Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Eilftes Buch, erstes Capitel. verirret zu seyn. Es stehet bey den Lesern, ihm hierinnsoviel Glauben beyzumessen, als sie gerne wollen; wir an unserm Theil nehmen uns der Sache weiter nichts an; unsere Absichten sind bereits erreicht, und die glük- lichen oder unglüklichen Umstände, welche dem Agathon noch bevorstehen mögen, haben nichts damit zu thun. Jndessen glauben wir doch, daß der Autor allen den gutherzigen Leuten, welche sich für den Helden einer solchen Geschichte nach und nach interessiren, und gerne haben, wenn sich am Ende alles zu allerseitigem Ver- gnügen, mit Entdekungen, Erkennungen, glüklichem Wiederfinden der verlohrnen Freunde, und etlichen Hoch- zeiten endet, einen Gefallen gethan habe, seinen Hel- den, nachdem er eine hinlängliche Anzahl guter und schlimmer Abentheuer bestanden hat, endlich für seine ganze übrige Lebens-Zeit glüklich zu machen. Es mag seyn, daß der Verfasser der griechischen Handschrift hierinn seinem guten Naturell den Lauf gelassen hat; denn in der That, scheint es ein Zeichen eines harten und grausamen Herzens zu seyn, welches ein Vergnü- gen an der Quaal und den Thränen seiner unschuldigen Leser findet, wenn man alles anwendet, uns für den Helden und die Heldin einer wundervollen Geschichte einzunehmen, bloß um uns zulezt durch einen so jämmer- lichen Ausgang, als eine schwermüthige, menschen- feindliche Jmagination nur immer erdenken kan, in ei- nen desto empfindlichern und unleidlichern Schmerz zu versenken, da es lediglich bey dem guten Willen des Autors stuhnd, uns desselben zu überheben. Gleichwol aber T 3
Eilftes Buch, erſtes Capitel. verirret zu ſeyn. Es ſtehet bey den Leſern, ihm hierinnſoviel Glauben beyzumeſſen, als ſie gerne wollen; wir an unſerm Theil nehmen uns der Sache weiter nichts an; unſere Abſichten ſind bereits erreicht, und die gluͤk- lichen oder ungluͤklichen Umſtaͤnde, welche dem Agathon noch bevorſtehen moͤgen, haben nichts damit zu thun. Jndeſſen glauben wir doch, daß der Autor allen den gutherzigen Leuten, welche ſich fuͤr den Helden einer ſolchen Geſchichte nach und nach intereſſiren, und gerne haben, wenn ſich am Ende alles zu allerſeitigem Ver- gnuͤgen, mit Entdekungen, Erkennungen, gluͤklichem Wiederfinden der verlohrnen Freunde, und etlichen Hoch- zeiten endet, einen Gefallen gethan habe, ſeinen Hel- den, nachdem er eine hinlaͤngliche Anzahl guter und ſchlimmer Abentheuer beſtanden hat, endlich fuͤr ſeine ganze uͤbrige Lebens-Zeit gluͤklich zu machen. Es mag ſeyn, daß der Verfaſſer der griechiſchen Handſchrift hierinn ſeinem guten Naturell den Lauf gelaſſen hat; denn in der That, ſcheint es ein Zeichen eines harten und grauſamen Herzens zu ſeyn, welches ein Vergnuͤ- gen an der Quaal und den Thraͤnen ſeiner unſchuldigen Leſer findet, wenn man alles anwendet, uns fuͤr den Helden und die Heldin einer wundervollen Geſchichte einzunehmen, bloß um uns zulezt durch einen ſo jaͤmmer- lichen Ausgang, als eine ſchwermuͤthige, menſchen- feindliche Jmagination nur immer erdenken kan, in ei- nen deſto empfindlichern und unleidlichern Schmerz zu verſenken, da es lediglich bey dem guten Willen des Autors ſtuhnd, uns deſſelben zu uͤberheben. Gleichwol aber T 3
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Eilftes Buch, erſtes Capitel.
verirret zu ſeyn. Es ſtehet bey den Leſern, ihm hierinn
ſoviel Glauben beyzumeſſen, als ſie gerne wollen; wir
an unſerm Theil nehmen uns der Sache weiter nichts
an; unſere Abſichten ſind bereits erreicht, und die gluͤk-
lichen oder ungluͤklichen Umſtaͤnde, welche dem Agathon
noch bevorſtehen moͤgen, haben nichts damit zu thun.
Jndeſſen glauben wir doch, daß der Autor allen den
gutherzigen Leuten, welche ſich fuͤr den Helden einer
ſolchen Geſchichte nach und nach intereſſiren, und gerne
haben, wenn ſich am Ende alles zu allerſeitigem Ver-
gnuͤgen, mit Entdekungen, Erkennungen, gluͤklichem
Wiederfinden der verlohrnen Freunde, und etlichen Hoch-
zeiten endet, einen Gefallen gethan habe, ſeinen Hel-
den, nachdem er eine hinlaͤngliche Anzahl guter und
ſchlimmer Abentheuer beſtanden hat, endlich fuͤr ſeine
ganze uͤbrige Lebens-Zeit gluͤklich zu machen. Es mag
ſeyn, daß der Verfaſſer der griechiſchen Handſchrift
hierinn ſeinem guten Naturell den Lauf gelaſſen hat;
denn in der That, ſcheint es ein Zeichen eines harten
und grauſamen Herzens zu ſeyn, welches ein Vergnuͤ-
gen an der Quaal und den Thraͤnen ſeiner unſchuldigen
Leſer findet, wenn man alles anwendet, uns fuͤr den
Helden und die Heldin einer wundervollen Geſchichte
einzunehmen, bloß um uns zulezt durch einen ſo jaͤmmer-
lichen Ausgang, als eine ſchwermuͤthige, menſchen-
feindliche Jmagination nur immer erdenken kan, in ei-
nen deſto empfindlichern und unleidlichern Schmerz zu
verſenken, da es lediglich bey dem guten Willen des
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