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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Eilftes Buch, drittes Capitel.
Smyrna in einem so splenetischen Lichte vorzustellen.
Die glükliche Veränderung, welche die Versezung in
den Schoos der liebenswürdigsten Familie, die vielleicht
jemals gewesen ist, in seinen Umständen hervorbrachte,
veränderte nothwendiger Weise auch die Farbe seiner Ein-
bildungs-Kraft. Hätte er Danae nicht verlassen, so
würde er weder seine Schwester gefunden, noch mit dem
weisen Archytas persönlich bekannt worden seyn. Diese
Folgen seiner tugendhaften Untreue machten den Wunsch,
sie nicht begangen zu haben, unmöglich; aber sie beför-
derten dagegen einen andern, der in den Umständen,
worinn er zu Tarent lebte, sehr natürlich war. Die
heitre Stille, welche in seinem ohnehin zur Freude auf-
gelegten Gemüth in kurzem wieder hergestellt wurde;
die Freyheit von allen Geschäften und Sorgen; der
Genuß alles dessen, womit die Freundschaft ein gefühl-
volles Herz beseligen kan; der Anblik der Glükseligkeit
seines Freundes Crit[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]laus, welche im Besiz der liebens-
würdigen Psyche alle Tage zu zunehmen schien; der
Mangel an Zerstreuungen, wodurch die Seele verhin-
dert wird, sich in die Sphäre ihrer angenehmsten Jdeen
und Empfindungen zu concentriren; die natürliche Folge
hievon, daß diese Jdeen und Empfindungen desto leb-
hafter werden müssen -- alles dieses vereinigte sich, ihn
nach und nach wieder in Dispositionen zu sezen, welche
die zärtlichste Erinnerungen an die einst so sehr geliebte
Danae erwekten, und ihn von Zeit zu Zeit in eine Art
von sanfter wollüstiger Melancholie sezten, worinn sein
Herz sich ohne Widerstand in diese zauberischen Scenen

von

Eilftes Buch, drittes Capitel.
Smyrna in einem ſo ſplenetiſchen Lichte vorzuſtellen.
Die gluͤkliche Veraͤnderung, welche die Verſezung in
den Schoos der liebenswuͤrdigſten Familie, die vielleicht
jemals geweſen iſt, in ſeinen Umſtaͤnden hervorbrachte,
veraͤnderte nothwendiger Weiſe auch die Farbe ſeiner Ein-
bildungs-Kraft. Haͤtte er Danae nicht verlaſſen, ſo
wuͤrde er weder ſeine Schweſter gefunden, noch mit dem
weiſen Archytas perſoͤnlich bekannt worden ſeyn. Dieſe
Folgen ſeiner tugendhaften Untreue machten den Wunſch,
ſie nicht begangen zu haben, unmoͤglich; aber ſie befoͤr-
derten dagegen einen andern, der in den Umſtaͤnden,
worinn er zu Tarent lebte, ſehr natuͤrlich war. Die
heitre Stille, welche in ſeinem ohnehin zur Freude auf-
gelegten Gemuͤth in kurzem wieder hergeſtellt wurde;
die Freyheit von allen Geſchaͤften und Sorgen; der
Genuß alles deſſen, womit die Freundſchaft ein gefuͤhl-
volles Herz beſeligen kan; der Anblik der Gluͤkſeligkeit
ſeines Freundes Crit[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]laus, welche im Beſiz der liebens-
wuͤrdigen Pſyche alle Tage zu zunehmen ſchien; der
Mangel an Zerſtreuungen, wodurch die Seele verhin-
dert wird, ſich in die Sphaͤre ihrer angenehmſten Jdeen
und Empfindungen zu concentriren; die natuͤrliche Folge
hievon, daß dieſe Jdeen und Empfindungen deſto leb-
hafter werden muͤſſen ‒‒ alles dieſes vereinigte ſich, ihn
nach und nach wieder in Diſpoſitionen zu ſezen, welche
die zaͤrtlichſte Erinnerungen an die einſt ſo ſehr geliebte
Danae erwekten, und ihn von Zeit zu Zeit in eine Art
von ſanfter wolluͤſtiger Melancholie ſezten, worinn ſein
Herz ſich ohne Widerſtand in dieſe zauberiſchen Scenen

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[319/0321] Eilftes Buch, drittes Capitel. Smyrna in einem ſo ſplenetiſchen Lichte vorzuſtellen. Die gluͤkliche Veraͤnderung, welche die Verſezung in den Schoos der liebenswuͤrdigſten Familie, die vielleicht jemals geweſen iſt, in ſeinen Umſtaͤnden hervorbrachte, veraͤnderte nothwendiger Weiſe auch die Farbe ſeiner Ein- bildungs-Kraft. Haͤtte er Danae nicht verlaſſen, ſo wuͤrde er weder ſeine Schweſter gefunden, noch mit dem weiſen Archytas perſoͤnlich bekannt worden ſeyn. Dieſe Folgen ſeiner tugendhaften Untreue machten den Wunſch, ſie nicht begangen zu haben, unmoͤglich; aber ſie befoͤr- derten dagegen einen andern, der in den Umſtaͤnden, worinn er zu Tarent lebte, ſehr natuͤrlich war. Die heitre Stille, welche in ſeinem ohnehin zur Freude auf- gelegten Gemuͤth in kurzem wieder hergeſtellt wurde; die Freyheit von allen Geſchaͤften und Sorgen; der Genuß alles deſſen, womit die Freundſchaft ein gefuͤhl- volles Herz beſeligen kan; der Anblik der Gluͤkſeligkeit ſeines Freundes Crit_laus, welche im Beſiz der liebens- wuͤrdigen Pſyche alle Tage zu zunehmen ſchien; der Mangel an Zerſtreuungen, wodurch die Seele verhin- dert wird, ſich in die Sphaͤre ihrer angenehmſten Jdeen und Empfindungen zu concentriren; die natuͤrliche Folge hievon, daß dieſe Jdeen und Empfindungen deſto leb- hafter werden muͤſſen ‒‒ alles dieſes vereinigte ſich, ihn nach und nach wieder in Diſpoſitionen zu ſezen, welche die zaͤrtlichſte Erinnerungen an die einſt ſo ſehr geliebte Danae erwekten, und ihn von Zeit zu Zeit in eine Art von ſanfter wolluͤſtiger Melancholie ſezten, worinn ſein Herz ſich ohne Widerſtand in dieſe zauberiſchen Scenen von

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/321>, abgerufen am 28.03.2024.