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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Eilftes Buch, drittes Capitel.
können, glüklich, da er, nach den Erläuterungen, welche
ihm gegeben wurden, nicht mehr zweifeln konnte, in
Psyche eine Schwester, welche er nach der ehmaligen
Erzählung seines Vaters für todt gehalten hatte, wie-
der zu finden, und durch sie ein Theil einer Familie
zu werden, für welche sein Herz bereits so eingenom-
men war, daß der Gedanke sich jemals wieder von ihr
zu trennen, ihm unerträglich gewesen seyn würde. Nun
meine zärtlichen Leserinnen, mangelte ihm, um so glük-
selig zu seyn, als es Sterbliche seyn können, nichts
als daß Archytas -- nicht irgend eine liebenswürdige
Tochter oder Nichte hatte, mit der wir ihn vermählen
könnten. Aber unglüklicher Weise für ihn hatte Archy-
tas keine Tochter; und wofern er Nichten hatte, wel-
ches wir nicht für gewiß sagen können, so waren sie
entweder schon verheyrathet, oder nicht dazu gemacht,
das Bild der schönen Danae, und die Erinnerungen
seiner ehmaligen Glükseligkeit, welche von Tag zu Tag
wieder lebhafter in seinem Gemüthe wurden, auszulöschen.

Diese Erinnerungen hatten schon zu Syracus in
melancholischen Stunden wieder angefangen einige Ge-
walt über sein Herz zu bekommen; der Gram, wovon
seine Seele in der lezten Periode seines Hof-Lebens,
ganz verdüstert und niedergeschlagen wurde, veran-
laßte ihn, Vergleichungen zwischen seinem vormaligen
und nunmehrigen Zustande anzustellen, welche unmög-
lich anders als zum Vortheil des ersten ausfallen konn-
ten. Er machte sich selbst Vorwürfe, daß er das lie-

bens-

Eilftes Buch, drittes Capitel.
koͤnnen, gluͤklich, da er, nach den Erlaͤuterungen, welche
ihm gegeben wurden, nicht mehr zweifeln konnte, in
Pſyche eine Schweſter, welche er nach der ehmaligen
Erzaͤhlung ſeines Vaters fuͤr todt gehalten hatte, wie-
der zu finden, und durch ſie ein Theil einer Familie
zu werden, fuͤr welche ſein Herz bereits ſo eingenom-
men war, daß der Gedanke ſich jemals wieder von ihr
zu trennen, ihm unertraͤglich geweſen ſeyn wuͤrde. Nun
meine zaͤrtlichen Leſerinnen, mangelte ihm, um ſo gluͤk-
ſelig zu ſeyn, als es Sterbliche ſeyn koͤnnen, nichts
als daß Archytas ‒‒ nicht irgend eine liebenswuͤrdige
Tochter oder Nichte hatte, mit der wir ihn vermaͤhlen
koͤnnten. Aber ungluͤklicher Weiſe fuͤr ihn hatte Archy-
tas keine Tochter; und wofern er Nichten hatte, wel-
ches wir nicht fuͤr gewiß ſagen koͤnnen, ſo waren ſie
entweder ſchon verheyrathet, oder nicht dazu gemacht,
das Bild der ſchoͤnen Danae, und die Erinnerungen
ſeiner ehmaligen Gluͤkſeligkeit, welche von Tag zu Tag
wieder lebhafter in ſeinem Gemuͤthe wurden, auszuloͤſchen.

Dieſe Erinnerungen hatten ſchon zu Syracus in
melancholiſchen Stunden wieder angefangen einige Ge-
walt uͤber ſein Herz zu bekommen; der Gram, wovon
ſeine Seele in der lezten Periode ſeines Hof-Lebens,
ganz verduͤſtert und niedergeſchlagen wurde, veran-
laßte ihn, Vergleichungen zwiſchen ſeinem vormaligen
und nunmehrigen Zuſtande anzuſtellen, welche unmoͤg-
lich anders als zum Vortheil des erſten ausfallen konn-
ten. Er machte ſich ſelbſt Vorwuͤrfe, daß er das lie-

bens-
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[317/0319] Eilftes Buch, drittes Capitel. koͤnnen, gluͤklich, da er, nach den Erlaͤuterungen, welche ihm gegeben wurden, nicht mehr zweifeln konnte, in Pſyche eine Schweſter, welche er nach der ehmaligen Erzaͤhlung ſeines Vaters fuͤr todt gehalten hatte, wie- der zu finden, und durch ſie ein Theil einer Familie zu werden, fuͤr welche ſein Herz bereits ſo eingenom- men war, daß der Gedanke ſich jemals wieder von ihr zu trennen, ihm unertraͤglich geweſen ſeyn wuͤrde. Nun meine zaͤrtlichen Leſerinnen, mangelte ihm, um ſo gluͤk- ſelig zu ſeyn, als es Sterbliche ſeyn koͤnnen, nichts als daß Archytas ‒‒ nicht irgend eine liebenswuͤrdige Tochter oder Nichte hatte, mit der wir ihn vermaͤhlen koͤnnten. Aber ungluͤklicher Weiſe fuͤr ihn hatte Archy- tas keine Tochter; und wofern er Nichten hatte, wel- ches wir nicht fuͤr gewiß ſagen koͤnnen, ſo waren ſie entweder ſchon verheyrathet, oder nicht dazu gemacht, das Bild der ſchoͤnen Danae, und die Erinnerungen ſeiner ehmaligen Gluͤkſeligkeit, welche von Tag zu Tag wieder lebhafter in ſeinem Gemuͤthe wurden, auszuloͤſchen. Dieſe Erinnerungen hatten ſchon zu Syracus in melancholiſchen Stunden wieder angefangen einige Ge- walt uͤber ſein Herz zu bekommen; der Gram, wovon ſeine Seele in der lezten Periode ſeines Hof-Lebens, ganz verduͤſtert und niedergeſchlagen wurde, veran- laßte ihn, Vergleichungen zwiſchen ſeinem vormaligen und nunmehrigen Zuſtande anzuſtellen, welche unmoͤg- lich anders als zum Vortheil des erſten ausfallen konn- ten. Er machte ſich ſelbſt Vorwuͤrfe, daß er das lie- bens-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/319>, abgerufen am 28.03.2024.