. Allein das Ver-
langen sie zu sehen, verschlang endlich alle andre Empfin-
dungen, von denen sein Herz erschüttert wurde. Seine
Unruhe war so sichtbar, daß Critolaus sie bemerken
mußte. Agathon würde besser gethan haben, ihm die
Ursache davon zu entdeken; aber er that es nicht, und
behalf sich mit der allgemeinen Ausflucht, daß ihm nicht

wol
Y 3

Eilftes Buch, viertes Capitel.
nehmliche Meiſter unterſchiedliche Copien von ſeinen
Stuͤken gemacht haben. Aber wenn er wieder die Augen
auf ein Stuͤk heftete, welches die Goͤttin Luna vor-
ſtellte, wie ſie mit Augen der Liebe den ſchlafenden
Endymion betrachtet ‒‒ ſo glaubte er es ſo gewiß fuͤr
das nehmliche zu erkennen, vor welchem er in einem
Garten-Saal der Danae zu Smyrna oft Viertelſtunden
lang in bewundernder Entzuͤkung geſtanden, daß es ihm
unmoͤglich war, ſeiner Ueberzeugung zu widerſtehen. Die
Verwirrung, in die er dadurch geſezt wurde, iſt un-
beſchreiblich ‒‒ Sollte Danae ‒‒ aber wie koͤnnte das
moͤglich ſeyn? ‒‒ Und doch ſchien alles das Sonderbare,
was ihm Critolaus von der Dame dieſes Hauſes geſagt
hatte, den Gedanken zu bekraͤftigen, der in ihm aufſtieg,
und den er ſich kaum auszudenken getrauete. Die ſchoͤne
Danae haͤtte zufrieden ſeyn koͤnnen, wenn ſie geſehen
haͤtte, was in ſeinem Herzen vorgieng. Er haͤtte nicht
erſchrokner ſeyn koͤnnen, vor das Antliz einer beleidig-
ten Gottheit zu treten, als er es vor dem Gedanken
war, ſich dieſer Danae darzuſtellen, welche er ſeit ge-
raumer Zeit gewohnt war, ſich wieder ſo unſchuldig
vorzuſtellen, als ſie ihm damals, da er ſie verließ,
veraͤchtlich und haſſenswuͤrdig ſchien. Allein das Ver-
langen ſie zu ſehen, verſchlang endlich alle andre Empfin-
dungen, von denen ſein Herz erſchuͤttert wurde. Seine
Unruhe war ſo ſichtbar, daß Critolaus ſie bemerken
mußte. Agathon wuͤrde beſſer gethan haben, ihm die
Urſache davon zu entdeken; aber er that es nicht, und
behalf ſich mit der allgemeinen Ausflucht, daß ihm nicht

wol
Y 3
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[341/0343] Eilftes Buch, viertes Capitel. nehmliche Meiſter unterſchiedliche Copien von ſeinen Stuͤken gemacht haben. Aber wenn er wieder die Augen auf ein Stuͤk heftete, welches die Goͤttin Luna vor- ſtellte, wie ſie mit Augen der Liebe den ſchlafenden Endymion betrachtet ‒‒ ſo glaubte er es ſo gewiß fuͤr das nehmliche zu erkennen, vor welchem er in einem Garten-Saal der Danae zu Smyrna oft Viertelſtunden lang in bewundernder Entzuͤkung geſtanden, daß es ihm unmoͤglich war, ſeiner Ueberzeugung zu widerſtehen. Die Verwirrung, in die er dadurch geſezt wurde, iſt un- beſchreiblich ‒‒ Sollte Danae ‒‒ aber wie koͤnnte das moͤglich ſeyn? ‒‒ Und doch ſchien alles das Sonderbare, was ihm Critolaus von der Dame dieſes Hauſes geſagt hatte, den Gedanken zu bekraͤftigen, der in ihm aufſtieg, und den er ſich kaum auszudenken getrauete. Die ſchoͤne Danae haͤtte zufrieden ſeyn koͤnnen, wenn ſie geſehen haͤtte, was in ſeinem Herzen vorgieng. Er haͤtte nicht erſchrokner ſeyn koͤnnen, vor das Antliz einer beleidig- ten Gottheit zu treten, als er es vor dem Gedanken war, ſich dieſer Danae darzuſtellen, welche er ſeit ge- raumer Zeit gewohnt war, ſich wieder ſo unſchuldig vorzuſtellen, als ſie ihm damals, da er ſie verließ, veraͤchtlich und haſſenswuͤrdig ſchien. Allein das Ver- langen ſie zu ſehen, verſchlang endlich alle andre Empfin- dungen, von denen ſein Herz erſchuͤttert wurde. Seine Unruhe war ſo ſichtbar, daß Critolaus ſie bemerken mußte. Agathon wuͤrde beſſer gethan haben, ihm die Urſache davon zu entdeken; aber er that es nicht, und behalf ſich mit der allgemeinen Ausflucht, daß ihm nicht wol Y 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/343>, abgerufen am 25.04.2024.