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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Achtes Buch, drittes Capitel.
würde da der wesentlichste Vorzug der Unschuld geblie-
ben seyn? -- Ein andrer Umstand, worinn Psyche
glüklicher Weise den Vortheil über Danae hatte, war
dieser, daß ihr Liebhaber eben so unschuldig war als
sie selbst, und bey aller seiner Zärtlichkeit nur nicht den
Schatten eines Gedankens hatte, ihrer Tugend nach-
zustellen. Wissen wir, wie sie sich verhalten hätte, wenn
sie auf die Probe gestellt worden wäre? Sie würde wi-
derstanden haben; daran ist kein Zweifel; aber, sezet
hinzu; so lang es ihr möglich gewesen wäre. Denn daß sie
stark genug gewesen wäre ihn zu fliehen, ihn gar nicht
mehr zu sehen, das ist nicht zu vermuthen. Sie würde
also endlich doch von den süssen Verführungen der Liebe
überschlichen worden seyn, so weit sie auch den Augen-
blik ihrer Niderlage hätte zurükstellen mögen. Man
könnte sagen: Gesezt auch, sie würde die Probe nicht
ausgehalten haben, so hätte sie doch widerstanden; Da-
nae hingegen habe ihren Fall nicht nur vorausgesehen,
und beschleunigt, sondern er sey sogar das Werk ihrer
eignen Maßnehmungen gewesen; und wenn sie ihn auf-
gezogen habe, so sey es allein des Vortheils ihrer Liebe
und ihres Vergnügens wegen, nicht aus Tugend, ge-
schehen. Alles das ist nicht zu läugnen; allein voraus-
gesezt, daß sie sich endlich doch ergeben haben würde,
(welches auf eine oder die andere Art doch allemal der
stillschweigende Vorsaz einer jeden ist, die sich in eine
Liebes-Angelegenheit waget) wozu würde ein langwieri-
ger eigensinniger Widerstand gedient haben, als sich

selbst

Achtes Buch, drittes Capitel.
wuͤrde da der weſentlichſte Vorzug der Unſchuld geblie-
ben ſeyn? — Ein andrer Umſtand, worinn Pſyche
gluͤklicher Weiſe den Vortheil uͤber Danae hatte, war
dieſer, daß ihr Liebhaber eben ſo unſchuldig war als
ſie ſelbſt, und bey aller ſeiner Zaͤrtlichkeit nur nicht den
Schatten eines Gedankens hatte, ihrer Tugend nach-
zuſtellen. Wiſſen wir, wie ſie ſich verhalten haͤtte, wenn
ſie auf die Probe geſtellt worden waͤre? Sie wuͤrde wi-
derſtanden haben; daran iſt kein Zweifel; aber, ſezet
hinzu; ſo lang es ihr moͤglich geweſen waͤre. Denn daß ſie
ſtark genug geweſen waͤre ihn zu fliehen, ihn gar nicht
mehr zu ſehen, das iſt nicht zu vermuthen. Sie wuͤrde
alſo endlich doch von den ſuͤſſen Verfuͤhrungen der Liebe
uͤberſchlichen worden ſeyn, ſo weit ſie auch den Augen-
blik ihrer Niderlage haͤtte zuruͤkſtellen moͤgen. Man
koͤnnte ſagen: Geſezt auch, ſie wuͤrde die Probe nicht
ausgehalten haben, ſo haͤtte ſie doch widerſtanden; Da-
nae hingegen habe ihren Fall nicht nur vorausgeſehen,
und beſchleunigt, ſondern er ſey ſogar das Werk ihrer
eignen Maßnehmungen geweſen; und wenn ſie ihn auf-
gezogen habe, ſo ſey es allein des Vortheils ihrer Liebe
und ihres Vergnuͤgens wegen, nicht aus Tugend, ge-
ſchehen. Alles das iſt nicht zu laͤugnen; allein voraus-
geſezt, daß ſie ſich endlich doch ergeben haben wuͤrde,
(welches auf eine oder die andere Art doch allemal der
ſtillſchweigende Vorſaz einer jeden iſt, die ſich in eine
Liebes-Angelegenheit waget) wozu wuͤrde ein langwieri-
ger eigenſinniger Widerſtand gedient haben, als ſich

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[31/0033] Achtes Buch, drittes Capitel. wuͤrde da der weſentlichſte Vorzug der Unſchuld geblie- ben ſeyn? — Ein andrer Umſtand, worinn Pſyche gluͤklicher Weiſe den Vortheil uͤber Danae hatte, war dieſer, daß ihr Liebhaber eben ſo unſchuldig war als ſie ſelbſt, und bey aller ſeiner Zaͤrtlichkeit nur nicht den Schatten eines Gedankens hatte, ihrer Tugend nach- zuſtellen. Wiſſen wir, wie ſie ſich verhalten haͤtte, wenn ſie auf die Probe geſtellt worden waͤre? Sie wuͤrde wi- derſtanden haben; daran iſt kein Zweifel; aber, ſezet hinzu; ſo lang es ihr moͤglich geweſen waͤre. Denn daß ſie ſtark genug geweſen waͤre ihn zu fliehen, ihn gar nicht mehr zu ſehen, das iſt nicht zu vermuthen. Sie wuͤrde alſo endlich doch von den ſuͤſſen Verfuͤhrungen der Liebe uͤberſchlichen worden ſeyn, ſo weit ſie auch den Augen- blik ihrer Niderlage haͤtte zuruͤkſtellen moͤgen. Man koͤnnte ſagen: Geſezt auch, ſie wuͤrde die Probe nicht ausgehalten haben, ſo haͤtte ſie doch widerſtanden; Da- nae hingegen habe ihren Fall nicht nur vorausgeſehen, und beſchleunigt, ſondern er ſey ſogar das Werk ihrer eignen Maßnehmungen geweſen; und wenn ſie ihn auf- gezogen habe, ſo ſey es allein des Vortheils ihrer Liebe und ihres Vergnuͤgens wegen, nicht aus Tugend, ge- ſchehen. Alles das iſt nicht zu laͤugnen; allein voraus- geſezt, daß ſie ſich endlich doch ergeben haben wuͤrde, (welches auf eine oder die andere Art doch allemal der ſtillſchweigende Vorſaz einer jeden iſt, die ſich in eine Liebes-Angelegenheit waget) wozu wuͤrde ein langwieri- ger eigenſinniger Widerſtand gedient haben, als ſich ſelbſt

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/33>, abgerufen am 24.04.2024.