zu der üppigen Schönheit einer Bacchantin herab -- der Wuth eines Wein-trieffenden Satyrs würdiger als der zärtlichen Entzükungen, welcher er sich izt schämte; in einer unverzeyhlichen Bethörung seiner Seele, an sie ver- schwendet zu haben.
Ohne Zweifel werden unsre tugendhafte Leserinnen, welche den Fall unsers Helden nicht ohne gerechten Un- willen gegen die feine Buhler-Künste der schönen Danae betraurt haben, von Herzen erfreut seyn, die Ehre der Tugend, und gewisser massen das Jnteresse ihres ganzen Geschlechts an dieser Verführerin gerochen zu sehen. Wir nehmen selbst vielen Antheil an dieser ihrer Freude; aber wir können uns doch, mit ihrer Erlaubniß nicht entbrechen zu sagen, daß Agathon in der Vergleichung zwischen Danae und Psyche eine Strenge bewies, welche wir nicht allerdings billigen können, so gerne wir ihn auch von einer Leidenschaft zurükkommen sehen, deren längere Dauer uns in die Unmöglichkeit gesezt hätte, diesen zweyten Theil seiner Geschichte zu liefern.
Danae mag wegen ihrer Schwachheit gegen unsern Helden so tadelnswürdig seyn, als man will, so war es doch offenbar unbillig, sie zu verurtheilen, weil sie keine Psyche war; oder, um bestimmter zu reden, weil sie in ähnlichen Umständen sich nicht vollkommen so wie Psyche betragen hatte. Wenn Psyche unschnldiger ge- wesen war, so war es weniger ein Verdienst, als ein
physi-
Achtes Buch, drittes Capitel.
zu der uͤppigen Schoͤnheit einer Bacchantin herab — der Wuth eines Wein-trieffenden Satyrs wuͤrdiger als der zaͤrtlichen Entzuͤkungen, welcher er ſich izt ſchaͤmte; in einer unverzeyhlichen Bethoͤrung ſeiner Seele, an ſie ver- ſchwendet zu haben.
Ohne Zweifel werden unſre tugendhafte Leſerinnen, welche den Fall unſers Helden nicht ohne gerechten Un- willen gegen die feine Buhler-Kuͤnſte der ſchoͤnen Danae betraurt haben, von Herzen erfreut ſeyn, die Ehre der Tugend, und gewiſſer maſſen das Jntereſſe ihres ganzen Geſchlechts an dieſer Verfuͤhrerin gerochen zu ſehen. Wir nehmen ſelbſt vielen Antheil an dieſer ihrer Freude; aber wir koͤnnen uns doch, mit ihrer Erlaubniß nicht entbrechen zu ſagen, daß Agathon in der Vergleichung zwiſchen Danae und Pſyche eine Strenge bewies, welche wir nicht allerdings billigen koͤnnen, ſo gerne wir ihn auch von einer Leidenſchaft zuruͤkkommen ſehen, deren laͤngere Dauer uns in die Unmoͤglichkeit geſezt haͤtte, dieſen zweyten Theil ſeiner Geſchichte zu liefern.
Danae mag wegen ihrer Schwachheit gegen unſern Helden ſo tadelnswuͤrdig ſeyn, als man will, ſo war es doch offenbar unbillig, ſie zu verurtheilen, weil ſie keine Pſyche war; oder, um beſtimmter zu reden, weil ſie in aͤhnlichen Umſtaͤnden ſich nicht vollkommen ſo wie Pſyche betragen hatte. Wenn Pſyche unſchnldiger ge- weſen war, ſo war es weniger ein Verdienſt, als ein
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Achtes Buch, drittes Capitel.
zu der uͤppigen Schoͤnheit einer Bacchantin herab —
der Wuth eines Wein-trieffenden Satyrs wuͤrdiger als der
zaͤrtlichen Entzuͤkungen, welcher er ſich izt ſchaͤmte; in
einer unverzeyhlichen Bethoͤrung ſeiner Seele, an ſie ver-
ſchwendet zu haben.
Ohne Zweifel werden unſre tugendhafte Leſerinnen,
welche den Fall unſers Helden nicht ohne gerechten Un-
willen gegen die feine Buhler-Kuͤnſte der ſchoͤnen Danae
betraurt haben, von Herzen erfreut ſeyn, die Ehre der
Tugend, und gewiſſer maſſen das Jntereſſe ihres ganzen
Geſchlechts an dieſer Verfuͤhrerin gerochen zu ſehen.
Wir nehmen ſelbſt vielen Antheil an dieſer ihrer Freude;
aber wir koͤnnen uns doch, mit ihrer Erlaubniß nicht
entbrechen zu ſagen, daß Agathon in der Vergleichung
zwiſchen Danae und Pſyche eine Strenge bewies, welche
wir nicht allerdings billigen koͤnnen, ſo gerne wir ihn
auch von einer Leidenſchaft zuruͤkkommen ſehen, deren
laͤngere Dauer uns in die Unmoͤglichkeit geſezt haͤtte,
dieſen zweyten Theil ſeiner Geſchichte zu liefern.
Danae mag wegen ihrer Schwachheit gegen unſern
Helden ſo tadelnswuͤrdig ſeyn, als man will, ſo war
es doch offenbar unbillig, ſie zu verurtheilen, weil ſie
keine Pſyche war; oder, um beſtimmter zu reden, weil
ſie in aͤhnlichen Umſtaͤnden ſich nicht vollkommen ſo wie
Pſyche betragen hatte. Wenn Pſyche unſchnldiger ge-
weſen war, ſo war es weniger ein Verdienſt, als ein
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/31>, abgerufen am 16.07.2024.
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