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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
als ob er ein Sir Carl Grandison wäre) auf dem Wege
zu sehen, von allen Arten der Schwärmerey von Grund
aus geheilt zu werden -- Denn so viel schönes und gu-
tes sich immer zu ihrem Vortheil sagen lassen mag, so
bleibt doch gewiß, daß es besser ist gesund seyn, und
keine Enzükungen haben, als die Harmonie der Sphä-
ren hören, und an einem hizigen Fieber liegen -- aber
wir besorgen billig, daß die allzustarke Nachlassung,
welche in der Seele eben sowol als im Leibe, auf eine
übermässige Spannung zu folgen pflegt, seinem Herzen
wenigstens so nachtheilig werden könnte, als es die lie-
benswürdige Schwärmerey, womit wir ihn behaftet ge-
sehen haben, seiner Vernunft seyn mochte. Der neue
Schwung, den seine Denkungsart zu Syracus bekam,
würde uns ziemlich gleichgültig seyn, wenn die Ver-
änderung sich bloß auf speculative Begriffe oder den Ton
und die Vertheilung des Lichts und Schattens in sei-
ner Seele erstrekte: Aber wenn er dadurch weniger
rechtschaffen, weniger ein Liebhaber der Wahrheit,
weniger empfindlich für das Beste des menschlichen Ge-
schlechts, weniger edelgesinnt, und wolthätig, weniger
zur vorzüglichen Theilnehmung an der Glükseligkeit ir-
gend einer besondern Gesellschaft (ohne welche die an-
maßliche Welt-Bürgerschaft gewisser Leute blosse Groß-
sprecherey oder höchstens eine Art von Don-Quischotterie
ist) und zur Freundschaft, diesem Lieblings-Phantom
schöner Seelen, weniger aufgelegt würde -- erlaubet
mir, ihr strengen Anti-Plantonisten, denen alles Schi-
märe heißt, was sich nicht geometrisch beweisen läßt,
erlaubet mir noch weiter zu gehen -- wenn dieser schöne,

herz-

Agathon.
als ob er ein Sir Carl Grandiſon waͤre) auf dem Wege
zu ſehen, von allen Arten der Schwaͤrmerey von Grund
aus geheilt zu werden ‒‒ Denn ſo viel ſchoͤnes und gu-
tes ſich immer zu ihrem Vortheil ſagen laſſen mag, ſo
bleibt doch gewiß, daß es beſſer iſt geſund ſeyn, und
keine Enzuͤkungen haben, als die Harmonie der Sphaͤ-
ren hoͤren, und an einem hizigen Fieber liegen ‒‒ aber
wir beſorgen billig, daß die allzuſtarke Nachlaſſung,
welche in der Seele eben ſowol als im Leibe, auf eine
uͤbermaͤſſige Spannung zu folgen pflegt, ſeinem Herzen
wenigſtens ſo nachtheilig werden koͤnnte, als es die lie-
benswuͤrdige Schwaͤrmerey, womit wir ihn behaftet ge-
ſehen haben, ſeiner Vernunft ſeyn mochte. Der neue
Schwung, den ſeine Denkungsart zu Syracus bekam,
wuͤrde uns ziemlich gleichguͤltig ſeyn, wenn die Ver-
aͤnderung ſich bloß auf ſpeculative Begriffe oder den Ton
und die Vertheilung des Lichts und Schattens in ſei-
ner Seele erſtrekte: Aber wenn er dadurch weniger
rechtſchaffen, weniger ein Liebhaber der Wahrheit,
weniger empfindlich fuͤr das Beſte des menſchlichen Ge-
ſchlechts, weniger edelgeſinnt, und wolthaͤtig, weniger
zur vorzuͤglichen Theilnehmung an der Gluͤkſeligkeit ir-
gend einer beſondern Geſellſchaft (ohne welche die an-
maßliche Welt-Buͤrgerſchaft gewiſſer Leute bloſſe Groß-
ſprecherey oder hoͤchſtens eine Art von Don-Quiſchotterie
iſt) und zur Freundſchaft, dieſem Lieblings-Phantom
ſchoͤner Seelen, weniger aufgelegt wuͤrde ‒‒ erlaubet
mir, ihr ſtrengen Anti-Plantoniſten, denen alles Schi-
maͤre heißt, was ſich nicht geometriſch beweiſen laͤßt,
erlaubet mir noch weiter zu gehen ‒‒ wenn dieſer ſchoͤne,

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[288/0290] Agathon. als ob er ein Sir Carl Grandiſon waͤre) auf dem Wege zu ſehen, von allen Arten der Schwaͤrmerey von Grund aus geheilt zu werden ‒‒ Denn ſo viel ſchoͤnes und gu- tes ſich immer zu ihrem Vortheil ſagen laſſen mag, ſo bleibt doch gewiß, daß es beſſer iſt geſund ſeyn, und keine Enzuͤkungen haben, als die Harmonie der Sphaͤ- ren hoͤren, und an einem hizigen Fieber liegen ‒‒ aber wir beſorgen billig, daß die allzuſtarke Nachlaſſung, welche in der Seele eben ſowol als im Leibe, auf eine uͤbermaͤſſige Spannung zu folgen pflegt, ſeinem Herzen wenigſtens ſo nachtheilig werden koͤnnte, als es die lie- benswuͤrdige Schwaͤrmerey, womit wir ihn behaftet ge- ſehen haben, ſeiner Vernunft ſeyn mochte. Der neue Schwung, den ſeine Denkungsart zu Syracus bekam, wuͤrde uns ziemlich gleichguͤltig ſeyn, wenn die Ver- aͤnderung ſich bloß auf ſpeculative Begriffe oder den Ton und die Vertheilung des Lichts und Schattens in ſei- ner Seele erſtrekte: Aber wenn er dadurch weniger rechtſchaffen, weniger ein Liebhaber der Wahrheit, weniger empfindlich fuͤr das Beſte des menſchlichen Ge- ſchlechts, weniger edelgeſinnt, und wolthaͤtig, weniger zur vorzuͤglichen Theilnehmung an der Gluͤkſeligkeit ir- gend einer beſondern Geſellſchaft (ohne welche die an- maßliche Welt-Buͤrgerſchaft gewiſſer Leute bloſſe Groß- ſprecherey oder hoͤchſtens eine Art von Don-Quiſchotterie iſt) und zur Freundſchaft, dieſem Lieblings-Phantom ſchoͤner Seelen, weniger aufgelegt wuͤrde ‒‒ erlaubet mir, ihr ſtrengen Anti-Plantoniſten, denen alles Schi- maͤre heißt, was ſich nicht geometriſch beweiſen laͤßt, erlaubet mir noch weiter zu gehen ‒‒ wenn dieſer ſchoͤne, herz-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/290>, abgerufen am 27.04.2024.